Klaus Schiebel wünscht sich mehr Regionalität in der heimischen Industriepolitik. Der öffentliche Sektor verzichte auf viel Wertschöpfung, wenn er immer nur den billigsten, oft nichteuropäischen Anbieter nimmt.

Foto: Andreas Urban

Entblößende Kalender gehören mancherorts zum Grundrepertoire von Fertigungshallen. In Klaus Schiebels Werk prangen aber weit und breit keine nackerten Frauen an den Wänden. Dabei hat der Unternehmer gar kein Machtwort sprechen müssen. Das haben die Mitarbeiterinnen schon alleine durchgesetzt, erzählt der Maschinenbauer, der auf den für die Branche überdurchschnittlich hohen Frauenanteil in seinem Betrieb stolz ist. Dafür hängen bei den Frauen jetzt halbnackte Männer, scherzt Schiebel.

STANDARD: Wenn man im Internet nach "Schiebel" sucht, findet man nur Drohnen.

Schiebel: Keiner kennt uns. Aber unsere Stellantriebe gehören zur klassischen, jetzt durch Corona so bekannten kritischen Infrastruktur. Sie hätten kein frisches Trinkwasser, wenn unsere Antriebe nicht über die Hochquellwasserleitungen verteilt wären. Unsere Antriebe kommen im Wiener Fernwärmenetz zum Einsatz, in Kraftwerken, in Zuckerfabriken. Die Drohnen macht übrigens mein Bruder. Gegründet haben beide Unternehmen meine Eltern.

STANDARD: Aber Ihre Konkurrenten kennen Sie?

Schiebel: Ja, unsere Technologie ist weltweit einzigartig, obwohl wir ein kleinerer Player auf dem Markt sind. Die Konkurrenz sitzt in Deutschland, Großbritannien und Asien. Wobei die Konkurrenz aus Indien und China Kopien der Europäer sind.

STANDARD: Haben Sie Ihre Antriebe nicht patentiert?

Schiebel: Ich bin gegen Patente. Ich müsste darstellen, was genau ich mache, habe als mittleres Unternehmen aber nicht die finanziellen Mittel, um meine Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Meine Mitbewerber sollen wenigstens mein Produkt kaufen und auseinanderschrauben müssen, wenn sie es mir nachmachen wollen. Billige asiatische Anbieter werden in Europa immer stärker, es bräuchte ein Umdenken.

Nicht patentiert, trotzdem schwer nachzubauen: Wer seine Stellantriebe kopieren will, soll sie zuerst einmal zerlegen, sagt Schiebel.
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STANDARD: Die asiatische Konkurrenz scheint eben die attraktiveren Deals zu bieten.

Schiebel: Nur auf den ersten Blick. In der Türkei sind Aufträge für zwei Kraftwerke an chinesische Anbieter vergeben worden. Die Auftraggeber haben schnell gelernt, dass die regionale Wertschöpfung genau null beträgt. Die Chinesen kommen mit eigenen Arbeitern, bringen sogar ihr eigenes Essen mit und verbauen chinesische Komponenten. Der Auftraggeber darf danach die laufenden Kosten bezahlen. Das sind teuer gekaufte Anlagen.

STANDARD: Ihr Beispiel bezieht sich auf die Türkei. Wie ist die Situation in Österreich?

Schiebel: Auch hier lernen vor allem die öffentlichen Auftraggeber zu langsam, dass europäische, serviceorientierte Anbieter besser sind. Wir bieten Kunden zum Beispiel an, im Notfall rufbereit zu sein und Probleme mit einer Anfahrtszeit von einer halben Stunde sofort zu beheben. Das kann ein asiatischer Mitbewerber nicht anbieten. Die Wiener Wasserwerke sind fremdgegangen, aber nach ein paar Jahren wieder zurückgekommen. Ihnen hat unser Service gefehlt. Ich sichere in Liesing fast 100 Arbeitsplätze. Wir arbeiten gerne mit unseren lokalen Lieferanten im nahen Umfeld von Wien zusammen, auch wenn sie manchmal teurer sind. Aber uns ist ein schneller Service wichtiger, weil es sich mittelfristig rechnet. Eigentlich nicht nur für uns, sondern auch für die Stadt Wien, weil mehr an Abgaben und Steuern im Stadtbudget bleibt. Warum fragt mich die Stadt Wien nicht bei jedem Projekt zuerst: "Herr Schiebel, könnt ihr das?" Sie verstehen, worauf ich hinauswill.

STANDARD: Auf eine regionale Ausrichtung der Industriepolitik.

Schiebel: Es ist für mich unverständlich, wenn in einer Ausschreibung eines österreichischen öffentlichen Auftraggebers eine nichtösterreichisches Produktkomponente als Referenz angeführt wird. Es ist doch jedem klar, der bei der Ausschreibung eine Chance haben will, was er anbieten wird. Wenn ein gewisses Produkt als Referenz in der Ausschreibung steht, wird es in der Regel auch genommen.

In der Fertigungshalle wird gearbeitet, draußen dröhnt eine Baustelle. Die Erweiterung des Standorts in Wien-Liesing soll im kommenden Jahr eröffnet werden. Dazu gehört auch ein vollautomatisches Lager für Komponenten.
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STANDARD: Sehen Sie ein Umdenken in der Industriepolitik wegen Covid-19?

