Macron fällt es immer schwerer, seine Basis zu halten. Immer mehr ehemalige Unterstützer wenden sich von ihm ab.

Foto: AFP/GEORGES GOBET

Außenpolitisch interveniert Emmanuel Macron derzeit an allen Fronten: Türkei und Belarus, EU-Gipfel und Uno-Vollversammlung. In Paris bricht dem rastlosen Präsidenten derweil der Rückhalt weg. Seine Partei La République en Marche (LRM) hat am Sonntag bei sechs Nachwahlen in die Nationalversammlung sechs schwere Schlappen erlitten. Keiner ihrer Kandidaten schaffte es auch nur in den zweiten Wahlgang. Im Elsass, wo Macrons Mann bei den Parlamentswahlen 2017 noch 26,2 Prozent erzielt hatte, das heißt ähnlich viel wie Macron bei der Präsidentschaftswahl des gleichen Jahres, erhielt der LRM-Bewerber am Sonntag noch 3,1 Prozent.

Dieses Resultat allein zeigt, wie tief Macrons einst junge und hoffnungsvolle Bewegung gefallen ist. Vor drei Jahren waren die "marcheurs" angetreten, das verknöcherte politische Leben Frankreichs von Grund auf zu erneuern. Im ganzen Land schossen lokale Komitees aus dem Boden, hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern schrieben sich ein und brachten neue Ideen mit. Jetzt verheddert sich LRM in den gleichen Querelen, die Macron bei den Altparteien so kritisiert hat.

Am Montag reichte die Nummer zwei der Partei, Pierre Person, seine Demission ein, weil LRM, wie er sagte, "keine neuen Ideen mehr" produziere. Nur noch die Vorgaben von Macrons Regierung setze die Partei um, fügte der Parteivize bitter an.

Identitätskrise in der LRM

Wie zum Beleg setzte die Parteiführung am Montagabend organisatorische Vorgaben aus dem Élysée-Palast um, ohne auf Anliegen anderer einzugehen. Die prominente LRM-Sprecherin Aurore Bergé gab darauf ebenfalls ihre Funktion auf. "Das Malaise in unserer Bewegung geht tief", erklärte sie. "Wir wissen nicht mehr, wer wir sind und wofür wir eintreten."

Die Rücktrittsbewegung hatte schon im Mai begonnen, als Abgeordnete des linken Parteiflügels die Fraktion verließen und eine eigene Bewegung namens "Ökologie, Demokratie, Solidarität" gründeten. Macrons Partei verlor damit die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Parteiintern dreht sich die Debatte seither um die Frage, wie liberal die Partei zu sein habe – sowohl in gesellschaftlicher wie in ökonomischer Hinsicht. Macron debattiert nicht, er taktiert: So fährt er seit Monaten einen spürbaren Rechtskurs, weil er sich ausrechnet, dass ihm die ältere, konservative Wählerschaft mehr neue Stimmen zutragen kann als die Linkswähler, die sich laut Umfragen enttäuscht von ihm abwenden.

Doch nicht alles anders

Dass Macron den Kurs vorgibt und LRM nur nickt, ist in der französischen, auf den Präsidenten fixierten Politik nichts Ungewöhnliches. Bloß waren die "marcheurs" mit dem Anspruch angetreten, alles anders zu machen. Jetzt sehen sie, dass Macron wie ein Politiker der alten Schule handelt. Statt seine früheren Ideen und Reformen voranzutreiben, strebt er bei den alles entscheidenden Präsidentschaftswahlen von Mitte 2022 ein neues Duell mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen an, die, so hofft nicht nur Macron, in Frankreich nie eine Stimmenmehrheit erringen könnte.

Die Rechnung kann arithmetisch aufgehen. Die LRM-Dissidenten warnen allerdings, dass Macron mittlerweile eine so dünne Parteibasis habe, dass er Gefahr laufe, nicht einmal in den zweiten Wahlgang vorzustoßen. Laut dem Politologen Bruno Cautrès rächt es sich heute, dass Macron seine Bewegung wie eine Heerschar versteht, die nur den Zweck hat, ihm zu Diensten zu sein.

Wie die Parteiaustritte zeigen, sind viele "marcheurs" mittlerweile so frustriert, dass sie auch für eine geeignete Alternative zu Macron stimmen könnten. Eine solche ist anderthalb Jahre vor den Wahlen zwar nicht in Sicht, wenn man von Le Pen absieht. Aber der amtierende Präsident hatte 2017 selbst vorgemacht, wie schnell sich das ändern kann. (Stefan Brändle aus Paris, 22.9.2020)