Bio-Avocados vermitteln uns kurz das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Das Klima retten sie nicht.

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Zahnbürsten aus Bambus statt Plastik, den Coffee to go im mitgebrachten Becher, Avocados aus fairem Anbau: Wenn wir nur richtig konsumieren, dann retten wir die Umwelt. So lautet der Konsens in meiner Umgebung und im politischen Feuilleton. In meinem Freundeskreis tauscht man sich über Tipps für die besten nachhaltigen Modelabels aus. Magazine geben Tipps, wie man den Alltag "grüner" macht – auch im STANDARD geschieht das. Instagram-Feeds quellen geradezu über vor Werbung für Produkte, die die Welt retten sollen.

Der Impuls zu handeln, wenn ein Problem auftritt, ist edel. Doch er kippt ins Egoistische, wenn das Handeln allein den Zweck erfüllt, sich als besserer Mensch zu fühlen. Vor allem: In Sachen Klimaschutz reicht es längst nicht mehr, wenn sich alle ein wenig zusammenreißen, mehr für die richtigen Produkte ausgeben – und meinen, dadurch wird alles gut.

"Alle ein bisschen" ist nicht genug

Biolebensmittel und nachhaltige Produkte sind so verbreitet wie nie – und trotzdem brennt der Planet weiterhin buchstäblich an allen Enden: Kalifornien, Australien, Südamerika, Zentralafrika. Die Durchschnittstemperaturen steigen, die Polkappen schmelzen. Es ist mittlerweile keine Übertreibung mehr, sondern breiter Konsens: Wir steuern auf eine immense Klimakatastrophe zu. Wir sollten schnell und effektiv handeln, um diese Katastrophe zu verhindern. Das Problem ist zu groß, die Folgen zu schwerwiegend, als dass wir die Verantwortung dem Einzelnen überlassen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden Tierarten aussterben, ganze Landstriche unbewohnbar werden und unsere Lebensmittelversorgung kollabieren.

Sind Bio-Tomaten aus Spanien oder die konventionellen aus Österreich besser? Es ist die falsche Diskussion.
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So zu tun, als würde uns nachhaltiger Konsum allein aus dieser Misere führen, ist deshalb zynisch. Viele verlieren sich in Kleinstdiskussionen darüber, ob denn nun Biotomaten aus Spanien besser für die Umwelt sind als die konventionellen aus Hintertupfing.

Mich ärgert diese Scharade, weil sie ins Leere führt. Ich will keine Einkaufstipps, ich will keine Life-Hacks, und ich will schon gar keine Empfehlungen für nachhaltige Produkte. Das wird die drohende Umweltkatastrophe nicht aufhalten. Ich will wirklich die Umwelt retten, nicht nur selbst das Gefühl haben, "halt irgendwas getan zu haben". Gute Vorsätze und ein Biojoghurt reichen nicht.

Ein striktes Umweltgesetz hingegen, dass es Unternehmen verbietet, auf Kosten der Umwelt zu wirtschaften, kann wirklich etwas verändern. Denn es setzt nicht mehr auf Freiwilligkeit und nicht mehr auf den einzelnen Konsumenten. Es nimmt jene in die Verantwortung, deren Handeln weitreichende Folgen hat: die großen Firmen.

Ich will Umweltgesetze, die so streng sind, dass die Vorstände von Konzernen wie Shell oder Gazprom die Entwicklung nicht weiter ignorieren können, weil sie ihr Unternehmen umbauen müssen. Ich will Standards und Richtlinien, die es Firmen unmöglich machen, unsere Umwelt für ihren Profit zu zerstören.

Nur 100 Unternehmen sind für über 70 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.
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Unternehmen packen, wo es wehtut

Baugesetze, Handelsabkommen, Sozialgesetze – statt schwammigen Kann-Bestimmungen müssen handfeste Regelungen für alle Bereiche der Gesetzgebung her. Sie sollen die Unternehmen dort packen, wo es ihnen wehtut: bei ihren Zahlen. Ich will Abgaben und Besteuerungen für Großkonzerne, die die Globalisierung nutzen, um diesen Planeten in die Hölle zu wirtschaften. Die Regeln, die ich mir wünsche, sollen so streng, so unumgänglich sein, dass selbst der findigste Unternehmensberater keinen Ausweg sieht, als seinen Kunden zu raten: Haltet euch lieber daran.

In österreichischen Unternehmerkreisen heißt es oft, zwei Dinge sind sicher: der Tod und die Sozialversicherungszahlungen. Ich möchte, dass eine dritte Sache hinzukommt: die Kontrollen der Umweltbestimmungen. Denn nebenbei geht in der Diskussion um Nachhaltigkeit eine wichtige Wahrheit unter: Nur 100 Unternehmen sind für über 70 Prozent der Treibhausgasemissionen zwischen 1988 und 2015 verantwortlich, 25 von ihnen für über die Hälfte. Darunter finden sich etwa Gazprom, Exxonmobil und BP, um exemplarisch drei Firmen zu nennen.

In der Umweltdebatte wird permanent über die Verantwortung des Einzelnen geredet, aber sehr wenig über die Pflicht dieser Großen: Sie dürfen unser aller Leben nicht für ihren Profit zerstören.

Politiker sind die wahren Influencer

Zudem findet eine Verschiebung der Verantwortung statt. Unternehmen haben uns die Klimakrise eingebrockt. Aber die Schuld und die Kosten des vermeintlich ethischen Konsums soll der einzelne Konsument tragen? Das ist fast ironisch, denn der Dschungel an Nachhaltigkeitssiegeln macht ethischen Konsum mittlerweile komplizierter als so manche Ethikvorlesung.

Dennoch: Dieser Text ist kein Plädoyer dafür, ein extra klimaschädliches Auto zu kaufen oder das billigste Steak zu essen. Er ist eher eine Erinnerung. Widerstehen Sie dem Bedürfnis, nur Kleinigkeiten in ihrem eigenen Umfeld zu ändern. Der Kauf von nachhaltigen Produkten ist eine Lifestyle-Entscheidung: Sie vermittelt höchstens kurz das Gefühl, etwas getan zu haben gegen diese große Bedrohung vor uns. Mehr nicht.

Konzentrieren Sie sich auf die Hebel, die die größte Wirkung haben. Sie können etwa ihren Politikern schreiben: ihrem Bürgermeister, Landtagsabgeordneten oder sogar dem Bundeskanzler persönlich. Viele Politiker haben auch Sprechstunden. Rufen Sie sie an. Diese Staatsdiener haben die Macht, wirklich große Veränderungen für viele Menschen durchzusetzen. Sie sind quasi die wahren Influencer.

Egal wie: Kontaktieren Sie Politiker, äußern Sie Ihre Wünsche. Kurzum: Seien Sie lästig, seien Sie unbequem – an den richtigen Stellen. Das alles ist weniger Instagram-tauglich als ein neuer Pulli aus Biowolle. Aber es ist effektiver. (Ana Grujić, 22.9.2020)