Ist es noch die einprogrammierte Selbstüberschätzung oder schon das Hinübergleiten in einen angemessenen Cäsarenwahn? Mit dem geballten Trotz eines an Viktor Orbán gereiften EU-Kritikers hat Sebastian Kurz kürzlich der deutschen Bundeskanzlerin ein "Österreich entscheidet souverän!" entgegengeschleudert. Hatte es diese berüchtigte Symbolpolitikerin doch gewagt, den wahrhaft humanistischen Ansatz einer vorauseilenden Kindesweglegung als "nicht gut" einzuschätzen. Was erlaubt sich diese Frau?

Nun ist nichts von einer Willenskundgebung des österreichischen Volkes bekannt, auf den sich eine souveräne Entscheidung Österreichs gründen könnte, Migrantenkindern aus Moria die Aufnahme hier zu verweigern. Aber unter einer türkisen Kanzlerschaft wird das Volk als Souverän vielleicht eine Fußnote innerhalb unserer schönen Verfassung, außerhalb aber entbehrlich, wenn der Bundeskanzler nach drei Jahren mühseligen Fuhrwerkens endlich dabei ist, mit diesem Österreich zu einer Unio mystica zu verschmelzen, der kein Pull-Effekt mehr etwas anhaben kann.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

An der Frage "Was ist dieses Österreich?" haben sich seit gut zweihundert Jahren große Geister auf den Gebieten der Dichtkunst und der Politik abgearbeitet, stets voller Zweifel und ohne zu einem definitiven Ergebnis zu kommen. Aber davon darf man ausgehen: Franz Grillparzer hätte der Schlag getroffen, hätte man ihn mit der Vision konfrontiert: Österreich ist Kurz. – Das Leben ein Albtraum.

Christliche Reste

Nun ist nichts mehr daran zu ändern, an der Verkurzung Österreichs führt kein Weg vorbei, zumal er sich bei der Säuberung des Landes von christlichen Resten auf das bisher nicht erkennbare Organ eines Gewissens beruft. Das braucht er, um damit nicht vereinbaren zu können, was dem Geist seiner vorigen Koalition widerspricht. Weniger Gebrauch macht er davon, wenn er der Öffentlichkeit etwas von 3.700 Kindern vorschwafelt, deren Aufnahme jeden weiteren Humanitätssymbolismus überflüssig machen soll. Seine Position ist: Lasset die Kindlein nur nicht zu mir kommen, dann werden die Schlepper in sich gehen und auf ein anständiges Leben umsteigen. Bisher hat das ja prächtig funktioniert. Man kann von Frau Merkel natürlich nicht erwarten, dass sie für diese Auferstehung Österreichs zu wahrer Souveränität in der Person des Bundeskanzlers Verständnis aufbringt. Mit ihrem symbolischen "Wir schaffen das" hat sie sich für einen türkisen Humanismus der Verweigerung schon früh disqualifiziert. Sie entspricht damit auch nicht der Rolle, die ein österreichischer Bundeskanzler weiblichen Mitgliedern seiner Regierungsfraktion zugedacht hat: auf Befehl vor die Presse zu treten und das Befohlene herunterzuleiern. Da sind seine Leibtrabanten Nehammer und Schallenberg aus anderem Holz geschnitzt. Ganz anderem.

Umso bedauerlicher, dass es noch Kräfte gibt, die diese Verschmelzung von Kanzler und Republik zu einem souveränen Entscheidungskörper bei tendenzieller Herabschaltung des Parlaments nicht freudig begrüßen. Aber nicht einmal Unbelehrbare in seiner eigenen Partei werden Kurz an der Umsetzung dieses patriotischen Projekts hindern. Er entscheidet souverän. (Günter Traxler, 18.9.2020)