Schon am 6. August schrieb der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten in der "Zeit", Deutschland habe die erste Welle der Covid-19-Epidemie "besser als viele andere kontrollieren" können. "Jetzt aber laufen wir Gefahr, unseren Erfolg zu verspielen."

Das kann man analog auch zu Österreich sagen. Die Regierung hat mit dem ersten Lockdown im März die exponentielle Verbreitung des Virus abgestoppt und damit richtig gehandelt. All jenen, die aus den verschiedensten Gründen meinen, es habe ohnehin nur wenige Tote gegeben und das sei nicht ärger als eine Grippe und die Maßnahmen seien übertrieben gewesen, sei gesagt: Die Sterblichkeit ist circa zehnmal so hoch wie bei der Grippe (Univ.-Prof. Heinz Burgmann, Vorstand Virologie, AKH), die Infizierten sind vor Symptomen ansteckend, auch Grippepandemien hatten verheerende Folgen, und die bloße Erkrankung an Corona ist äußerst unangenehm und mit Spätfolgen behaftet. Die Regierung hat also anfangs mehr oder minder richtig gehandelt. Man konnte ihr mehr oder weniger vertrauen. Das droht nun aber zu zerfleddern.

Innenminister Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
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Ein ganz wichtiges Moment ist das psychologische. Die Leute halten sich nur an Maßnahmen, wenn sie ihnen plausibel gemacht werden. Das funktioniert aber nur, wenn die Kommunikation der Regierenden einheitlich, überzeugend und in sich schlüssig ist.

Keine einheitliche Linie

Kanzler Sebastian Kurz hat in seinen Äußerungen keine einheitliche Linie gehalten. Zuerst sprach er davon, dass bald "jeder jemand kennen wird, der an Corona gestorben ist". Dann wurde der Ton weniger dramatisch, bis er noch Ende August vom "Licht am Ende des Tunnels" sprach. Zwar sprach er auch von einem harten Winter, der vorher kommen würde, aber hängen blieb nur der Optimismus. Keine 14 Tage später sagte er aber: "Was wir gerade erleben, ist der Beginn der zweiten Welle."

Hier widersprach ihm Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Aber auch Anschober hat sein Vertrauenskonto schwer strapaziert, indem er wieder und wieder zugeben musste, dass die in seinem Haus erarbeiteten Verordnungen fehlerhaft waren (und sind).

Auf der sachlichen Ebene wurde auch nicht konsistent gehandelt. Als der Sommer kam, hat man gelockert. Man wollte den Menschen (Wählern) ein Stück unbeschwertes Leben gönnen – und der Fremdenverkehrswirtschaft die Saison. Aber offenbar war das zu früh, und bei der Vorbereitung auf den Herbst wurde gepfuscht. Das gilt für die juristisch wackligen und kaum durchschaubaren Verordnungen des Gesundheitsministeriums ebenso wie für die Nichtvorbereitung in den Schulen, von der Eltern und Direktoren berichten.

Dazu kommen sinnlose parteipolitische Spiele. Mit der üblichen türkisen Tücke wurde versucht, im Wahlkampf Wien schlechtzumachen und Anschober hinterrücks abzuwerten. Nicht dass es da nicht Anlass zu Kritik gegeben hätte, aber es geht um die kurzsichtige, kleinliche, kontraproduktive Art, wie das geschieht.

Das ist alles nicht gut. Die Situation verschlechtert sich, übrigens in halb Europa, notwendig wäre eine Führung, die wirklich kooperiert, ihre Entscheidungen ohne Rücksicht auf irgendwelche Spezialinteressen trifft und vor allem plausibel begründet, warum jetzt was notwendig ist. (Hans Rauscher, 22.9.2020)