Geld führt zu Gier, sagen Kritiker. Wäre ein Leben ohne Geld deshalb ein besseres?

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Ein Leben ohne Geld, das wünschten sich bisher vor allem echte Aussteiger: wie zum Beispiel Gottfried Stollwerk, der im kleinen Ort Bissendorf in Deutschland einen Biobauernhof betreibt, mit den Händen Kartoffeln ausgräbt, das Gras mit der Sense mäht und sich weitgehend selbst versorgen will. Oder Jakob Zinkowski aus Schwerin, der sich aus Ästen und Baumstämmen eine Jurte gebaut hat und sich mit eigener Solar- und Windanlage mit Energie versorgt. Hin und wieder haben sich gesellschaftskritische Selbstversorger auch zu Kommunen zusammengeschlossen, wie etwa dem Krishna Valley in Ungarn oder den Twin Oaks in den USA, die weitgehend unabhängig von Geld leben.

Was im Kleinen funktionieren mag, stößt im Großen schnell an seine Grenzen. Eine Welt ohne Geld funktioniert nicht, davon ist die große Mehrheit der Wirtschaftswissenschafter überzeugt. Ein kleines Forschungsteam aus Deutschland und Österreich will sich der Idee zumindest nähern. Seit zwei Jahren arbeiten sie an Modellen, die eine Gesellschaft ohne Geld längerfristig simulieren sollen. Statt Rückkehr zu Sense und Selbstversorgung sollen dabei neueste Technologien helfen: gigantische Datenmengen und Algorithmen, die Menschen und deren Bedürfnisse miteinander vernetzen und damit irgendwann Geld bedeutungslos machen sollen. Kann das funktionieren?

Im Krishna Valley in Ungarn spielt Geld nur eine untergeordnete Rolle. Ausweiten auf die Gesellschaft ließe sich das Modell wohl kaum.
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Utopien geldloser Welten

Tatsächlich ist die Kritik am Geld so alt wie das Geld selbst. Schon in der griechischen Antike argumentierte Platon, Geld solle nur "wegen des täglichen Verkehrs" verwendet und "der Besitz von Gold oder auch nur Silber" untersagt werden. 1516 entwarf der englische Staatsmann Thomas Morus die Utopie einer Gesellschaft, in der Gold und Silber nur mehr für Nachtgeschirre eingesetzt werden sollen, da Geld den Menschen verderbe. Und im 19. Jahrhundert schrieb der Franzose Étienne Cabet das Werk Die Reise nach Ikarien, eine Utopie, in der weder Eigentum noch Geld existieren.

Durchsetzen konnten sich die romantischen Visionen eines harmonischen Zusammenlebens nie. Das hat triftige Gründe: Geld ist ein Tauschmittel, das Geschäfte zwischen Fremden überall auf der Welt ermöglicht. Mit Geld kann der Wert eines Produkts genau bemessen werden und diese Werte über längere Zeit aufbewahrt werden. Laut dem US-amerikanischen Ökonomen William Goetzmann war Geld überhaupt erst dafür verantwortlich, dass höhere Zivilisationen entstehen, die Bevölkerungen wachsen sowie die Produktivität und damit auch der Wohlstand steigen konnten. Warum sollte sich daran in Zukunft irgend etwas ändern?

3D-Druck und Algorithmen

Laut der Forschungsgruppe "Gesellschaft nach dem Geld", denen unter anderem Forscher aus einigen deutschen Universitäten und der Wirtschaftsuniversität Wien angehören, haben geldkritische Thesen vor allem aufgrund der Finanzkrise 2008 und der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung Auftrieb erfahren. Demnach habe die Finanzkrise das Vertrauen in das Finanzsystem insgesamt erschüttert. Digitalisierung und Technologisierung würden wiederum Möglichkeiten neuer Produktion und Kommunikation eröffnen.

Einige Ideen klingen mehr als gewagt. Beispielsweise imaginiert der US-Ökonom Jeremy Rifkin, auf den sich auch die deutsch-österreichische Forschungsgruppe bezieht, dass der 3D-Druck zu einem Rückzug des Kapitalismus führen wird, weil er Konsumenten zu Produzenten mache, die dann in der Lage wären, selbst alle Güter herzustellen.

Der deutsche Manager Stefan Heidenreich wiederum argumentiert, dass in Zukunft Tausch auch ohne Geld funktionieren kann, indem Algorithmen und künstliche Intelligenz die Koordination übernehmen. Wenn Unternehmen wie Amazon und Google beinahe alle Wünsche ihrer Kunden kennen, würden Daten irgendwann den Markt übernehmen. Die Verteilung von Aufgaben, Gütern und Dienstleistungen erfolge dann über Algorithmen, die sie mit den Bedürfnissen der Menschen "matchen".

"Wie ein Ameisenbau"

In einer Simulation wollen die Forscher die Auswirkungen einer geldlosen Wirtschaft auf die Gesellschaft testen. "Man kann sich das wie in einem Ameisenbau vorstellen", meint Manuel Scholz-Wäckerle, Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien, der das Projekt betreut. Die Mitglieder einer Gesellschaft sprechen sich im kleinen Kreis, etwa im Haushalt, dar über ab, was sie brauchen, anschließend werden die Bedürfnisse an die Produzenten und andere Gruppen weitergeleitet.

In einer solchen Welt, die wie ein Konzept des Kommunismus 2.0 klingt, gäbe es kein Eigentum, keine zentrale Planung, keine Märkte und kein Geld. Stattdessen sollen sich die Bewohner darauf einigen, was produziert werden soll, wie die Arbeit aufgeteilt und nach welchen Kriterien verteilt wird.

Konflikte bleiben

Dass das Projekt höchst spekulativ ist, muss auch Scholz-Wäckerle zugeben. Ohnehin stellen sich für Kritiker viele Fragen. Etwa wie eine Verteilung ohne Geld konkret funktionieren kann. Oder was die Idee für den Wohlstand bedeuten würde. Nicht zuletzt verweisen sie darauf, dass es ohne eine moderne Finanzwirtschaft überhaupt nie zu einem derartigen materiellen Reichtum gekommen wäre, um über Verteilung reden zu können.

Ganz vom Geld verabschieden würden sich auch Forscher wie Scholz-Wäckerle nicht. "Geld sollte lediglich nicht alle anderen Werte unterordnen", meint er, "etwa wenn es um die Frage der Pflege oder der Bewertung von Natur geht." Ob es eine Gesellschaft nach dem Geld geben könnte, hält er für ungewiss. Ebenso ob eine Gesellschaft dann harmonischer wäre. Vieles spricht dagegen. Denn auch in seiner Simulation wird es größere Konflikte geben. (Jakob Pallinger, 27.09.2020)