Gernot Blümel steht derzeit früher auf als sonst. Das liegt beim Spitzenkandidaten der ÖVP nicht nur am Wiener Wahlkampf und seinem Zweitjob als Finanzminister, sondern vor allem an seiner Tochter, die im März zu Welt kam – wenige Tage vor dem Lockdown. In seinem Büro in der Lichtenfelsgasse hängen kaum Bilder – dafür viele Wahlplakate, auf denen er selbst zu sehen ist.

STANDARD: Sie sind Finanzminister, Wiener Spitzenkandidat und Jungvater – als Frau würden Sie das vermutlich täglich gefragt: Geht sich das aus mit der Dreifachbelastung?

Finanzminister und ÖVP-Wien-Spitzenkandidat Gernot Blümel will, dass seine Tochter im Kindergarten das Nikolausfest feiern kann.
Foto: Christian Fischer

Blümel: Es ist eine große Herausforderung. Aber zum Glück schläft meine Tochter relativ gut. Meine Zeit mit ihr ist in der Früh. Ich stehe um sechs mit ihr auf, wechsle ihre Windel und kümmere mich um sie bis um acht. Dann fahre ich ins Büro. Viel mehr Zeit bleibt mir mit ihr leider Gottes derzeit nicht.

STANDARD: In Ihrem Wahlprogramm sind die Themen Familie und Bildung fast immer mit Integration verknüpft. Ist das denn das einzige Problem in Wien?

Blümel: Es ist jedenfalls ein gravierendes. Es gibt verschiedene Herausforderungen im Bildungsbereich, aber fehlende Deutschkenntnisse sind das fundamentalste Problem. Wir wissen, dass ein großer Teil der Schüler aus dem Pflichtschulbereich herauskommt und nicht rechnen, schreiben und lesen kann. Das ist eine verlorene Generation. Das ist der sichere Weg in die Mindestsicherung.

STANDARD: Eine Ihrer Forderungen ist es, dass in Kindergärten der Nikolaustag gefeiert wird. Soll der dann eigentlich auch im jüdischen Kindergarten kommen?

Blümel: In religiösen Kindergärten soll jeder seine Religion ausüben können – natürlich im Einklang mit unserer Kultur und Werteordnung. Ich war in einem öffentlichen Kindergarten und es gewohnt, dass es eine Martinsfeier und eine Nikolausfeier gibt. Das ist die Kultur, die wir haben, die uns über Jahrhunderte geprägt hat, und ich finde es schade, dass meine Tochter, wenn sie in Wien in einen Kindergarten geht, das nicht mehr mitbekommt.

STANDARD: Aber sind Ihnen abgesehen von islamischen und jüdischen Einrichtungen Kindergärten bekannt, in denen Nikolaus nicht gefeiert wird?

Blümel: Wir haben in einigen Kindergärten nachgefragt, und da ist uns gesagt worden, dass das nicht mehr vorgesehen ist.

Um eine Gemeindebauwohnung zu bekommen, soll man ein Deutsch-Zertifikat abgeben, findet der ÖVP-Politiker.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie wollen für mehr Plätze in Gymnasien sorgen. Wer soll denn ins Gymnasium gehen dürfen?

Blümel: Na die, die speziell ins Gymnasium wollen und eventuell schon wissen, dass sie ein Studium machen. Es gibt aber auch zahlreiche gute Neue Mittelschulen, wo Kinder hingehen, die Deutsch sprechen und die aus Familien kommen, wo ausreichend auf die Erziehung geschaut wird. Wenn aber 90 Prozent der Kinder nicht Deutsch sprechen, ist das eine Katastrophe für alle. Da braucht es mehr Deutschförderklassen.

STANDARD: Deutsch fordern Sie auch als Voraussetzung für Gemeindebauwohnungen. Soll man das Sprachzertifikat zur Besichtigung mitnehmen?

Blümel: Wer eine Gemeindewohnung will, muss jetzt schon Gehaltsgrenzen nachweisen. Dann nimmt man halt einen zweiten Zettel mit, dass man den Test gemacht hat.

STANDARD: Sie sagen, Ihr Ziel ist es, Vizebürgermeister in einer Regierung mit der SPÖ zu werden. Ist mit den Wiener Sozialdemokraten denn der Mitte-rechts-Kurs möglich, den Sie sich für die Hauptstadt wünschen?

Blümel: Ich hoffe. Ziel ist es, unsere Prinzipien und unser Programm nach Wien zu bringen. Wien braucht eine Mitte-rechts-Politik mit Anstand und Hausverstand. Da geht es um Integration und Migration, aber auch um Gerechtigkeit für die Leistungsträger in der Stadt.

