Szenenfoto aus "Hollands Meister".

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Für pandemiefreie Zeiten wäre dieser Einstand einer neuen Ballettdirektion zu mager geraten. Aber jetzt, nach mehr als einem halben Jahr Ballett-Abstinenz und im Anrauschen der zweiten Coronawelle, regiert Bescheidenheit: Ein konventioneller Premieren-Abend wie Hollands Meister an der Wiener Volksoper ist immerhin schon ein Lebenszeichen.

Martin Schläpfer, neuer Leiter des Wiener Staatsballetts, hat coronabedingt einen harten Start. Daher wohl zu Beginn der Zugriff auf Vorhandenes: Anfang September wurde, ebenfalls an der Volksoper, Peter Pan von Vesna Orlić wiederholt, und ab 24. September gibt es an der Staatsoper die Wiederbegegnung mit einem Repertoirestück: George Balanchines Jewels.

Behutsamer Wiedereinstieg

So bekommen die Tänzer nach dem Stress von Lockdown, Direktionswechsel und den aktuellen Verunsicherungen auf jeden Fall einen behutsamen Wiedereinstieg. Schläpfer selbst gewinnt Zeit für seine erste richtige Premiere in zwei Monaten im Haus am Ring, in der er sich selbst als Choreograf präsentiert: Mahler, live heißt seine Kombination aus einer eigenen Choreografie zu Gustav Mahlers 4. Sinfonie und dem Ballett Live des holländischen Altmeisters Hans van Manen.

Martin Schläpfer pflegt eine enge künstlerische Beziehung zu van Manen, der Anfang der 1960-er Jahre die Leitung Nederlands Dans Theater (NDT) übernommen hatte, mit dem auch die beiden anderen holländischen Meister des Volksopern-Abends entstammen: Jiří Kylián war beinahe ein Vierteljahrhundert Direktor des NDT, und das Duo Sol León / Paul Lightfoot stehen der Tanzgruppe aus Den Haag seit 2012 und noch bis Dezember vor.

Poetisches Pathos

Hollands Meister stellt also eine Reverenz an das jahrzehntelang sehr einflussreich gewesene NDT dar. Der Abend beginnt mit einer Wiederaufnahme von Leóns und Lightfoots humorigem und technisch anspruchsvollem Quartett Skew-Whiff (1996), in dem Fiona McGee, Masayu Kimoto, Denys Cherevychko und Davide Dato am Premierenabend beinahe durchgehend Spitzenklasse bewiesen. McGee und Dato sind übrigens, anders als auf Ö1 behauptet, keine "Neuzugänge" der Wiener Compagnie. Fiona McGee tanzt dort seit 2017, und der Erste Solotänzer Davide Dato ist schon seit 2009 dabei.

Wie angejahrt Hans van Manens Adagio Hammerklavier aus dem Jahr 1973 heute ist, hat sich bereits bei früheren Staatsopern-Aufführungen des Stücks gezeigt. Das streng strukturierte Spiel dreier reiferer Paare hat ein poetisches Pathos angesetzt, dem auch eine Größe wie Olga Esina keinen künstlerischen Reiz mehr entlocken konnte.

Mysteriöse Beziehungen

Jiří Kyliáns Psalmensymphonie (1978) war erst im Vorjahr zu sehen und wird jetzt als Symphony of Psalms präsentiert. Hier müssen die Männer immerhin nicht mit nackten Fitness-Oberkörpern protzen wie bei van Manen, und die acht Paare können sich zur Musik von Igor Strawinski ganz den mysteriösen Beziehungen zueinander widmen, die sich aus der geometrisch angelegten Choreografie ergeben.

Das humoraffine Wiener Publikum mochte bei der Premiere am Sonntag Skew-Whiff hörbar am liebsten, spendete aber auch den beiden folgenden Arbeiten höflichen Applaus. Hollands Meister ist nur als Stückzusammenstellung eine "Premiere", aber die Wiederbegegnung mit dem Staatsballett hat etwas Aufmunterndes. Dass Schläpfer beschlossen hat, so ausgezeichnete Erste Solotänzer wie Jakob Feyferlik und Natascha Mair nicht in der Compagnie zu halten, wirkt allerdings echt erratisch. (Helmut Ploebst, 22.9.2020)