Ausdruck des "neuen" Normalen: Bei Automaten lassen sich nicht nur Passbilder schnell machen, mittlerweile können mancherorts auch Gesichtsmasken gekauft werden.

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Die Leiterin des Unesco-Lehrstuhls für Bioethik, Christiane Druml, spricht sich im Gastbeitrag für das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes aus, das von vielen abgelehnt wird. Sie fragt sich, wie ein nur einige Gramm schweres Papier- oder Stoffgebilde derart negativ besetzt werden konnte?

Nur wenig Gutes kann man über Pandemien oder Epidemien sagen, sie machen uns die Unzulänglichkeiten des Lebens, die wir durch unsere heutigen Technikmöglichkeiten schon vergessen haben, so richtig bewusst. Durch die Pandemie veranlasst, greifen die Gesetzgeber aller Länder auf Maßnahmen zurück, über die wir nur im Geschichtsunterricht oder in Romanen gehört haben, wie die Quarantäne.

Dass Seuchen unsere Gesellschaft zum "Besseren" entwickeln lassen, wie zum Beispiel die Cholera – es gab im 19. Jahrhundert insgesamt sechs Choleraepidemien in Wien – den Bau der Ersten Wiener Hochquellwasserleitung vorangetrieben hat, ist nur ein schwacher Trost! Devise ist, Krankheit zu vermeiden und einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens durch eine möglichst konsequente Unterbindung von unkontrollierten Infektionen zu verhindern. Früher "reisten" – mangels Flugzeugs – zwar Erreger langsamer, aber dafür hatte man auch keine Kommunikationsmöglichkeiten wie heute – das Internet verbindet uns alle und ermöglicht uns auch in Zeiten des sogenannten "social distancing" eine virtuelle Nähe, die allerdings auf Dauer allein auch unbefriedigend ist.

Warum so unwillig?

Die Empfehlung für ein halbwegs normales Leben der Menschen miteinander lautet: Abstand, Hygiene, Maske, wobei die Maske in unseren Breiten anders als in Südostasien nur sehr unwillig angenommen wird. Warum ist das so? Die Maske wird von manchen als Einschränkung – ja geradezu Bedrohung – der Freiheit gesehen, als die "Demokratie gefährdend". Wie konnte ein nur einige Gramm schweres Papier- oder Stoffgebilde derart negativ besetzt werden?

Ich arbeite an einer medizinischen Institution. Für uns sind Masken in vielen Bereichen ein alltäglicher Anblick, der "Schutz" ausstrahlt und Sicherheit vermittelt. Die Maske schützt den, der sie trägt, und den, der ihm oder ihr gegenübersteht. Masken sind das Sinnbild des hygienisch und steril bekleideten Arztes, des Helfers. In diesen Tagen der Pandemie sollten die Masken von uns als ein Symbol der Freiheit und nicht der Unfreiheit angesehen werden. Sie geben uns die Möglichkeit, ein halbwegs normales Leben zu führen. Sie lassen Freizügigkeit zu.

Was wäre die Alternative? Die Alternative wären größere Einschränkungen in unserem gesellschaftlichen Leben bis hin zum Lockdown. Grundrechtlich betrachtet, ist die Maske das gelindere, ja sogar das gelindeste Mittel im Vergleich zu anderen möglichen Einschränkungen, zu anderen massiven Eingriffen in unser Privatleben.

Jederzeit parat

Die Maske ist ein Zeichen des Respekts für die anderen Menschen, ein Zeichen der Solidarität mit den anderen Menschen. Sie ist nicht teuer, lässt sich leicht mitnehmen, ist jederzeit parat und unterscheidet nicht zwischen Arm und Reich. Die Frage ist allerdings: Ist unsere "Ressource" Solidarität nach den ersten Monaten dieser noch – ungewiss wie – lang andauernden Pandemie erschöpft?

Die Gegner der Maske argumentieren mit einem Mangel an Beweisen für deren Wirksamkeit. Erstens stimmt das nicht mehr – es gibt heute zusehends bessere Publikationen zum Sinn und zur Wirksamkeit des Maskentragens, und darüber hinaus ist ein Mangel an Beweisen nicht gleichzeitig ein Beweis für einen Mangel (an Wirksamkeit). Die Fragestellung nach der Effizienz hat sich klarerweise zu Beginn der Pandemie einfach noch nicht gestellt! Frühere Studien haben andere Erreger erforscht, zum Beispiel Bakterien oder verschiedene Viren, die zum Teil über andere Wege als die Atemwege eindringen.

Jetzt, wo wir wissen, mit welchem Erreger wir es zu tun haben, können zielgerichtete Studien durchgeführt und ausgewertet werden. Wir wissen auch, dass es nicht so bald "the magic bullet" – eine allumfassende Therapie – gegen Covid-19 geben kann und es noch einige Zeit bis zur Entwicklung einer effektiven und gut verträglichen Schutzimpfung brauchen wird. Daher müssen wir die wenigen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, nützen. Und die Maske ist eine davon. In anderen Ländern funktioniert sie. In Italien wird sie überall akzeptiert und korrekt getragen. Kulturelle Studien können vielleicht erfassen, warum wir uns hier in Mitteleuropa so gegen die Maske wehren, allein das hilft uns (noch) nicht weiter.

Sinnvolle Barriere

Das sogenannte Vorsorgeprinzip ist ein vielfach diskutiertes Prinzip der Ethik, das besagt, dass Maßnahmen, auch wenn deren Wirksamkeit noch nicht letztgültig erwiesen ist, eingesetzt werden sollen, um einen potenziell größeren Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden. Das Coronavirus verbreitet sich über die Atemwege, und Masken können diesen Weg blockieren. Da wir nicht wissen, ob wir Menschen begegnen, die schon infektiös sind, aber noch keine merkbaren Symptome aufzeigen, ist das flächendeckende und präventive Tragen einer Maske eine sinnvolle Barriere und damit sogar ethisch geboten.

Jeder Einzelne von uns ist ein Teil der Gesellschaft, ist abhängig von den anderen Menschen, und genauso sind die anderen Menschen auf uns angewiesen. Wir haben zu Beginn der Pandemie durch Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung ein Zeichen gesetzt. Setzen wir doch dieses Zeichen des gegenseitigen Respekts und des Zusammenhalts weiterhin und schützen wir die anderen und damit auch uns! (Christiane Druml, 21.9.2020)