STANDARD: Was war aus Ihrer Sicht der größte Fehler, der im rot-grünen Wien gemacht wurde?

Blümel: Wenn man mit offenen Augen durch Bezirke wie Brigittenau, Margareten, Favoriten oder Rudolfsheim geht, sieht jeder die Versäumnisse in der Integration. Vor allem schlecht qualifizierte Zuwanderung macht etwas mit der Stadt und das macht mich betroffen. Vor zehn Jahren haben noch 30 Prozent von Österreichs Arbeitslosen in Wien gelebt, inzwischen sind es 40 Prozent. Das kommt auch daher, dass viele so unqualifiziert sind, dass sie keine Arbeit finden. Ein Ballungsraum kann in einer Volkswirtschaft das Zugpferd oder der Bremsklotz sein. Wien ist der Bremsklotz.

STANDARD: Wären Sie jetzt Bürgermeister, was hätten Sie im Management der Krise anders gemacht?

Blümel: Die größte Weltwirtschaftskrise kann man nicht mit Schnitzelgutschein und Pop-up-Radwegen lösen. Immer mehr Staaten verhängen aufgrund der hohen Infektionszahlen eine Reisewarnung über Wien. Das ist natürlich eine Katastrophe für den Standort. Wenn man sich die Aussagen von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im Zeitverlauf ansieht, dann weiß man, woher das kommt. Im Frühjahr hat er noch gesagt, es gibt da einen Haufen hysterischer Ärzte. Und so ging das weiter. Jetzt bekommt die Stadt Wien die Rechnung präsentiert, was das im Hintergrund ausgelöst hat: keine ausreichende Vorbereitung.

Gernot Blümel hält die hohen Infektionszahlen in Wien auch für ein Resultat von zu wenig Vorbereitung: Die Stadtregierung hätte früher eigene Maßnahmen setzen sollen, sagt der Finanzminister.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Hätte Wien autonom härtere Maßnahmen setzen sollen?

Blümel: Für vieles ist Wien autonom zuständig – die Gesundheitsbehörde, die Vorbereitung der Teststrategien, wie schnell Testergebnisse und Bescheide zugestellt werden und so weiter. Andere Bundesländer wie Oberösterreich haben ja auch schon viel früher härtere Maßnahmen verhängt. Man hätte da auch in Wien schon viel mehr tun können.

STANDARD: Gerade wurden von der Bundesregierung wieder Verschärfungen verkündet. Haben Sie noch Überblick, welche Maßnahmen gelten?

Blümel: Es ist gut, dass es jetzt wieder einheitliche Regeln gibt. Wir haben gesehen, dass es in Wien nicht funktioniert, dass man autonom rechtzeitig Maßnahmen setzt.

STANDARD: Aber es liegt ja nicht an Wien, dass sich in Österreich niemand mehr auskannte, was Gelb oder Orange auf der Ampel bedeutet.

Blümel: Da sind einige Abstimmungsprozesse zweifellos nicht optimal gelaufen – auch was die Ampelkonzeption betrifft. Darum ist es jetzt gut, dass Maßnahmen von der Bundesregierung gesetzt werden, die übersichtlich sind.

STANDARD: Sie waren Europaminister, derzeit gehen Sie auf Konfrontationskurs mit der EU-Kommission. Entfremden Sie sich gerade?

Blümel: Ich bin ein überzeugter Demokrat, und als solcher werde ich immer Verbesserungspotenzial aufzeigen – das mache ich in Wien, das mache ich auch auf europäischer Ebene. Wir haben im Sommer mit Unternehmern gesprochen und den Fixkostenzuschuss so weiterentwickelt, wie die Unternehmer es brauchen. Doch das genehmigt uns die Kommission derzeit nicht – mit der absurden Begründung, die Katastrophe gibt es nicht mehr. Ich hoffe, dass bei der Kommission bald Einsehen einzieht.

STANDARD: Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich sagt – wohl etwas polemisch –, dass ein erfolgreicher Antrag von drei intelligenten Menschen in einer halben Stunde geschrieben werden könnte. Wie lange hat man im Finanzministerium tatsächlich daran gearbeitet?

Blümel: Das ist in der Tat eine sehr "interessante" Aussage. Wir haben die Kommission schriftlich ersucht, uns darzulegen, was er damit gemeint hat. Uns ist telefonisch mitgeteilt worden, dass man das auch nicht so genau weiß. Wir haben solche Anträge inzwischen viele Male gestellt, und das war immer ein wochenlanger Prozess. (Katharina Mittelstaedt, 19.9.2020)