Tobias Artner, Michael Scherff, Tilman Rose und Tim Breyvogel.

Foto: Alexi Pelekanos

Agnès Kleidchen ist besetzt mit funkelnden bunten Steinen. Das hat Kostümbildnerin Ursula Gaisböck hübsch gemacht und der Ziehvater des Mädchens Arnolphe (Tilman Rose) sich verschlagen ausgedacht. Denn er hat das Kind fern der Schule in einem Kloster zur idealen späteren Ehefrau für sich herangezogen, unterrichtet nur in häuslichen Tugenden, und eben reizend anzuschauen. Dumm kann sie gern bleiben, aber Flausen in ihrem Kopf kann er nicht brauchen.

Auch nicht brauchen kann Arnolphe einen jüngeren, fescheren Mitbewerber um das junge Herz, der aber als Horace nun auftaucht. Mit italienischem Sprachfehler und extravagant schiefer Frisur wirbelt der (Philip Leonhard Kelz) auf einem imaginären Gaul bei Arnolphe in Paris herein. Das Stück nimmt Anlauf.

Molierès Die Schule der Frauen ist eine Emanzipationskomödie gegen patriarchale Ehevorstellungen. Ruth Brauer-Kvam inszeniert den 1662 uraufgeführten Stoff zum Saisonauftakt im niederösterreichischen Landestheater und greift dabei tief in die Theatertrickkiste. Herrliche kleine Überraschungen sonder Zahl spuckt dieser eineinhalbstündige Abend aus. Zuvorderst, aber nicht nur die fantastische Bühnenmusik von Ingrid Oberkanins. Die Perkussionistin tost und poltert, swingt und romantisiert den ganzen Abend lang an Trommel und Xylophon. Dazu schwebt ein Kronleuchter von der Decke, trabt ein Zebra durchs Haus, kommt ein Pferd angefahren oder treten Anwälte ohne Beine auf.

Hofstaat der Schwachsinnigen

Monika Rovan hat all dem eine schwarze leere Bühne gebaut, goldene Kordeln von der Decke bis zum Boden grenzen das Spielfeld ein. Arnolphe trägt darauf fast so schwer an seinem blauen Pelz wie an seiner Eitelkeit. Um sich hat er einen Hofstaat der Schwachsinnigen versammelt, um das Mädchen nur ja nicht auf Ideen zu bringen. In zueinander passenden Ganzkörperanzügen sind Tim Breyvogel und Tobias Artner Ausgeburten der Einfalt, spritzen Wasser über die Bühne oder spannen ihren Sonnenschirm nur kniehoch über dem Erdboden auf. Wenn sie das Mädchen holen sollen, wiehern sie schlicht im Chor nach ihr.

Der Wahnsinn zeitigt Wirkung: Als Agnès und Horace einander zum ersten Mal begegnen, lüpft er den Hut und hebt sie (Laura Laufenberg) zur Erwiderung ihren Rock, lüpft er den Hut und hebt sie den Rock, lüpft er den Hut ... bis die Dunkelheit der Nacht sie voreinander verschluckt. Das ist simpel, aber ein Mordsspaß.

In Paris sorgte die Geschichte vor 260 Jahren noch für Aufregung ob ihres Angriffs auf die gesitteten Verhältnisse der Ehe. Dass der Plot heute recht aus der Zeit gefallen ist, weiß Brauer-Kvam selbstredend. Da braucht man nichts krampfhaft moralisch oder feministisch aufzujazzen. Der Vordergründigkeit des Stücks begegnet sie deshalb mit akribischer Arbeit an dieser Oberfläche, dem Sicht- und Hörbaren.

Bunt, flott, charmant

Wenn Oberkanins ihre donnernde Trommel schlägt und es Arnolphe im Schock über die ihm abhanden kommende Agnès im kalten Scheinwerferlicht zuckend umherreißt, bekommt der Geck aber dennoch etwas ganz Existenzielles.

Der Abend ist bunt, flott, voller Slapstick. Die zwei nicht im Original enthaltenen Figuren Uranie (Emilia Rupperti) und Climène (Michael Scherff) geben dem Stück eine feine Distanz mit, indem sie die Debatte um die Komödie dereinst charmant nachzeichnen. Ein kluger Kniff. Es ist die erst dritte und bisher größte Regiearbeit der Schauspielerin und Sängerin Ruth Brauer-Kvam – sie empfiehlt sich damit unbedingt für weitere. (Michael Wurmitzer, 20.9.2020)