Das Geld für den Bau einer Utopiestadt fehlte dem Venus Project. Ein paar fetzige Renderings gingen sich aber aus.

Foto: The Venus Project

Was ist die Wurzel allen Übels der Welt? Die US-NGO The Venus Project glaubt in unserem Geldsystem den Hauptschuldigen gefunden zu haben. "Wir haben nicht genügend Geld, um die Bedürfnisse aller Menschen weltweit zu decken. Wir haben aber genügend Ressourcen für alle, wenn wir sie denn klug managen", heißt es auf der Website der Organisation. Menschen brauchten am Ende des Tages schließlich kein Geld, sondern Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen. Also weg mit den Moneten.

Es gehe um eine humanere Welt, bessere Gesundheit für alle und den Schutz der Umwelt, und nicht um die Akkumulation von Geld, Besitztümern und Macht. So weit die Utopie. Doch wie soll das Ganze geschehen?

Zugegeben, beim Venus-Projekt liegen die exakten Umsetzungsschritte auch Jahrzehnte nach der Gründung noch weitgehend im Verborgenen. Die Vision soll aber ohnehin eher zum Träumen und Hinterfragen der aktuellen Situation anregen – aufzeigen, dass es vielleicht doch auch anders gehen könnte. Und so werden munter Ideen geboren: eine Universalsprache, die möglichst wenig Deutungsspielraum zulässt. Keine Reduktion auf das Wesentliche, sondern eine Reduktion auf das Beste, sprich: Es braucht nicht 200 verschiedene Töpfe, PCs oder Trinkwasserflaschen, aber jeder soll den jeweils besten Topf oder PC bekommen. Die Kolonisation von Meer und Weltall bei gleichzeitiger Rücksicht auf die Natur muss sowieso mit ins Programm.

Die ressourcenbasierte Wirtschaft aus Sicht des Venus-Projekts.
The Venus Project

Grundgerüst des neuen Modells, einer neuen Evolutionsstufe des Menschen, wäre die "ressourcenbasierte Wirtschaft" – ein Konzept des Visionärs Jacque Fresco, der 2017 101-jährig verstarb. Seine Arbeit war zeit seines Lebens von der schweren Wirtschaftskrise in den 1920ern geprägt. Er war es auch, der sich erstmals seit der Einführung von Geld als Tausch- und Zahlmittel, von dieser Vorstellung wieder verabschieden wollte. Steuern und Eigentum sollen gleich mit abgeschafft werden.

Was falsch läuft

Der Status quo funktioniere schlichtweg nicht mehr. "Der Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und der technologische Fortschritt sprengen die marktgetriebene Gesellschaft", so die pessimistische Vision der US-Visionäre. Wir entnehmen Ressourcen aus dem Kreislauf, die wir nicht zurückgeben. Wir verschmutzen Wasser, Erde und Luft, um relative Kostenvorteile zu erzielen. Wir kreieren künstliche Knappheiten, die so nicht nötig wären, nur um am Markt zu reüssieren.

Das Management von Staaten, Personen und Gütern sei insgesamt dysfunktional und trage nur zur Polarisierung der Menschheit bei. Insgesamt seien die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt zu komplex, um mittels politischer Entscheidungen gelenkt zu werden. Man würde deshalb lieber auf Algorithmen und Maschinen, vor allem aber auf die Wissenschaft hören, sagt CEO Roxanne Meadows vom Venus-Projekt. Die Roboter sollen die Arbeit machen und den Menschen freispielen, wo es nur geht.

Ein paar detailliertere Pläne sowie Kritikpunkte zur Modellstadt finden sich auch in diesem Video von Joe Scott.
Joe Scott

Unser Wirtschaftssystem bremse aber den technischen Fortschritt ein, der dies verwirklichbar machen würde. Würden maßgebliche Entwicklungen auch losgelöst von ihrer wirtschaftlichen Rentabilität vorangetrieben werden, stünden der Menschheit am Ende des Tages mehr und nicht weniger Ressourcen zur Verfügung. Dies wiederum könne Gier und Korruption entscheidend drücken oder gar beseitigen, so die Vorstellung – eines Tages auch Krieg insgesamt – so der Wunsch. Zahlreiche Wirtschaftswissenschafter sehen das freilich komplett anders.

Aber warum sollte ausgerechnet im 85.000 Quadratmeter großen Forschungsareal in Venus, Florida, der "nächste Schritt in der menschlichen Evolution" erfolgen? Vergleiche mit einer kommunistischen oder sozialistischen Revolution lehnt man beim Venus-Projekt ab.

Modellstädte

Es gehe weder um eine gewaltsame Revolution noch um eine reine Umverteilung der monetären Mittel – eben jenes System will man ja ersetzt sehen. Und zwar durch eine "begleitete Evolution" anstelle einer abrupten Revolution. Am Anfang dieser Evolution will man mit gutem Beispiel vorangehen. Eine Modellstadt soll zeigen, dass es funktioniert – anders und besser. Wann und ob diese jemals gebaut wird, wer all dies finanziert, und welcher Staat bereit wäre, der Stadt freie Hand zu gewähren, ist dabei völlig unklar.

Überleben die Ideen von Fresco?
Foto: The Venus Project

Ungefähre Pläne gibt es dennoch. In kreisförmig angeordneten Prototypstädten sollen alle Hypothesen – von der abfalllosen Ernährung über die hundertprozentige Umstellung auf erneuerbare Energien oder die Entscheidungsfindung per Algorithmus – auf ihre Robustheit hin überprüft werden. Das wäre gerade in der Klimakrise entscheidend. Was sich bewahrheitet, soll beibehalten und auf andere Teststädte übertragen werden. Alles, was nicht funktioniert, wird gekübelt. Sobald einige Modellstädte funktionieren, folgt die langsame weltweite Evolution.

Vorausgehen müsste dem ein komplettes Redesign der Städte. Das Hauptaugenmerk beim Umbau läge auf Transport, Verteilung, Infrastruktur und Recycling – freilich käme auch in diesem Wunschszenario automatisierten Prozessen viel Aufmerksamkeit zu.

Der Laser-Bagger ist nur eine von tausenden Ideen von Jacque Fresco.
Foto: The Venus Project

Zu den weiteren Zielen gehört es etwa, flächendeckende Angebote zur und Bildung über Verhütung zu vermitteln, um so die Population zu regulieren. Umweltverträglichkeitsprüfungen wären verpflichtend. Frescos Utopie war nicht reif für das 21. Jahrhundert. Vielleicht überleben seine Ideen aber noch bis ins 22. (Fabian Sommavilla, 31.10.2020)