Eisel ist jetzt Kommentator, Radsport lässt ihn nicht los.

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Bernhard Eisel bestritt die Tour de France zwölfmal – so oft wie kein anderer Österreicher. Für das Team Sky war er 2012 und 2014 im Einsatz.

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Bernhard Eisel stand in den vergangenen Wochen bei der Tour de France immer dort, wo im vergangenen Jahrzehnt das Rennen für ihn meist schon gelaufen war. Er stand in Erwartung der Ex-Kollegen wenige Meter vor dem jeweiligen Tagesziel. Das übliche Lächeln hinter dem Mund-Nasen-Schutz verborgen, erklärte der 39-jährige Steirer in makellosem Englisch für Eurosport die Finessen des Tagesfinales.

Freilich sind Eisels Analysen umso profunder, wenn Sprints um den Sieg zu erwarten sind. In die hat er sich in 19 Jahren als Radprofi oft genug selbst gestürzt, später dann hat er sie angezogen und organisiert für noch flottere Kollegen. Bernhard Eisel hat sich vom jugendlichen Seriensieger bis hin zum Königsmacher, zum Strategen auf der Straße entwickelt, der zwölfmal die Tour de France bestritt – so oft wie bisher kein anderer Österreicher.

Es lag im Bereich des Möglichen, dass Eisel die 107. Tour de France, die spätsommerliche Corona-Tour, selbst noch im Peloton genossen und erlitten hätte. "Ich wollte das 20. Jahr als Profi vollmachen, aber dann bin ich auf den Kopf gestürzt und habe über die Zukunft nachgedacht", sagt der verheiratete Vater dreier Kleinkinder.

Comeback nach Gehirnblutungen

Passiert ist es im März 2018 beim Etappenrennen Tirreno–Adriatico. Erst sechs Wochen später erforderten Gehirnblutungen eine Operation. Eisel kehrte für sein südafrikanisches Team Dimension Data auf die Straße zurück, doch der Gedanke an den Abschied wurde zum ständigen Begleiter. Im Jänner dieses Jahres verkündete er per Facebook seinen Abschied.

Ein Sturz stand gewissermaßen auch am Anfang der Karriere, die vorgezeichnet war. In eine sportliche Familie hineingeboren – der neun Jahre ältere Bruder war ein Radsportler, der die Österreich-Rundfahrt schmückte (und heute ein Fachgeschäft namens Drahteisel betreibt) –, stieg Bernhard Eisel erst relativ spät aufs Rad, hatte aber sofort Erfolg: "Als Schüler habe ich 48 von 50 Rennen gewonnen." Im zweiten Jahr war der flotte Bursche aus Stallhofen bei Voitsberg bereits Juniorenmeister. Michael Moser, ein rühriger Manager, vermittelte Starts in Italien, "da war ich noch in der Hak". Daheim war man ob der Eröffnung – "Ich fahr’ nächstes Jahr in Italien!" – mäßig begeistert. "Es war das Beste, was mir passieren konnte. Aber es war auch ein Stress."

Ein früher Ritterschlag

Eisel war am Wochenende in Sachen Radsport unterwegs, in einer Mannschaft mit Teamauto und allem Drum und Dran. Ein sportaffiner Klassenvorstand und der Voitsberger Trainer Alois Fromm halfen ungemein. Die Aufnahme ins legendäre lombardische Nachwuchsteam Rinascita Ormelle war wie ein früher Ritterschlag. Eisel kam als Fünfter des Juniorenrennens der WM in Verona 1999 heraus. "Ich bin um den Sieg mitgefahren und hätte eigentlich gewinnen müssen."

Und er kam wenig später im Training Kopf voran schwer zu Sturz. Das "wohlgefällige Äußere", wie Eisel sagt, war ordentlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Zwangspause verbrachte der Maturant vor dem Fernseher. Er bewunderte Lance Armstrong, wollte "unbedingt wieder fahren".

Während der WM in Plouay wurde ihm ein Test bei Italiens Spitzenteam Mapei vermittelt, Padron Giorgio Squinzi wollte eigentlich nicht mehr als 40 Mann. "Der Dottore hatte dann eine gute und eine schlechte Nachricht für mich. Ich bekam den Vertrag, war aber die Nummer 41." In einer Equipe mit Stars wie Filippo Pozzato, Óscar Freire, Michele Bartoli, Paolo Bettini oder Fabian Cancellara.

"Wie ein Kind im Spielzeugladen"

Eisel fuhr in Mapeis drittem Anzug, der zeitweilig erfolgreicher als der erste war. "Es waren schwere Zeiten im Radsport, das war eine andere Geschwindigkeit, vor allem, wenn man als 20-Jähriger einsteigt." Ein Grund für den Speed liegt heute auf der Hand. Eisel, der zeit seiner Karriere nie auch nur in den Ruch kam, gedopt gewesen zu sein, hatte das Glück, mit weniger Druck in einer eingeschworenen Truppe unterwegs sein zu können. "Ich war wie ein Kind im Spielzeugladen."

Naivität gehört nicht zu Eisels Charaktereigenschaften, weshalb er auch einen Mitgrund für seinen makellosen Ruf liefert. "Alle Teams, zu denen ich gekommen bin, waren im Umbruch." Nach dem Aus von Mapei wegen Hauptsponsorverlusts klopfte FDJeux an, das Projekt der französischen Radsportlegende Marc Madiot. Eisel lernte eine neue Sprache und die Liebe zu den klassischen Eintagesrennen. "Ich bin gleich vorn mitgefahren."

Eisel holt beim Giro d’Italia 2003 ("dem letzten von Marco Pantani") zwei dritte Plätze, gehört dem Zug des Australiers Baden Cooke zum Grünen Trikot des Punktebesten der Tour de France an, gewinnt 2005 eine Etappe der Tour de Suisse und wird 2006 Vierter des Radmonuments Paris–Roubaix.

Cavendish statt Ullrich

Schon vor der folgenden Frankreich-Rundfahrt ist Eisel mit T-Mobile einig, "dann ist das alles komplett in die Luft gegangen". Superstar Jan Ullrich wird infolge der Dopingaffäre um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes nicht zur Tour zugelassen, bei den Deutschen bleibt kein Stein auf dem anderen, aber Eisel trifft Mark Cavendish, einen Briten von der Isle of Man.

Zusammen schmücken die Freunde fürs Leben drei T-Mobile-Nachfolge-Teams und wechseln 2011 zu Sky. Eisel gibt für Cavendish den Anfahrer, den Windschatten, den Strategen auf der Straße. Der Supersprinter exekutiert, vor allem bei der Tour de France – vier Etappen 2008, sechs 2009, je fünf 2010 und 2011. 2010 gelingt Eisel auch der größte persönliche Erfolg, der Sieg beim Klassiker Gent–Wevelgem in Belgien. Der Steirer sprintete damit in eine Reihe mit Halbgöttern wie Mario Cipollini, Tom Boonen oder Peter Sagan.

Der Slowake Sagan (30) fuhr auch heuer wieder um das Grüne Trikot der Tour de France mit, nur der Ire Sam Bennett hängte ihn ab. Ex-Kollege Eisel weiß, wie ein Etappenfinish anzulegen ist. Und erzählte es auf Eurosport, das übliche Lächeln hinter dem Mund-Nasen-Schutz verborgen, in makellosem Englisch. Dabei soll es nicht bleiben – vom Radsport will und kann er nicht ganz lassen. (Sigi Lützow, 21.9.2020)