Es ist ein sonniger Montagvormittag eine Woche nach Labor Day, dem offiziellen Herbstbeginn in der USA. Manhattan wirkt friedlich und verschlafen. Die Straßen sind wie leergefegt, die Stille gespenstisch. Der Großteil der Angestellten und Manager, die normalerweise hektisch in ihre Büros in Midtown Manhattan eilen, arbeiten noch immer von zu Hause. Touristen, die sonst ratlos an Straßenecken stehen und versuchen, sich mit Hilfe ihrer Mobiltelefone zu orientieren, oder in den Cafés ihren Morgenkaffee genießen, sind nicht angereist. Weder Privatautos noch gelbe Taxis, Lastwagen oder Sightseeing-Busse verstopfen die Straßen.

Im Central Park sind ein paar Nannys mit Kinderwagen unterwegs, Kinder spielen Fußball oder Baseball. Der Schulbeginn für die 1,1 Millionen Schüler in den öffentlichen Schulen wurde zweimal überraschend verschoben. Erst nächste Woche werden sie ihre seit März leeren Schulgebäude wieder betreten, in kleinen Gruppen und mit Masken. Von Normalität ist die Stadt sechs Monate nach Ausbruch der Pandemie weit entfernt.

Für diejenigen, die New York kennen, ist diese Stille ein äußerst befremdlicher Zustand. Nur während der berühmt berüchtigten "Nor‘easter"-Schneestürme an der amerikanischen Ostküste, die innerhalb weniger Stunden erhebliche Schneemassen abwerfen, erlebt man Ähnliches. Oder an den wichtigsten Feiertagen, wie Thanksgiving, Weihnachten oder Jom Kippur. Auch nach den Anschlägen vom 11. September vor fast 20 Jahren war es unheimlich und geisterhaft still, wie nach einem Kriegsausbruch. Damals war der Gestank der brennenden Ruinen allgegenwärtig, erinnerte auf Schritt und Tritt an die Katastrophe. Seit März 2020 ist es nun die unsichtbare und geruchlose Bedrohung eines Virus, das die Stadt, die niemals schläft, zum Stillstand bringt.

Times Square, September 2020
Stella Schuhmacher
Leere Fifth Avenue
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Central Park South Richtung Time Warner Center
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Verheerende wirtschaftliche Auswirkung der Pandemie

Seit Ende Juni befindet sich die Stadt, in der 23.000 Menschen an Covid-19 verstorben sind, in einem phasenweisen Öffnungsprozess. Die Zahl der Neuinfektionen liegt stabil niedrig, bei 4 täglichen positiven Fällen pro 100.000 Einwohner. In allen öffentlichen Bereichen herrscht Maskenpflicht, auch auf den Straßen, woran sich die Bevölkerung mit wenigen Ausnahmen diszipliniert hält.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind verheerend. Die Arbeitslosenrate liegt in der Stadt bei 20 Prozent, in manchen Gegenden beträgt sie sogar 41 Prozent. Viele Geschäfte, Restaurants oder Hotels mussten zusperren, leerstehende oder mit Papier verkleidete Auslagen sind zumindest in Manhattan in der Überzahl. 180 Hotels wurden in den letzten Monaten zu temporären Behausungen für medizinisches Personal und Obdachlose umfunktioniert, eine Maßnahme, die von der Stadt finanziert wurde. Zahlreiche Obdachlose sitzen und liegen mit ihren Habseligkeiten auf Parkbänken oder auf der Straße. Die New Yorker Subway ist zum ersten Mal in ihrer 115-jährigen Betriebsgeschichte von ein bis fünf Uhr morgens geschlossen. Züge und U-Bahnstationen werden in dieser Zeit gereinigt und desinfiziert, auch will man dadurch die Zahl der Obdachlosen im U-Bahnsystem reduzieren. 

Ein Obdachloser hat sich vor einem geschlossenen Geschäft niedergelassen.
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Eine gerade eröffnetes Covid-19 Testzentrum in der Columbus Avenue.
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Maskentragen ist Pflicht, auch im Freien.
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Die Gewerkschaft der New Yorker Polizei unterstützt Trump. Auslage eines Souvenirgeschäftes.
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Ohne Worte.
Stella Schuhmacher

Ab Ende September darf in Restaurants wieder im Innenbereich gegessen werden, allerdings nur mit einer Auslastung von 25 Prozent. In den Sommermonaten hat sich die einzigartige und vielfältige New Yorker Restaurantszene zwischenzeitlich ins Freie verlagert. Straßenzüge wurden abgesperrt, um der Bevölkerung mehr Freiraum zu geben und Restaurants durften kleine Vorgärten eröffnen. Eine bezaubernde Atmosphäre ist dadurch entstanden, belebt und gemütlich. 

Vorgarten eines Restaurants.
Stella Schuhmacher
Restaurant im Freien.
Stella Schuhmacher

Kunst und Kultur

Broadway-Theater, Carnegie Hall oder die Metropolitan Opera planen, im Jänner 2021 mit Aufführungen zu beginnen. Die großen Museen der Stadt sind seit Ende August wieder geöffnet, allerdings mit limitierter Kapazität. Und im Central-Park wurde im August die erste Statue aufgestellt, die sich Frauenrechten widmet. 

Abgeriegelte Metropolian Opera und Lincoln Center.
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Moma Eingangsbereich mit Temperaturcheck.
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Women's Rights Pioneers Monument im Central Park.
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Geschlossenes Theater. Das Hit-Musical Hamilton kann man zur Zeit streamen.
Stella Schuhmacher

Bis der Kulturbetrieb tatsächlich wieder anläuft kann man zum Beispiel "Hamilton", ein Musical über das Leben des amerikanischen Staatsmannes und Gründungsvater der Vereinigten Staaten Alexander Hamilton, das mit seiner Musik und vielfältigen Besetzung Furore gemacht hat, virtuell genießen. Einige Liedertitel aus dem Musical, wie "Stay alive", "Helpless", "History has its eyes on you", "What comes next?" oder "Who lives, who dies, who tells your story" scheinen fast für die momentane Krise geschrieben worden zu sein. Man kann nur hoffen, dass sich die "Greatest city in the world", wie sie im Musical von den Schuyler Schwestern besungen wird, wie nach Krisen der Vergangenheit erholt, den Staub abschüttelt und wiederaufrichtet. Zum Abschluss folgt ein Video mit Jimmy Fallon, der Originalbesetzung von "Hamilton" und "The Roots". (Stella Schuhmacher, 23.9.2020)

The Tonight Show Starring Jimmy Fallon