Szenen aus den vergangenen Tagen. In einer Wiener Volksschule wird ein Kind positiv auf das Coronavirus getestet. Die Klasse wird heimgeschickt, die Kinder sollen in Quarantäne, sagt die Schule, die Gesundheitsbehörden würden sich melden. Niemand meldet sich. Manche Eltern organisieren selbst Tests, warten Tage, keiner weiß, was Geschwisterkinder machen sollen. Zu Hause bleiben, in den Kindergarten gehen?

Zwei Mitarbeiter einer Beratungseinrichtung haben zeitgleich Kontakt zu einem Klienten, der positiv ist. Beide rufen 1450 an, allerdings wohnsitzbedingt in anderen Bundesländern: Einer soll sofort testen kommen, der Zweite wird nicht als Verdachtsfall eingestuft.

Der Mitarbeiter einer Agentur in Niederösterreich hat Covid-19. Er informiert seinen Chef. Ein Contact-Tracing gibt es nicht, keine Behörde meldet sich. Der Agenturchef lässt sich selbst testen, ist positiv und geht in Selbstisolation.

In einer anderen Volksschule wird ebenfalls ein Kind positiv getestet, die Eltern mancher Kinder warten ganze sechs Tage auf das Ergebnis.

In der Wiener Corona-Teststraße beim Prater stehen hunderte Autos, die Auskunft: Die Wartezeit vor Ort beträgt fünf Stunden, man solle lieber fahren.

Corona-Teststation in Wien.
Foto: Christian Fischer

Zu Beginn der Pandemie in Österreich hatte Kanzler Sebastian Kurz gesagt, dass schon bald jeder jemanden kennen wird, der an Corona gestorben ist. Dazu kam es zum Glück nicht. Inzwischen kennen aber wohl die meisten Bürger jemanden, bei dem die Corona-Teststrategie und die Nachverfolgung der Kontaktketten von Infizierten nicht funktioniert hat. Das Tracing findet oft nicht statt, an Schulen gibt es keine einheitlichen Vorgaben, keine Informationen an Eltern, die Informationen von 1450 sind oft widersprüchlich, Absonderungsbescheide kommen spät oder nie an.

Wucht der Pandemie

Für diese chaotischen Verhältnisse gibt es zwei Ursachen: Zunächst ist die Pandemie ab Ende August überraschend schnell zurückgekehrt, binnen weniger Tage stieg die Zahl der Fälle auf über 700 an. Die Zahl der Patienten im Spital und auf Intensivstationen nahm rapide zu. So dramatisch hatte das niemand erwartet. Die Wucht der Pandemie hebelte die Corona-Ampel aus.

Und die Zeit, die Österreich mit dem Lockdown gewonnen hat, wurde nicht genutzt. Wien hat die Situation verschlafen: Am Mittwoch kündigte Bürgermeister Michael Ludwig an, dass die Stadt 1000 zusätzliche Mitarbeiter aufnehmen will, auch für die Kontaktverfolgung. Das ist löblich. Aber man fragt sich: Echt jetzt, das fällt der Stadt Mitte September ein? Warum nicht im April oder Mai?

Das Versäumnis wirkt sich im Ballungszentrum rasch aus. Aber ganz Österreich steht überfordert da, auch Teile Vorarlbergs und Tirols sind auf der Ampel orange. Das Versäumnis wiegt umso schwerer, wenn man es mit den Ausgaben für die Rettung der Wirtschaft vergleicht. Österreich hat Milliarden ausgegeben, um Firmen zu stützen und Jobs zu retten. Da ist es nicht machbar, kräftig ins Gesundheitsmanagement zu investieren, tausende Leute fürs Labor, fürs Contact-Tracing, für die Hotline einzustellen und die Prozesse gut zu managen?

Angesichts der hohen Infektionszahlen ist es richtig, wenn Türkis-Grün nun schärfere Maßnahmen setzt und etwa Indoor-Treffen einschränkt. Eine Überlastung des Gesundheitssystems wäre fatal. Aber dass die Situation derzeit außer Kontrolle erscheint, dafür ist die Regierung mitverantwortlich. (András Szigetvari, 17.9.2020)