Um dem massiven Wirtschaftsabschwung entgegenzuwirken, hat die EU die Zügel für Banken vorübergehend gelockert. Das betrifft etwa Rückstellungen für Kreditverluste und die Behandlung von Staatsanleihen.

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Jahrzehntelang ist die Tendenz der Regulierung von Kreditinstituten in Richtung stetiger Verschärfung gegangen. Als Reaktion auf den Konkurs der Herstatt-Bank wurde 1974 der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht gegründet, der 1988 die erste Eigenkapitalvereinbarung veröffentlichte: Basel I. Hintergrund war die Erkenntnis, dass Banken ihre Geschäfte ohne angemessene Eigenkapitalunterlegung ausgebaut hatten und über zu wenig Ressourcen zum Abfedern von Verlusten verfügten.

Durch Basel I wurden Vorgaben bezüglich des Eigenkapitals definiert und eine Risikogewichtung vorgenommen: Je riskanter die offenen Forderungen eines Kreditinstituts, desto mehr Eigenkapital sollte dieses vorhalten. Unter Basel II wurde das Rahmenwerk 2004 weiterentwickelt und erweitert.

Nach Basel II kam Basel III

Mit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 und der folgenden Weltfinanzkrise bekam das Thema Bankenregulierung eine neue Dynamik. Im Dezember 2010 veröffentlichte der Basler Ausschuss mit dem Basel-III-Rahmenwerk neue Kapital- und Liquiditätsanforderungen für Kreditinstitute.

Bei der Eigenkapitalbasis sieht Basel III vor, dass vor allem Eigenmittel vorzuhalten sind, die am laufenden Verlust partizipieren, während Kapitalinstrumente, die nur im Liquidationsfall verfügbar sind, zurückgedrängt werden sollen. In der Praxis erfreuen sich solche Nachrangdarlehen und vergleichbare Kapitalinstrumente aber weiterhin hoher Beliebtheit.

Da die Finanzkrise auf dem Bankensektor auch zu Refinanzierungsproblemen geführt hatte, enthielt Basel III weiters Vorgaben zum Liquiditätsmanagement sowie erhöhte Standards für den bankenaufsichtsrechtlichen Überprüfungsprozess und für die Offenlegungspflichten von Banken.

"Banking Package"

Weitere Änderungen und Ergänzungen in den folgenden Jahren vervollständigten das Rahmenwerk und werden heute unter dem Begriff Basel IV zusammengefasst.

Die Verlautbarungen des Basler Ausschusses sind rechtlich nicht bindend, werden in der Regel jedoch in europäisches und nationales Recht übernommen. Basel III wurde in der EU bisher im Wesentlichen mit der Kapitaladäquanzverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR) sowie einer Neufassung der Eigenkapitalrichtlinie (Capital Requirements Directive – CRD) umgesetzt.

Im Vorjahr wurden mit dem "Banking Package" unter anderem Anpassungen der CRR verabschiedet, die schrittweise bis 27. Juni 2021 in Kraft treten werden. Diese Änderungen umfassen Mindestquoten für die Verschuldungs- und Liquiditätsquote, Maßnahmen zur Beteiligung von Gläubigern an den Kosten einer Bankenrettung, geänderte Mindestanforderungen an Eigenmittel sowie weitere Offenlegungs- und Meldepflichten.

Anreize für Kreditvergabe

All diese Änderungen dienen dem Zweck, das Bankensystem widerstandsfähiger zu machen, werden von Banken aber auch als Belastung empfunden und können zu einer zögerlicheren Vergabe von Krediten an Unternehmen führen.

Dieses Problem gewann durch die Covid-19-Pandemie und die davon ausgelöste tiefe Rezession an Dringlichkeit. Um Banken zu entlasten und Anreize für eine ausreichende Kreditvergabe zu schaffen, hat der europäische Gesetzgeber im Frühsommer im Eiltempo die Verordnung (EU) 2020/873 verabschiedet; sie ist Ende Juni bereits in Kraft getreten.

Die Verordnung enthält beispielsweise erweiterte Übergangsbestimmungen für die Anwendung des Rechnungslegungsstandards IFRS9, der für viele Kreditinstitute seit Anfang 2018 gilt und Rückstellungen für erwartete Kreditverluste vorsieht.

Befürchtet wurde nun, dass die Anwendung von IFRS9 während der Rezession die Rückstellungen für erwartete Kreditverluste unvermittelt ansteigen lassen könnte, was die Fähigkeit der Institute zur Deckung des Kreditbedarfs ihrer Kunden beeinträchtigen könnte. Um dem entgegenzuwirken, werden unter anderem Erhöhungen der Vorsorge für Risiken, die nach dem 1. 1. 2020 eingetreten sind, aus der Ermittlung der Eigenmittel ausgenommen.

Lockerer bei Staatsanleihen

Erleichtert wurden außerdem die Bestimmungen bezüglich der Emission von Staatsanleihen, die zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise derzeit im großen Umfang ausgegeben werden. Staatsanleihen und andere Risikopositionen gegenüber Staaten und Zentralbanken haben bei der Berechnung der Eigenmittelanforderungen ein Risikogewicht von null Prozent.

Das gilt allerdings nur, wenn sie auf die jeweilige Landeswährung lauten – zum Beispiel österreichische Staatsanleihen, die in Euro emittiert werden. Nun gilt dieses Privileg vorübergehend auch für Staatsanleihen, die auf eine fremde Landeswährung lauten.

Weitere Änderungen betreffen unter anderem die (Nicht-)Berücksichtigung von Verlusten aus Forderungen gegenüber Staaten bei der Eigenmittelberechnung und die (Nicht-)Berücksichtigung von Zentralbankguthaben bei der Berechnung der Verschuldensquote. Schließlich thematisiert die Verordnung auch die Beschränkung von Dividendenzahlungen, erteilt der Kommission hier aber nur ein Mandat zur Berichterstattung.

Der Tendenz zu weiteren Verschärfungen der bankaufsichtsrechtlichen Regulierung dürfte die Pandemie zumindest einen vorübergehenden Dämpfer verleihen. Diese Politik ist angesichts der tiefen Krise in der europäischen Wirtschaft nachvollziehbar, wird jedoch nichts an der generellen Entwicklung hin zu einer stärkeren Bankenaufsicht ändern. (Katharina Wilding, 21.9.2020)