Wie immer in Krisengebieten sind vor allem Zivilisten die Leidtragenden. Immer mehr Menschen werden in Mosambik Land zu Binnenvertriebenen.

Foto: EPA/RICARDO FRANCO

Ein mit einem Handy aufgenommenes verwackeltes Video zeigt fünf Uniformierte, die einer Frau auf einer Teerstraße folgen. Die Frau ist nackt. Als die Soldaten sie eingeholt haben, schlägt einer ihrer Verfolger mit einem Holzstock auf sie ein: zwölf Hiebe, auf die Beine, auf den Rücken, ins Gesicht. Die Frau schreit, versucht zu rennen, stolpert, einer der Uniformierten schießt mit seiner Kalaschnikow in ihre Brust, sie taumelt, weitere Schüsse folgen, die Frau fällt auf den Teer, mehr Schüsse, sie bewegt sich nicht mehr. Die Uniformierten entleeren ihre Magazine in den Körper der Toten, insgesamt 36-mal. Der filmende Soldat macht noch schnell ein Selfie von sich mit Siegeszeichen, er lächelt.

Das Video wurde im Norden des südostafrikanischen Staates Mosambik aufgenommen, nahe dem Dorf Awassi, das beim Kampf des mosambikanischen Militärs gegen islamistische Rebellen als strategisch wichtig gilt. Den portugiesischen Gesprächsfetzen der Uniformierten ist zu entnehmen, dass sie die Frau für eine Sympathisantin der Rebellen halten, deshalb musste sie sterben.

Selbst die mosambikanische Armeeführung zeigt sich über das im Internet verbreitete Video entsetzt: "Wir heißen keine barbarischen Akte gut", heißt es in einer ersten Erklärung. Allerdings sei der Beweis nicht erbracht, dass es sich tatsächlich um Soldaten handelte. Auch die Rebellen pflegten mosambikanische Uniformen zu tragen, um den Gegner zu verwirren. Man kündigt eine Untersuchung an.

Schwere Verbrechen

Amnesty International berichtete bereits Anfang des Jahres von schweren Menschenrechtsverletzungen der mosambikanischen Armee. Der Organisation liegen offenbar entsprechende Videos vor: Sie zeigen eine versuchte Enthauptung, Folterungen und die Hinrichtung angeblicher Kämpfer der Islamistengruppe Ahlu Sunnah Wa-Jamo (ASWJ). Mosambiks Sicherheitskräfte betrachteten "ihre Gegner offenbar nicht als Menschen", sagt Pierd Pigou von der Internationalen Krisengruppe (ICG). Bestraft wurde deshalb noch niemand.

In dem seit drei Jahren anhaltenden Konflikt in der nordmosambikanischen Provinz Cabo Delgado liegen die Nerven blank. Den Truppen der Armee und der Spezialpolizei gelingt es partout nicht, die Aufständischen in den Griff zu bekommen, die sich selbst wie in Somalia "al-Schabab" (arabisch: die Jungs) nennen. Anfang August gelang es den "Jungs" ein zweites Mal, das Hafenstädtchen Mocímboa da Praia einzunehmen: Von dort aus werden die Vorbereitungen zur Ausbeutung eines der größten Gasfelder des Kontinents vor der Küste im Indischen Ozean versorgt. Internationale Ölmultis wie Exxon Mobil und Total werden dort über 50 Milliarden Dollar investieren, das derzeit größte Wirtschaftsprojekt Afrikas.

Hinterhof des Landes

Der Aufstand ist eine Folge des Megavorhabens: Die überwiegend muslimische Bevölkerung Cabo Delgados sieht sich von der mehrheitlich christlichen Regierungselite im Süden wieder einmal über den Tisch gezogen.

Der Norden Mosambiks gilt schon seit Jahrzehnten als Hinterhof des Landes: Hier wurden höchstens illegale Geschäfte gemacht, Rauschgift-, Waffen- oder Wildtierhandel. Die Bevölkerung der Provinz will jetzt endlich ebenfalls vom Rohstoffsegen vor ihrer Küste profitieren – oder andernfalls das Vorhaben stoppen. Und die "Jungs" wussten sich an die Spitze des Unmuts zu stellen.

Weitere Landgewinne

Mussten sie bei ihrer ersten Einnahme des Hafenstädtchens schon nach wenigen Tagen wieder das Feld räumen, so vermochte al-Schabab diesmal Mocímboa da Praia zu halten. Mosambiks Sicherheitskräfte zeigten sich außerstande, das Städtchen zurückzuerobern. Inzwischen nutzen die "Jungs" Mocímboa als Stützpunkt für weitere Geländegewinne: Mit zwei von der fliehenden Armee zurückgelassenen Schnellbooten nehmen sie derzeit eine Insel nach der anderen ein.

Das peinliche Versagen der Sicherheitskräfte rief bereits den südafrikanischen Staatenbund SADC auf den Plan: Für Südafrika, Tansania oder Simbabwe wäre ein Scheitern des Megaprojekts genauso katastrophal wie die Etablierung eines islamistischen Emirats in ihrem Hinterhof. Al-Schabab erklärte im vergangenen Jahr seine Loyalität zum "Islamischen Staat" (IS). Noch scheuen die SADC-Mitglieder vor einer militärischen Intervention in Nordmosambik zurück. Die RegierungMosambiks habe noch keinen Zeitplan für einen derartigen Einsatz vorgelegt, spielt Südafrika den Ball zurück. In Zeiten von Corona und der Kernschmelze seiner Wirtschaft steht in Südafrika keinem der Sinn nach Militäreinsätzen.

Derweil leuchten bei Exxon Mobil und Total die Warnlampen auf: Plötzlich sieht es so aus, als ob die "Jungs" das Projekt tatsächlich zum Erliegen bringen können. Deshalb wollen sich die Multis an der Sicherung ihres Gasfeldes nun auch selbst beteiligen. In Mosambik bahnt sich ein neuer Schauplatz des "Fluchs der Bodenschätze" an. (Johannes Dieterich, 18.9.2020)