"Die Hoffnung, dass wir das Virus mit strengen Maßnahmen ausrotten können, können wir abhaken", sagt Franz Allerberger, Leiter des Geschäftsfelds Öffentliche Gesundheit der Ages.

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Linz/Wien – Mediziner haben am Freitag in Linz die derzeitige Teststrategie in Österreich kritisiert: Es werde zu viel und zu "unreflektiert" getestet, etwa bei den Gastro- und Tourismusscreenings. Zudem appellierten sie bei einer Pressekonferenz der Ärztekammer Oberösterreich, die Tests wieder in die Hände von Ärzten zu legen, und riefen die Patienten auf, sich nicht vor Arztpraxen oder Spitälern zu fürchten.

Die anwesenden, teils namhaften Mediziner drängten auf eine Rückkehr zu einem normalen Betrieb in den Ordinationen. "Die Hoffnung, dass wir das Virus mit strengen Maßnahmen ausrotten können, können wir abhaken", sagte Franz Allerberger, Leiter des Geschäftsfelds Öffentliche Gesundheit der Ages. Sars-CoV-2 werde sich künftig "dazugesellen zu den anderen Winterinfekten. Darauf muss man sich einstellen." Ein Kind, das 39 Grad Fieber habe, gehöre aber in jedem Fall zum Arzt. Man solle also nicht wegen Corona einen Bogen um die Arztpraxen zu machen.

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Der Gesundheitswissenschafter Martin Sprenger betonte, dass in der Medizin immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelte. Der Nutzen müsse größer sein als die Nebenwirkung – er verwies dabei auf die "Nebenwirkungen" des Lockdowns: "Arbeitslosigkeit verdoppelt das Sterberisiko", meinte er und wies darauf hin, dass viele Menschen wegen anderer Beschwerden – von Herz-Kreislauf- bis hin zu psychischen Problemen – nicht zum Arzt gegangen seien.

"Wenn wir jetzt wieder Ängste schüren, wird die Unterversorgung wieder zunehmen", warnte Sprenger, dass sich dann erneut viele scheuen könnten, in die Ordinationen zu gehen, aus Angst, sich anzustecken. Die am Donnerstag von der Regierung angekündigten Einschränkungen für Feiern hält er ebenfalls nicht für verhältnismäßig: "Verbieten wir Partys wegen anderer Gesundheitsrisiken? Nein." Es müsse sich eben ein anderer Umgang mit Infektionskrankheiten etablieren, auch eine Impfung hält Sprenger "nicht für ein Exit-Szenario".

Kritik an Teststrategie

Kritik übten die Ärzte an der derzeitigen Teststrategie: Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz, sprach sich gegen die derzeitige Praxis aus, "kreuz und quer" durch diverse Branchen asymptomatische Personen zu testen. "Derzeit messen wir ein Merkmal, das aber nicht zwingend bedeutet, dass jemand krank ist", sagte sie, schließlich würden 90 Prozent der Infektionen "absolut keinen schweren Verlauf nehmen". Auch Wolfgang Ziegler, Obmann der Sektion Allgemeinmedizin in der Ärztekammer Oberösterreich, meinte: "Es wird zu viel getestet." Die Entscheidung, ob jemand getestet werde, müsse wieder bei den Ärzten liegen und nicht bei der Hotline 1450, meinten beide.

Keine Angst vorm Spital

Darüber hinaus befürchten die Mediziner, dass andere – auch schwere – Krankheiten durch Corona in den Hintergrund geraten. Vor allem in der ersten Phase hätten viele vor dem Spital Angst gehabt, sagte Rainer Gattringer, Facharzt für Innere Medizin, Klinische Mikrobiologie und Hygiene am Klinikum Wels-Grieskirchen. Aber die Krankenhaushygiene in Österreich zähle zu den besten. "Trauen Sie sich in die Krankenhäuser", appellierte er. Auch die Hausärzte hätten viel in Sachen Ordinationsmanagement und im Umgang mit möglicherweise infektiösen Patienten gelernt, so Ziegler, mittlerweile gebe es ein räumliches und zeitliches Abstandmanagement et cetera. "Wir können das managen", meinte auch Sprenger. "Liebe Politik, kein Grund zur Panik, kommts wieder runter!" (APA, 18.9.2020)