Weichtiere wie die Schließmundschnecke (Alinda biplicata) haben ein ausgeklügeltes System zu Entgiftung entwickelt.

Foto: Reinhard Dallinger

Schnecken mögen langsam sein, aber sie sind evolutiv äußerst erfolgreich. Nach den Gliedertieren sind sie die formenreichste Tiergruppe der Welt: Mit geschätzten 80.000 Arten besiedeln sie das Meer, das Land und das Süßwasser.

Eines der Geheimnisse ihres Erfolges ist ihre Fähigkeit, giftige Schwermetalle unschädlich zu machen, allen voran Cadmium. Reinhard Dallinger vom Institut für Zoologie der Universität Innsbruck und seine Mitarbeiter forschen seit Jahren an dieser Fähigkeit; mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF beleuchten sie nun weitere, bisher unbekannte Aspekte näher.

Cadmium ist ein Schwermetall, das in der Erdkruste natürlich vorkommt und für Lebewesen giftig ist. Das kommt unter anderem daher, dass es physikalisch-chemisch Zink sehr ähnlich ist und dieses in Verbindungen gerne ersetzt: Während Zink jedoch ein lebenswichtiges Spurenelement darstellt, erfüllt Cadmium keine derartige Funktion und wirkt in der Folge toxisch.

Cadmium-Speicher

Bei Wirbeltieren wird Cadmium, das in der Nahrung, im Wasser und in der Luft enthalten ist, in den Nieren entgiftet und gespeichert, und zwar über sogenannte Metallothioneine. Das sind Proteine, die einen hohen Anteil an schwefelhaltigen Aminosäuren aufweisen. Diese sind durch ihre Elektronenkonfiguration besonders dazu geeignet, Schwermetalle zu binden.

Erstmals nachgewiesen wurden Metallothioneine 1957 in der Niere von Pferden. Die damals entdeckte Variante enthält zwei Untereinheiten oder Domänen, die jeweils verschiedene Schwermetallatome binden können, und kommt bei allen Wirbeltieren vor.

Bei den Schnecken jedoch haben sich schon sehr früh in der Entwicklungsgeschichte völlig andersartige Metallothioneine entwickelt: "Diese Tiere haben schon vor 480 Millionen Jahren Cadmium-spezifische Metallothioneine erfunden", erläutert Dallinger. "Im Unterschied zu den Wirbeltieren binden bei ihnen beide Domänen ausschließlich Cadmium, was sie viel effektiver beim Entgiften dieses Schwermetalls macht."

Supervulkanische Eruptionen

Entscheidend dürfte diese Fähigkeit vor allem bei der Eroberung des Landes gewesen sein: "Im Verlauf der Erdgeschichte gelangte durch supervulkanische Eruptionen mit der Lava immer wieder auch viel Cadmium ins Gestein", sagt Reinhard Dallinger, "weshalb die natürlichen Cadmium-Konzentrationen in der Erdkruste etwa zehn- bis hundertmal höher sind als in den oberen Schichten der Ozeane. Aufgrund ihrer vorwiegend kriechenden Lebensweise können Schnecken außerdem auch Schwermetalle durch ihren Fuß aufnehmen, über den sie permanent mit dem chemischen Substrat ihrer Umwelt in Verbindung stehen. Für sie war also eine effiziente Metallentgiftung besonders wichtig."

Tatsächlich konnten Dallinger und sein Team in Kooperation mit Arbeitsgruppen an der Uni Innsbruck und der Med-Uni Innsbruck sowie aus Zürich und Barcelona zeigen, dass die Schnecken im Verlauf ihrer Entwicklung immer effizienter wurden: "Es enthüllt sich vor unseren Augen ein Stammbaum der Optimierung der Entgiftungskapazität in dieser Tiergruppe", wie Dallinger es ausdrückt.

Neue Giftandockstellen

So weist etwa die im Meer lebende und sehr ursprüngliche Große Kalifornische Schlüssellochschnecke noch die "klassischen" Metallothioneine mit zwei unspezifischen Domänen auf. Im Lauf der Zeit jedoch entstanden Arten, deren Metallothioneine gezielt Cadmium entgifteten.

Vor rund 430 Millionen Jahren entwickelten manche Schnecken, wie etwa die Vorfahren der Riesennapfschnecke, eine völlig neue Domäne, die statt drei Metallionen vier binden kann. Dazu kommt, dass im Lauf der weiteren Evolution bei vielen Schneckenarten Cadmium-spezifische Untereinheiten dupliziert und modulartig aneinandergeknüpft wurden.

So verfügt die landlebende Schließmundschnecke über ein Metallothionein mit insgesamt zehn Domänen, von denen jede jeweils drei Cadmium-Ionen binden und damit unschädlich machen kann.

Eine Frage der Anordnung

"Man kann die Struktur dieser Metallothioneine mit einem Eisenbahnzug vergleichen", schildert Dallinger, "je mehr Wagons er hat, desto mehr Metallionen kann man auf ihn aufladen." Dallinger und seine internationalen Forschungspartner haben übrigens auch Muscheln und Kopffüßer untersucht, die wie die Schnecken zu den Weichtieren gehören. Auch diese kombinieren in ihren Metallothioneinen verschiedene Domänen, weisen aber keine Cadmium-Spezifität auf.

Ob die Domänen in den Metallothioneinen der Schnecken auch tatsächlich wie ein Zug oder eine Kette angeordnet sind oder vielleicht eher in aufgerollter Form vorliegen, wollen Dallinger und seine Gruppe nun klären.

Je nach räumlicher Anordnung ist nämlich mit unterschiedlichen chemischen Effekten zu rechnen: "Bei einer langgestreckten Kette haben weiter voneinander entfernte Domänen keinen Kontakt mehr zueinander", sagt Dallinger, "aber wenn sie dicht gepackt und aufgerollt sind, kann es zu Wechselwirkungen zwischen den Protein-Untereinheiten kommen." Die Klärung dieser Verhältnisse ist einerseits natürlich ein Anliegen der Grundlagenforschung, liefert andererseits aber auch Wissen, das zum Beispiel für die Herstellung künstlicher metallbindender Proteine von Bedeutung sein kann.

Indikatoren für Schadstoffe

Nicht alle Schneckenarten setzen ausschließlich auf Cadmium-Entgiftung: Einige Landlungenschnecken wie die Weinbergschnecke haben auch Metallothioneine erfunden, die spezifisch Kupfer binden. Zwar brauchen sie das Schwermetall als Baustein ihres Blutes, in zu hohen Konzentrationen ist es aber giftig und muss daher ebenfalls im Zaum gehalten werden.

Die besondere Fähigkeit, Metalle in ihren Organen zu speichern und zu entgiften, macht Schnecken auch zu hervorragenden Bioindikatoren für Schwermetalle. In weltweiten Kooperationsnetzwerken werden Schnecken und Muscheln entlang von Küsten gesammelt und auf ihre Schwermetallanreicherung hin untersucht. "Es liegt daher auf der Hand", sagt Dallinger, "wie wichtig es ist, die Mechanismen der Schadstoffentgiftung dieser Tiere besser verstehen zu lernen." (Susanne Strnadl, 4. 10. 2020)