Armitage verbindet Albträume und Mythen mit Politik.

F.: M. Armitage / White Cube / Ollie Hammick

Politische Unruhen in Kenia, Albträume wie bei Goya: In den Bildern von Michael Armitage verschmelzen Motive und Maltraditionen aus Europa und Ostafrika zu einem universellen Thema. Es nennt sich das Chaos der menschlichen Existenz.

Fahrt aufgenommen hat seine Karriere mit der Einladung zur Venedig-Biennale 2019, es folgte eine Soloschau im New Yorker MoMA, seither wird der britisch-kenianische Künstler Michael Armitage gern als eine der spannendsten Stimmen der Gegenwartsmalerei bezeichnet. Zu so einem Titel muss man es mit großformatigen narrativen Schinken, wie sie Armitage in Öl malt, erst einmal bringen.

Was es mit dem Hype auf sich hat, lässt sich jetzt in München eingehender erkunden, das Haus der Kunst widmet Armitage seine bisher umfangreichste Ausstellung. Paradise Edict heißt sie, und vor dem gleichnamigen Gemälde verfällt man umgehend der puren Schaulust, die der Künstler geschickt provoziert. Nackte Füße baumeln aus pastellgelben Wolken, darunter liegt eine in zart leuchtenden Farben gemalte Landschaft, aus der sich allmählich auch brutale Szenen der Gewalt und verrenkte Körper herausschälen.

Woanders wird eine Kundgebung der größten kenianischen Oppositionspartei in blasses Lila und kräftiges Grün getaucht zu einer surrealen Szene. Einige Teilnehmer sind auf einen Baum geklettert, um besser sehen zu können, unter ihnen hockt eine ins Groteske vergrößerte Kröte. Aufruhr, Aufstand, uneingelöste Versprechen: Tiere tauchen in dieser Gemengelage des Öfteren wie rätselhafte Fabelwesen oder als Hofnarren verkleidet auf. Oder sie sind Verführer, wie der mit einem Leoparden-Bikini bekleidete Affe, den der Künstler zusammen mit anderen Tierbildern an den Anfang der Schau stellt.

In den Kenyan Election Series beschäftigt sich Armitage, der 1984 in Nairobi geboren wurde und heute in London lebt, mit den Parlamentswahlen in Kenia 2017. Die Art, wie er auch hier Albtraumhaftes, mythisch Aufgeladenes, Erinnertes und Tagespolitisches mit einander verschmelzen lässt, entzieht sich einer einfachen Deutung, man hat es mit einem Dickicht an Bezügen zu tun.

Entlarvender Blick

Nicht von ungefähr kommt einem darin manches bekannt vor: Armitage zitiert Goya und Matisse, lässt eine wie von Gauguin gemalte Liegende auf einem Plakat von Demonstranten auftauchen, bezieht sich aber ebenso auf Maler aus Ostafrika, kurzum: Er schöpft aus europäischen wie afrikanischen Kunsttraditionen – und entlarvt dabei auch den exotisierenden Blick auf Afrika.

Speziell ist auch das von ihm verwendete Material: Er malt auf Lubugo, einem vliesähnlichen Material, das in Uganda in einem aufwendigen Prozess aus der Rinde der Natalfeige gewonnen wird und traditionell auch als Leichentuch verwendet wurde. Armitage entdeckte es vor einigen Jahren auf einem Touristenmarkt in Nairobi. Als Malgrund ist das Rindentuch ein herausforderndes Material, auf das der Künstler mehrere dünnflüssige Lasuren aufträgt und dessen Unebenheiten, Nahtstellen, er wie Narben, Brüche und Verletzungen in seine Motive hineinwirken lässt.

Über die Herstellung von Lubugo und darüber, wie ausführlich Armitage sich in Skizzen und Aquarellen mit der Darstellung von Gestik und Mimik auseinandersetzt, bevor seine Großformate entstehen, wird man in einem separaten Ausstellungsteil unterrichtet. Hier gibt es außerdem einen Überblick über Werke ostafrikanischer Künstler des 20. Jahrhunderts von Meek Gichugu bis Jak Katarikawe zu sehen.

Das ist eine ebenso spannende wie konsequente Erweiterung der Schau und Verortung von Armitages Kunst, freilich dominieren letztlich seine wirkmächtigen Gemälde: Da taucht etwa das verordnete Paradies als Aktenvermerk wieder auf. Das Papier liegt auf der Straße, darüber hockt – unbeeindruckt vom Tumult und dem Rauch der Molotowcocktails, der ihn umgibt – ein Pavian.

Manches davon erinnert in seiner Unmittelbarkeit an Murales, immer wieder stößt man bei Armitage auch auf ein gewitztes Spiel mit Perspektiven. Auch in den Landschaftsbildern kreisen zu einem dichten Gewebe verknüpfte Szenen, Mythen und Traditionen aus verschiedenen Welten letztendlich um das Chaos menschlicher Existenz. Zu zeigen, dass das ein zutiefst universelles Thema ist, ist das große Verdienst dieser Malerei. (Ivona Jelcic, 19.9.2020)