Es sind Lehrer aus Polen, deren Gehalt kaum fürs Leben reicht, und Roma aus Rumänien, die nach zu kurzer Schulausbildung nur wenig Aussicht auf gute Jobs haben. Es sind Arbeiter aus der Slowakei, die täglich über die Grenze pendeln, und Ehepaare aus der Ukraine wie aus Serbien, die ihre Heimat für bis zu acht Monate im Jahr für höhere Löhne im Ausland verlassen.

Ein Gemüsebauer im Marchfeld zahlte Arbeitern nur den halben Mindestlohn.
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15.000 Erntehelfer, überwiegend aus Osteuropa, arbeiten jährlich auf Österreichs Feldern. Viele treibt Armut im eigenen Land zu Jobs in der Landwirtschaft. Die wenigsten sprechen gut Deutsch. Die meisten kennen ihre Rechte hier nicht. Eingefädelt werden Saisonstellen gern über Vorarbeiter und Vermittler.

Ihr Stundenlohn liegt, nach Bundesland geringfügig variierend, bei rund acht Euro brutto. Ihre Quartiere dürfen maximal 1,31 Euro pro Tag kosten, inklusive Verpflegung nicht mehr als 6,54 Euro. So will es das Gesetz. In der Realität verdienen viele unter ihnen gerade einmal die Hälfte, sagt Gewerkschafter Karl Orthaber, der bei der Pro-Ge Erntehelfer betreut. Er erzählt von manipulierten Arbeitszeitaufzeichnungen, unbezahlten Überstunden und zahnlosen amtlichen Kontrollen. "Ich rede nicht von wenigen schwarzen Schafen. Lohn- und Sozialdumping haben in der Branche System."

"Reine Gier"

Im Frühsommer schlug ein Skandal rund um ausgebeutete Erntehelfer auf Marchfelder Spargelfeldern hart in der Landwirtschaft auf. Nun sorgt ein Salatbauer aus der gleichen Region für Schlagzeilen. Er meldete Leute zu spät oder gar nicht bei der Sozialversicherung an. Statt der offiziell vereinbarten 40 Stunden die Woche arbeiteten sie auf Niederösterreichs Äckern teils das Doppelte, bis hin zu 100 Stunden.

Josef Peck sieht darin, anders als die Gewerkschaft, Einzelfälle, wie es sie auch am Bau und in der Gastronomie gebe. Der Obmann des Verbands der Obst- und Gemüsebauern spricht von reiner Gier, die den Betrieb ins Sozialdumping getrieben habe. In der Regel würden die Arbeiter gut bezahlt. Dafür sorge auch hoher Bedarf an regionalen Produkten. "Keiner wird vom Markt dazu gezwungen, Menschen auszubeuten."

Grautöne

Marchfelder Landwirte zeichnen ein diffizileres Bild des betroffenen Bauern, ohne die Missstände zu verharmlosen. Da sei versucht worden, einen durch wirtschaftliche Fehler abgerackerten Betrieb auf neue Beine zu stellen. Viele Mitarbeiter hätten kostenlos gewohnt, durften Firmenautos nutzen, im Garten grillen.

Dass in der Branche mehr Überstunden geleistet werden, als angemeldet sind, wisse jeder, der aus der Landwirtschaft komme. Auch die Arbeiter selbst hätten Interesse daran, in der kurzen Saison, die sie in Österreich sind, so viele Stunden wie möglich reinzupacken. Überdies sei der Druck aus dem Handel vor allem bei nicht lange haltbarem Frischgemüse enorm.

Druck des Handels

Bauern berichten von Händlern, die Salat auf Kosten des Produzenten retournieren, steht er zu lang in deren Regalen. Lieferungen würden abrupt gestoppt, was die verderbliche Ware bei ihnen verfaulen lasse. Ist die Witterung widrig, drohen ungeplante Stehzeiten. Immer wieder nehme sich der Handel das Recht heraus, auch um sechs Uhr abends zu bestellen, was Arbeit bis Mitternacht nach sich ziehe.

Und diese ist hart. In den Wochen des Lockdowns, in denen auch Österreicher auf Feldern aushalfen, zeigte sich, dass die meisten von ihnen schlicht überfordert waren.

Im Vergleich zu den Einkommen im eigenen Land verdienten Saisonkräfte in Österreich immer noch erheblich mehr – was diese dazu veranlasse, der Branche oft über Jahrzehnte hinweg treu zu bleiben, betonen Bauern. In Serbien etwa würden auf Äckern in der Stunde allein 1,50 Euro rausspringen.

"Gutsherrenmentalität"

Elisa Kahlhammer beobachtet in Österreich versteckten Rassismus und Gutsherrenmentalität. Sie ist im Dienste der Erntehelfer seit Jahren auf Feldern unterwegs und koordiniert für die Gewerkschaft die Kampagne Sezonieri, die Arbeiter über ihre Rechte aufklärt.

"In Bereichen, in denen viele Migranten beschäftigt sind, fehlen Arbeitgebern Unrechtsbewusstsein und Fürsorgepflicht", sagt sie. Vielerorts klinge durch, die Leute sollten froh sein, dass sie hier besser verdienten als anderswo. Dass in Österreich jedoch Gleichstellung gesetzlich verankert ist, dass sich die Gesellschaft dazu verpflichtet hat, klare Maßstäbe zu setzen, wer wie hoch zu bezahlen ist, werde ausgeblendet. "Ja, es ist so, dass viele Erntehelfer auch mit wenig zufrieden sind. Aber das rechtfertigt nicht, Kollektivverträge zu untergraben."

Mehr Kontrollen

Orthaber fordert Kontrollen, "die diesen Namen auch verdienen". Lebensmittel würden stark auf ihre Qualität hin geprüft. Die Bedingungen, unter denen sie produziert werden, seien jedoch zweitrangig. Zuständig für Kontrollen sind Arbeitsinspektoren. Die Steiermark etwa zähle für 3.000 Betriebe lediglich zwei, die nur teils dafür zuständig seien, gibt Orthaber zu bedenken.

Der Interessenvertreter der Erntehelfer sind die Landarbeiterkammern. In Wien gibt es für rund tausend Arbeiter keine.

Den Mut, sich gegen Missstände zu wehren, haben ohnehin sehr wenige, sagt Kahlhammer. Zu klein sei das Vertrauen in die Behörden, zu groß die Angst, sich damit auch andere Jobs in Österreich zu verbauen. (Verena Kainrath, 17.9.2020)