Foto: Cross Cult

Dieser Roman ist ursprünglich im Jahr 2017 erschienen, aber der Verlag Cross Cult war so gewitzt, ihn "aus aktuellem Anlass" (also dem zweiten Rennen Donald Trumps um die Präsidentschaft) noch einmal als Taschenbuch herauszugeben. Da ich ihn seinerzeit nicht besprochen habe, war ich froh, das jetzt nachtragen zu können, denn die Lektüre von "Divided States of America" hat sich eindeutig gelohnt. Auch wenn es natürlich ziemlich ungemütlich ist, zu lesen, wie ein inkompetenter Präsident die USA Richtung Bürgerkrieg treibt.

Ein Wort vorab noch zu Claudia Kern: Die deutsche Autorin ist seit mittlerweile 20 Jahren im Geschäft und blickt auf eine gelinde gesagt bunte Bibliographie zurück. Sie hat gleichermaßen Science Fiction, Fantasy und Horror geschrieben, was auch Beiträge zu Heftserien wie "Perry Rhodan" oder "Professor Zamorra" umfasst. Eine Nennung verdient sich unbedingt auch der Roman "Sissi, die Vampirjägerin: Scheusalsjahre einer Kaiserin"; der thront im Olymp meiner Lieblingstitel neben dem Oropax-Lied "Molkerei auf der Bounty" und der Liebesschmonzetten-Satire "Der Bergfrauendoktor: Ein Leben voller Abstriche". – Es soll sich jetzt aber keiner von "Divided States" ähnliche Schrillitäten erwarten. Ganz im Gegenteil, gerade die Nüchternheit der Erzählung war es, die ich an Kerns Roman besonders positiv fand.

Der Katalysator

Die Handlung beginnt damit, dass der Selbstdarsteller Joseph Johnson mit dem Ticket der Republikanischen Partei ins Weiße Haus eingezogen ist. Ungebildet und zu ignorant, um daran etwas ändern zu wollen, eitel und sprunghaft: Kerns dichterische Freiheit hat sich im Wesentlichen auf den Namen des Neo-Präsidenten beschränkt. Es folgen Protestveranstaltungen im ganzen Land, und als eine davon von Neonazis angegriffen wird, verleiht Johnson der Sache einen bemerkenswerten Spin: Er schiebt die Attacke kurzerhand illegalen Einwanderern in die Schuhe. Immerhin war auf die sein ganzer Wahlkampf zugeschnitten.

Und so beginnt, gleichsam offiziell abgesegnet, im Land allmählich der Rassismus aus dem Keller an die Oberfläche zu sickern. "Die Leute probieren Rassismus aus wie einen neuen Handschuh. Sie wollen sehen, ob ihnen das Gefühl gefällt." Kern stellt ihre Sprache ganz in den Dienst des Inhalts, versteht es aber immer wieder, Formulierungen auf den Punkt zu bringen. Das Gleiche gilt für glaubhaft wirkende kleine Szenen aus dem Alltag – etwa wenn sich gutmeinende Bürger mit ihren diskriminierten Nachbarn solidarisch zeigen wollen und extra in den mexikanischen Supermarkt gehen. Wo sie dann aber ratlos herumstehen, weil sie nicht wissen, was sie kaufen sollen.

Feindbild "Technicolors"

Der Roman-Rassismus ist übrigens von etwas spezieller Natur. Er klammert Schwarze komplett aus (Johnson fasst die Geschichte der Sklaverei mit der bemerkenswerten Formulierung zusammen, dass "Schwarz und Weiß die USA gemeinsam aufgebaut" hätten) und konzentriert sich ganz auf "Braune"; ein TV-Komiker prägt den Begriff Technicolors. Latinos und Menschen aus Westasien werden dabei über einen Kamm geschoren – zwei Gruppen, die nichts gemeinsam haben, außer dem Umstand, dass sie erst in jüngerer Vergangenheit demographische Relevanz erlangt haben. Und jetzt wird es für sie zunehmend ungemütlich.

Ins Rollen kommt das Ganze, als Präsident Johnson eine Ausweispflicht erlässt, die nur "neu" Eingewanderte betrifft. Einige Staaten an der Westküste widersetzen sich seinem Dekret und stellen jedem Dokumente aus, ob er nun legal oder illegal ins Land gekommen ist. Rasch setzen sich daraufhin Migrationsströme Richtung Westen in Gang, Republikaner und Demokraten streiten darüber, ob dies zu unterbinden sei – und es dauert nicht allzu lange, bis sich an der Grenze von Kalifornien und Arizona die jeweiligen Nationalgarden gegenüberstehen. Wie weit wird die Eskalation voranschreiten? Der kurze Romanprolog verheißt da jedenfalls nichts Gutes: In dem liegt eine Frau im Schockzustand auf der Straße, offenbar ist gerade etwas Furchtbares geschehen.

Facetten eines großen Bildes

"Divided States of America" ist als gesellschaftliches Panorama angelegt und arbeitet mit einem ebenso großen wie vielfältigen Ensemble, vom illegalen Einwanderer aus Mexiko bis zu Vertretern der Spitzenpolitik. Keiner davon spielt eine größere Rolle als die anderen – auch nicht die einzige Figur, die als klassischer Romanheld durchginge: Ceyonne Kelley, eine schwarze Polizistin aus Seattle, die gegen die bizarre Nazi-Sekte "March for a Brighter America" ermittelt.

Die Mehrheit der Protagonisten hat Dreck am Stecken, doch Kerns sachliche Herangehensweise macht auch die Gedanken und Handlungen der negativ besetzten Figuren nachvollziehbar. Was wohlgemerkt nicht dasselbe ist, wie sie zu entschuldigen! Neonazi Mike Jenner etwa macht in erster Linie einen verunsicherten Eindruck. Er hat Arbeit und Eigenheim ("das bisschen Amerika, das dir zustand") verloren und sucht nach jemandem, der ihn aus seiner Misere herausführt. Kern wollte diesen Kontext nicht unter den Tisch fallen lassen. Sie verfällt aber auch nicht auf die kitschige Idee, den Eindruck vermitteln zu wollen, dass Mike unter besseren wirtschaftlichen Verhältnissen kein Rassist wäre; der glaubt schon fest an seine Ideologie.

Ein interessanter Fall ist auch Cooper Fitzgerald Davenport, der republikanische Gouverneur von Arizona. Beschrieben wird er uns als netter, anständiger, durch und durch vernünftiger Zeitgenosse ... und irgendwie ist er das auch. Allein, er tut nichts, absolut nichts, was er nicht vorher darauf abgewogen hätte, ob es seiner weiteren Karriere schaden könnte. Und so trägt er Johnsons Politik, die er verachtet, mit und wird damit zur Symbolfigur jener Republikaner, die sich selbst in den dementesten Augenblicken ihres Präsidenten nicht gegen die Parteiräson stellen wollen. Aber reicht ein guter Charakter, um ein guter Mensch zu sein, oder braucht's dazu nicht auch Taten?

Accident waiting to happen

"Divided States of America", am Cover als "Thriller" deklariert, wartet mit keinen wirklichen Überraschungen auf. Aber die braucht ein solcher Plot auch nicht. Er lebt ganz von der Faszination des Grauens, mitanzusehen, wie eine unvermeidliche (oder unvermeidlich erscheinende) Entwicklung ihren Gang nimmt. Das ist hochspannend, 600 Seiten sind hier vergangen wie im Flug. Und auch wenn nicht alle Romane oder Präsidentschaften eine Fortsetzung brauchen – ein Sequel hierzu würde ich gerne lesen.