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Zum Shoppen kurz nach Wien? Nach der Rückreise müssen Deutsche in Quarantäne.

Foto: Picturedesk / Georges Schneider

Das Gerücht, dass die deutsche Bundesregierung Wien wegen der vielen neuen Corona-Infektionen als Risikogebiet einstufen und eine Reisewarnung aussprechen wolle, war schon einige Tage durch die deutsche Hauptstadt gewabert. Doch zunächst war im Auswärtigen Amt in Berlin vage von "Beobachtungen" die Rede gewesen und dass man "leider" in Wien so viele neue Fälle registriere.

Am Mittwochvormittag jedoch wurde dem STANDARD aus deutschen Regierungskreisen bestätigt, dass die Einstufung Wiens als Risikogebiet noch im Laufe des Tages erfolgen werde. "Seit dem 5. September liegen deutlich mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner vor, daher sehen wir uns zum Handeln gezwungen", hieß es. Am Abend war es dann so weit: Das Robert-Koch-Institut ernannte Wien offiziell zum Risikogebiet.

Negativer Test oder Quarantäne

Darauf hatte sich die Bundesoberbehörde zuvor mit dem Auswärtigen Amt und den Ministerien für Inneres und Gesundheit abgestimmt. Maria Adebahr, die Sprecherin des deutschen Außenministers Heiko Maas (SPD), hatte zuvor mit Blick auf die österreichische Hauptstadt betont: "Die Infektionszahlenlage hat sich leider nicht stabilisiert."

Die Entscheidung Deutschlands basiert auf dem Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einem Zeitraum von sieben Tagen. Dies wurde in Wien in den vergangenen Tagen weit überschritten.

Wer aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreist, braucht einen negativen Corona-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Kann er diesen dem örtlichen Gesundheitsamt nicht vorlegen, ist eine zweiwöchige Quarantäne verpflichtend.

Reisenden vertrauen

Allerdings bleibt offen, wie dies kontrolliert wird. Auf die Frage, wie die Behörden mit Reisenden aus Risikogebieten umzugehen gedenken, die einfach behaupten, sie kämen aus einer anderen Region des Landes, hieß es von Steve Alter, dem Sprecher von Innenminister Horst Seehofer (CSU): "Dieses Problem haben Sie bei jeder Reise, auch wenn Sie ein gesamtes Land als Risikogebiet einstufen und eine Reisewarnung aussprechen. Auch dann müssen Sie darauf vertrauen, dass Informationen, die Sie bekommen, der Wahrheit entsprechen."

Seehofer hat sich immer wieder für eine regionale Betrachtungsweise ausgesprochen, um – bei erhöhten Fallzahlen in einer Region – nicht gleich das ganze Land über einen Kamm zu scheren.

So hatte er im Juni Österreich um Entschärfung der Reisewarnung für das größte deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen (18 Millionen Einwohner) gebeten. Für dieses war in Wien, nach dem Ausbruch von Corona in den Tönnies-Schlachthöfen in Rheda-Wiedenbrück, eine Warnung ergangen. Seehofer drängte damals auf Beschränkungen für "regionale Hotspots", nicht gleich für ganze Bundesländer.

Auch Belgien und Israel reagieren

Neben Deutschland hat auch Belgien Wien zum Risikogebiet erklärt. Wie das Außenministerium in Brüssel mitteilte, wird Wien ab Freitag, 16 Uhr zur roten Zone.

Darüber hinaus gilt für sechs Bundesländer ebenfalls eine leichtere Warnung: Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Steiermark, Tirol und Salzburg wurden vom belgischen Außenamt als orange Zone eingestuft. Bis Freitagnachmittag gilt diese Kategorie auch für Wien.

Israel setzte Österreich ebenfalls auf die rote Liste, gemeinsam mit Kroatien, Ungarn, Slowenien. Für Einreisen gilt eine zweiwöchige Quarantäne.

Ludwig reagiert gelassen: "Objektiv nachvollziehbar"

In Wien selbst regt die Entscheidung Berlins nicht besonders auf. Für Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ist es "eine Entwicklung, die ganz Europa, vor allem die urbanen Räume, trifft". Er fügte auch hinzu: "Im Vergleich zu anderen Millionenstädten sind wir sehr gut vorbereitet, insbesondere was das Gesundheitswesen betrifft." Für die Schweiz zählt Wien schon länger zum Risikogebiet.

Ludwig hatte am Abend ein "konstruktives Gespräch" mit dem deutschen Botschafter, der ihm versichert habe, die deutsche Entscheidung beruhe lediglich auf den oben genannten objektiven Kriterien des Robert-Koch-Instituts für urbane Ballungsräume, sagte der Bürgermeister zum STANDARD. Auch für Ludwig sind diese Kriterien "objektiv nachvollziehbar", er dränge aber sehr darauf, dass nun alle gemeinsam, Bund, Länder und auch die EU-Partner, daran arbeiten, die Maßnahmen so zu verschärfen, dass die Pandemie erfolgreich bekämpft werden kann und die Zahl der Neuinfektionen wieder zurückgeht.

Das österreichische Kanzleramt und das Außenministerium wollten am Mittwoch keinen Kommentar abgeben. Grundsätzlich sprach sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) aber dafür aus, entsprechende Reisewarnungen, wo möglich, regional auszusprechen.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) warb für europaweit einheitliche Standards bei Reisewarnungen. Damit wolle er aber keinesfalls Kritik an Berlin üben.

Wirtschaft reagiert besorgt

Vor allem die Wirtschaft betrachtet die Entwicklungen besorgt. Für die Lufthansa-Tochter AUA etwa sind Strecken nach Deutschland der wichtigste Verkehr. Die AUA kann nicht ausschließen, Strecken wieder aus dem Flugplan herausnehmen zu müssen. "Wir fliegen auf Sicht, wie die Piloten sagen", meinte AUA-Sprecher Peter Thier. Die AUA kritisierte ebenfalls einen "Fleckerlteppich" nationaler Reisebeschränkungen und hofft zumindest für Europa auf einheitliche Standards.

Für die Wirtschaftskammer Österreich verschärft die deutsche Reisewarnung für Wien die wirtschaftliche Lage in der ohnedies bereits extrem geschwächten Stadthotellerie dramatisch. "Es hagelt Stornierungen und Buchungen für den weiteren Herbst bleiben komplett aus", teilte die Obfrau des Fachverbandes Hotellerie der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Susanne Kraus-Winkler, mit. Aufgrund der aktuellen Entwicklung stehe man nun vor einer Auslastung von "nicht einmal 10 Prozent", was die finanziellen Probleme der Betriebe erhöhe. Sie fordert daher weitere Hilfsmaßnahmen für die Hotellerie. Und die Wiener Stadtregierung müsse "Versäumnisse bei der Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus schnellstens aufholen".

Ludwig zeigte für den Schock der Hotellerie Verständnis – verwies aber darauf, dass die Stadt gerade ein umfassendes Hilfspaket für den Tourismus erlassen habe. (Birgit Baumann aus Berlin, Manuela Honsig-Erlenburg, Petra Stuiber, red, APA, 16.9.2020)