Festspiele werden heuer auch in Tirol gewagt, nicht alle sind möglich, aber in Schwaz und Innsbruck gibt es derzeit Klangspuren, das Festival für Neue Musik. Beachtenswert, dass sich in kürzester Planungszeit nicht nur Zufallsabende ergaben, sondern konzeptuelle Programme. Seit März hat der künstlerische Leiter Reinhard Kager unter dem Motto "Zeitzeichen" neue Zeitbezüge und Aspekte kuratiert. Dass er sich Corona-bedingt vorwiegend auf österreichische bzw. hier lebende Künstler konzentrierte, zeigt Potenzial und internationale Strahlkraft der heimischen Musikszene.

Mit Adriana Hölszkys Violinkonzert Apeiron begann das Festival, und dieser Begriff für Unbegrenztes, Unvorhersehbares, Unermessliches führte, wenn auch in völlig differente Ausdrucksspektren, direkt zu Wolfgang Mitterers einstündigem Grand jeu 2 für Orgel und Elektronik in die Innsbrucker Hofkirche. Der Osttiroler Spezialist für elektroakustische Musik, gleichermaßen faszinierend als Komponist, Organist und Improvisator, verschränkte dort mit seinen unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten der Transformation und Klangfantasie in strukturierter Komposition und Spontanität die Ebert-Orgel von 1561 mit Keyboardsound.

Zwei Orgeln, die den Kirchenraum mit seinen überlebensgroßen Bronzefiguren um das leere Grabmal Maximilian I. mit zarten melodischen Ansätzen, Figuration und wunderbaren Klangfindungen umspielten und mit Farbrausch und heftig aufbegehrenden Clustern umspülten. Mitterer unterläuft jede Erwartungshaltung mit Klangverschiebungen und Schichtaufbau. Der Raum wird neu erfahren und die Klangästhetik neu definiert in dieser ungeheuren Komplexität, weil das weitgehend im Originalzustand befindliche Renaissanceinstrument mit Eberts geschärften Registern auf die neutralen Töne der Elektronik traf. (ust, 19.9.2020)