Schiebel: Im Februar hieß es noch "halb so wild", wenn die Industrie geschwächelt hat, jetzt ist das ganz anders. Wien ist bemüht zu sehen, wie wichtig die Industrie ist – und wie stabil sie in Krisenzeiten im Vergleich zum Tourismus ist. Dem Image der Industrie hat das kurzfristig nicht geschadet. Ich traue mich aber nicht, ein generelles Umdenken zu prophezeien. Ich fürchte, in einem Jahr werden wir wieder zurück in der alten Normalität sein. Sobald es so ist, ist Tourismus wieder das einfachere Geschäft. Industrie braucht Investitionen, Forschung, Entwicklung – es ist schwieriger, dort gut zu sein. In diesem Zusammenhang finde ich den CO2-Grenzausgleich-Klimazoll der EU gut, weil es nicht nur den weltweiten Umweltschutz vorantreibt, sondern auch die regionale Wirtschaft unterstützt.

STANDARD: Es ist in der Industrie auch schwieriger, Personal zu finden.

Schiebel: Wir finden keine Lehrlinge. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Industrie eher mit rauchenden Schloten assoziiert wird als mit Hightech-Berufen. Es müsste doch irgendwie möglich sein, den Reiz der Industrie auf den Punkt zu bringen. In anderen Ländern funktioniert es ja auch. Wenn wir es schaffen würden, Industrie ein bisschen regionaler, ein bisschen patriotischer – im positiven Sinn – zu denken, würden wir auch wieder leichter an Lehrlinge kommen. Aber wir tun auch viel im Bereich Aus- und Weiterbildung, um attraktiv zu sein.

STANDARD: Sie setzen auch auf Diversität. Macht das die Personalsuche nicht noch mühsamer?

Schiebel: Nein, das ist mir ganz wichtig. Zum einen, dass wir einen recht hohen Frauenanteil haben. Zum anderen haben wir auch gehörlose Mitarbeiter. Es ist extrem spannend zu sehen, wie unser Mitarbeiter damit umgehen. Einem Mitarbeiter haben wir aus Sicherheitsgründen untersagt, mit Kopfhörern zu arbeiten, worauf der gesagt hat: "Der Taube darf auch da hackeln." Das geht gar nicht. Aber man merkt, wie stark der Rest der Belegschaft durch die gehörlosen Mitarbeiter sensibilisiert wird und ein Lernprozess stattfindet.

Schiebel legt großen Wert auf Diversität in seiner Belegschaft – auch auf einen hohen Frauenanteil. Am Standort Liesing arbeiten mehr als 80 Mitarbeiter.
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STANDARD: Ihre Eltern haben zwei Firmen gegründet, für jeden Sohn eine. Ihre Schwester hat die Immobilien geerbt. Sie haben vier Firmen und vier Kinder. Ein Zufall?

Schiebel: Ich habe vor, noch länger zu arbeiten. Schauen wir einmal, was es dann zum Erben gibt. (schmunzelt)

STANDARD: Welche Firmen haben Sie neben der Schiebel?

Schiebel: Eine der Firmen verwaltet die Immobilie der Schiebel Antriebstechnik, die andere ist eine Filmproduktion. Wir wollten uns mit Unterwasseraufnahmen auf Werbefilme spezialisieren, sind dann aber vorerst beim Künstlerischen hängengeblieben. Wir waren sogar auf der Longlist für einen Oscar, der Film hieß "Lacrimosa". Nicht schlecht, oder?

STANDARD: Sie haben aber auch einen Kartonagehandel.

Schiebel: Den habe ich als Jugendlicher gegründet, gleich nachdem ich den Führerschein gemacht habe. Das sind so Sachen, da hängt man dran. Und bei meinem Sohn sehe ich gerade, dass das eine super Schule ist, um Hackeln zu lernen. Du musst selber fahren, du musst die Kartons tragen, und du bist ganz nah am Kunden dran. Wenn etwas nicht passt, kriegst du das voll ab.

STANDARD: Was ist das Wichtigste beim Arbeitenlernen?

Schiebel: Dass man einen Beruf findet, der auch ein Hobby ist. Es muss Freude machen. Ich vermisse das schon ein bisschen bei der jungen Generation, auch bei den Bewerbungen, die ich bekomme. Aber wenn man sucht und Dinge ausprobiert, dann findet man auch eine Arbeit, die zugleich eine Leidenschaft ist. Ich sehe das bei meinem ältesten Sohn, der eine Schusterlehre macht und seinen Beruf liebt. Da geht einem richtig das Herz auf.

Drohnen macht Klaus Schiebel keine. Aber die Schiebel Elektronische Geräte GmbH stellt welche her. Sie und die Schiebel Antriebstechnik GmbH sind aber verwandt – gegründet haben beide Unternehmen Klaus Schiebels Eltern.
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STANDARD: Wo wollen Sie Ihr Hobby, die Schiebel, hinentwickeln?

Schiebel: Wir sind in den vergangenen Jahren so stark gewachsen, ich muss mich einmal daran gewöhnen, dass wir jetzt ein mittleres und kein kleines Unternehmen mehr sind. Aber mir schweben am ausgebauten Standort Liesing, den wir bald in Betrieb nehmen, schon 150 Mitarbeiter vor. So stark wollen wir auf jeden Fall wachsen.

STANDARD: Sie sind aber recht stark im Öl- und Gasbereich aktiv. Sind das nicht sterbende Branchen?

Schiebel: In der Vergangenheit gab es die eine oder andere heftige Watsche in dem Bereich, das Russland-Embargo 2014 hat uns hart getroffen. Aber tot sind Öl und Gas noch lange nicht: Sie werden noch lange wichtige Energieträger bleiben. Als Mittelständler sind wir aber eh gezwungen, breit aufgestellt zu sein. Um erfolgreich zu sein, muss man ohnehin über viele Branchen diversifizieren. (Aloysius Widmann, 19.9.2020)