Wir alle kennen viele, denen es so oder so nicht gutgeht. Und das alles findet seinen Niederschlag in der Firma.

Karl Schöndorfer TOPP

Die Prophezeiung Sebastian Kurz’ zu Beginn der Pandemie, dass bald jeder jemanden kennen wird, der ..., ist nicht wahr geworden. Das wird ihm zu Recht vorgeworfen. Faktisch ist es aber ausschließlich ein Grund, um froh zu sein, dass nicht eingetroffen ist, was mancher sagte oder vielleicht sogar glaubte.

Was nicht prophezeit wurde, aber großflächig eingetroffen ist, sieht so aus:

Jede(r) kennt jemanden, der seinen Job verloren hat oder eine Riesenangst vor Arbeitsverlust hat. Jede(r) kennt viele, die für sich selbst und für ihre Familienmitglieder nicht mehr wissen, wie sie ihr Leben, ihre Ausbildungen, die nächsten Schritte im Leben planen sollen oder können. Jede(r) kennt viele, die sich überhaupt nicht mehr auskennen mit den Mechanismen der Maßnahmenverschärfungen und Maßnahmenlockerungen, bei denen die Warnfarben der Corona-Ampel nichts als Ohnmacht und Verwirrung auslösen, die nicht mehr wissen, was sie ihren Kindern sagen, verbieten oder erlauben sollen. Wo sie hingehen sollen oder nicht.

Jede(r) kennt jemanden, der "auszuckt" und komisch geworden ist, weil die echten menschlichen Kontakte und Verbindungen fehlen. "Geh weg von deinem Mitmenschen" entspricht nun einmal nicht menschlichen Bedürfnissen.

Jede(r) kennt viele, denen die anfängliche Lust auf Brotbacken, neues Cocooning und ein bisschen Diskussion über Corona-Speck um die Leibesmitte gründlich vergangen ist, die statt in den Spiegel zu schauen und "bitte nicht" zu denken aus dem Fenster schauen und sich fragen "Und jetzt?", während im Fernseher unerträgliche Bilder des Flüchtlingsleids flimmern.

Wir alle kennen viele, denen es so oder so nicht gutgeht. Und das alles findet seinen Niederschlag in der Firma, wir alle tragen das alles natürlich auch in die Arbeit mit und stecken damit Kolleginnen und Kollegen an, stecken einander emotional an.

Was würde helfen? Klarheit. Aber die wird so schnell nicht zu kriegen sein. Also sind wir gefordert, möglichst viel auch gegen die emotionale Negativansteckung zu tun. Etwa, indem wir bewusst freundlich, bewusst liebevoll und beruhigend mit den Kollegen umgehen und sprechen. Indem wir, wo immer es geht, Humor einbringen und kleine Fehler so gut es geht übersehen. Indem wir anerkennen, dass es vielen nicht gutgeht, auch wenn sie es nicht aussprechen. (Karin Bauer, 21.9.2020)