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Unter-Wasser-Protest.

Foto: AP / Odid Balilty

Gerechtfertigte Demonstration gegen Corona-Maßnahmen oder verantwortungslose Strandparty? Die Meinungen gehen auseinander.


Foto: AFP / Jack Guez

Es ist einer dieser schwülen Septembersonntage, an denen alle nur ins Wasser springen wollen. Heute ist der Strand von Haifa im Norden Israels aber menschenleer, nur ein paar Krähen hüpfen im Sand herum. Israel befindet sich zum zweiten Mal im Lockdown. Und auf den ersten Blick sieht es so aus, als hielten sich alle daran.

Haifa ist so etwas wie Israel im Kleinen. Israelische Araber, jüdische Säkulare, Ultraorthodoxe, Muslime und Christen, russischstämmige Einwanderer, alle teilen sich die Hafenstadt. Früher galt das Klischee: In Tel Aviv sind die Partys, in Jerusalem das Gebet, in Haifa die Arbeit, sonst nichts. Heute ist das anders. Eine kleine, aber lebhafte Undergroundszene, dominiert von israelischen Arabern, zieht auch Besucher aus Tel Aviv an.

Geheime Partys

Im Lockdown ist diese Szene nicht tot. Der Underground drängt in den Untergrund. "Corona? Das ist Bullshit!", ruft Ali. Der 22-Jährige DJ steigt die Steintreppen hoch, die von der Altstadt in die höhergelegenen Wohngebiete führen, er will einen Freund besuchen. Dass er sich im Lockdown nicht weiter als einen Kilometer vom Haus entfernen darf, ist ihm egal. "Hinter dem Lockdown steckt ein großer Plan, man will uns mundtot machen", ist Ali überzeugt. "Spätestens in drei bis vier Jahren werden das alle erkennen."

Ali und seine DJ-Freunde haben schon im ersten Lockdown geheime Partys veranstaltet, bis zu 250 Leute folgten den Einladungen per Messenger, "und die Polizei kriegt nichts mit", sagt er stolz. Im zweiten Lockdown, der drei Wochen dauern soll, will er es wieder tun. Angst vor Infektionen? Ali schüttelt den Kopf. "Mein Schwager war positiv", erzählt er. "Jede Nacht liegt er mit meiner Schwester und dem kleinen Kind im selben Bett, aber die beiden sind negativ, bis heute." Sein Schluss daraus: "Corona gibt es nicht."

Mosche und Nina, beide 87 Jahre alt, wissen es besser. Sie sind Ärzte, sie kennen die Infektionszahlen. Das Haus verlassen sie nur für kurze Spaziergänge. Trotzdem ist auch für sie nicht alles so wie im ersten Lockdown. Damals feierten sie das Pessach-Fest auf Zoom. Das jüdische Neujahrsfest am vergangenen Freitag hingegen haben sie einfach um einen Tag vorverlegt, um dem Lockdown zu entgehen, der Freitagnachmittag begann.

Kinder und Enkelkinder kamen, zu zwölft aßen und tranken sie, stießen auf das neue Jahr an. "Es hat uns gutgetan", sagt Mosche. Es sei schwer genug, schon wieder auf die schönen Dinge, Konzert- und Theaterbesuche, verzichten zu müssen. "Bis Corona kam, fühlten wir uns nie wirklich alt", sagt er, "jetzt ist das anders. Das tut schon weh."

Yoga trotz Corona

Für den 46-jährigen Kleinunternehmer Assaf ist der Lockdown eine Geldfrage. Er betreibt ein Yogastudio, das er im ersten Lockdown zusperren musste, ein zweites Mal könne er sich das jedenfalls nicht leisten, meint er. Er bietet weiterhin Yogaklassen an. "Unter dem Radar", wie er sagt. Für die, die aus Angst vor Strafen nicht in sein Studio kommen, werden die Klassen via Zoom übertragen.

Auch manche Café- und Restaurantbesitzer trotzen der Sperre. Sie stellen sich vor TV-Kameras und erklären, dass sie sich im Recht und den Staat im Unrecht sehen, und vertrauen darauf, dass dieser Werbeeffekt die Geldbußen ausgleicht. 30 Strafen für unerlaubten Lokalbetrieb wurden am Samstag, dem zweiten Tag des Lockdown, in Israel verhängt. 2044 Bußen gab es für ungerechtfertigtes Verlassen des Wohnortes. Die Dunkelziffer ist weit höher.

An der Straßensperre am Rande von Haifa, auf der Autobahn Richtung Tel Aviv, wird jedes Auto gestoppt. Wer auf dem Weg zur Arbeit ist oder Verwandte mit Lebensmitteln versorgt, darf weiterfahren. Ein junges, gut gelauntes Pärchen mit vollgestopftem Auto gibt an, in eine neue Wohnung zu übersiedeln, der Beamte lässt sie passieren und wünscht viel Glück. Gestraft wird hier nicht.

Wer keinen guten Grund vorweisen kann, wird einfach zurück in die Stadt geschickt und versucht vielleicht auf der einen oder anderen unbewachten Landstraße erneut sein Glück.

Demos in Tel Aviv

In Tel Aviv fanden sich am Samstag derweil Hunderte in Badekleidung, mit schwarzen Fahnen und Schildern "Gegen Lockdown" am Strand ein, um zu Clubmusik zu tanzen und zu pritscheln: Badespaß, geschützt vom Demonstrationsrecht. Das finden nicht alle toll. "Das ist doch keine Demo, das ist eine Party", ärgert sich Mosche. Und mit Partys hätten die Menschen schon genug angerichtet. Wären alle nur ein wenig disziplinierter gewesen, hätte sich der zweite Lockdown vermeiden lassen können, ist er überzeugt. "Manchen geht ihre persönliche Freiheit über alles", sagt der 87-Jährige. "Wegen solcher Leute stecken wir jetzt alle fest." (21.9.2020)