Der Titel "Dragman" trügt: August Crimp ist trans, nicht drag.

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Julian und seine Großmutter auf dem Weg zur Meerjungfrauenparade am Strand.

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Autorin Joanne K. Rowling wird nach ihren Tweets im Juni, wonach trans Frauen keine Frauen seien, erneut Transfeindlichkeit vorgeworfen. Denn der Mörder in ihrem soeben erschienenen Krimi Troubled Blood nähert sich seinen Opfern in Perücke und Frauenkleidern. Zudem wurde aufgedeckt, dass das Pseudonym Robert Galbraith, unter dem die Erfinderin von Harry Potter ihre Krimis schreibt, gleich lautet wie der Name eines amerikanischen Arztes, der in den 1950ern mit Konversionstherapie zur Heilung Schwuler experimentierte. An den von Rowling behaupteten Zufall wollen viele nicht glauben. Es wird also spekuliert, inwiefern der Mörder in Frauenkleidern mehr ist als ein billiger Effekt: Ein Seitenhieb Rowlings auf Kritiker? Oder gar ein Angriff auf eine Gruppe?

Katja Anton Cronauer betreibt in Berlin die Plattform trans*fabel, einen Onlinehandel für Bücher jenseits des binären Geschlechtersystems. Er stellt fest, dass trans Figuren in Büchern immer wieder abwertend dargestellt, auf ihre Andersartigkeit reduziert oder wegen eines Effekts als kurioser Aufputz benutzt würden. "Das ist frustrierend und verletzend", sagt Cronauer. Er ist sich sicher, dass Rowling "ihre Berühmtheit ausnutzt, um ihre Transfeindlichkeit immer wieder auszudrücken".

Mit dem BH zum Superhelden werden

Dabei geht es auch anders. Wenn Hauptfigur August Crimp in Steven Applebys neuer Graphic Novel in BH, Kleid und Frauenperücke schlüpft, startet seine Transformation. Er wird zum fliegenden Superhelden Dragman. Dragman ist eines von einer Handvoll trans Büchern, die in den vergangenen Wochen und Monaten gesteigerte Aufmerksamkeit erfahren haben. Darin erzählt Appleby berührend vom Wunsch seines Helden schon als Kind, ein Mädchen zu werden, wie er als Jugendlicher anfing, sich im Gewand seiner Mutter zu verkleiden, und wie er fürchtet, in Frauenkleidern auf der Straße jemandem zu begegnen, der ihn kennt. Viel davon ist autobiografisch: Im Nachwort beklagt Appleby, die lange mangelhafte Repräsentation von trans Menschen in der Öffentlichkeit und wie ihn das belastete. Seit 2007 lebt Appleby offen als trans Frau.

Mit dem Einbetten der Thematik in eine fiktionale Geschichte ist Appleby in den Bücherregalen einer von wenigen. Romane und Lyrik auf dem Gebiet gebe es wenige, und noch weniger gute, sagt Cronauer. Für eine literarische trans Leseliste muss er weiter zurückschauen: Sasha Marianna Salzmanns Außer sich fällt ihm ein, auch Akwaeke Emezis Süßwasser. Tatsächlich fallen die meisten Titel in die Genres Memoir, Ratgeber und Sachbuch.

"Trans Mann" statt "Transmann"

So auch Ich bin Linus von Linus Giese. Darin erzählt der 1986 Geborene aufklärerisch und Mut machend von seinem Leidensdruck und langen Weg zum "richtigen" Geschlecht: Mit 31 Jahren fing er sein Leben als Mann an. Er berichtet persönlich von Sitzungen bei der Therapeutin, die es für eine Hormontherapie braucht ("Ich fühlte mich nicht unterstützt, sondern von der Willkür anderer abhängig"), der Wirkung der Testosteronspritzen, unabsichtlich verletzenden Bemerkungen, ihm entgegenschlagendem Hass, Diskriminierung beim Daten und falsch benutzten Pronomen.

Die Phrase "im falschen Körper geboren" ist für ihn etwa genauso schwierig wie das Wort "Transmann". Es würde die Person auf diese eine Eigenschaft reduzieren. Dagegen zeige "trans" adjektivisch verwendet, dass trans nur eine von vielen Eigenschaften der Person sei.

Kein Massenpublikum

Ich bin Linus hat es sogar auf die Bestsellerliste des Spiegel geschafft. Das ist selten. Denn die Leser von trans Büchern sind laut Jürgen Ostlers Erfahrungen überwiegend selbst trans oder Angehörige von trans Personen. Ostler betreibt seit 1993 die queere Buchhandlung Löwenherz in Wien. Zwar sei das trans Segment bisher kleiner als schwule und lesbische Titel, doch es verzeichne die stärkste Zuwachsrate. Es gebe hier eben besonders vielfältige Erfahrungen aufzuarbeiten und zu beschreiben. Man spüre aber auch Serienerfolge wie Pose.

Viele Titel im Laden gibt es aber nur auf Englisch. Im Gegensatz zum schwulen Bereich gebe es keine großen spezialisierten Verlage zum Thema trans. Schwer, sich Überblick zu verschaffen, mache ebenso, dass große Publikumsverlage, die immer wieder auch Titel mit queeren Motiven herausbringen, oft "einen Teufel tun", das in den Klappentext zu schreiben: aus Angst, Kunden zu verprellen. Das erschwert auch Cronauer die Suche nach Titeln, wobei er wohl Gutes am Fehlen expliziter Stichwörter erkennen kann, erscheine trans zu sein so doch eher "als Normalität". Unterstützung dabei kommt vielleicht aus eher unerwarteter Richtung: Die Haarpflegemarke Pantene Pro-V wirbt neuerdings in TV-Spots mit dem transgender Model Pari Roehi.

Außenseiterposition als Mehrwert

Diversität ist ein aktuelles Schlagwort auch der Buchbranche: Blackness, Klassismus, Konzepte von Weiblichkeit. Warum also nicht auch Trans? Der trans Mann Thomas Page McBee hinterfragt im autobiografischen Amateur etwa aus dieser Außenseiterposition heraus Vorstellungen von Männlichkeit generell. Für ganz junge Leser packen aktuell Julian ist eine Meerjungfrau und das in Wien spielende Der Katze ist es ganz egal dieses Thema an.

Wer trans Literatur für Erwachsene sucht, dem sei noch die queere Literaturzeitschrift Glitter geraten. Anders als am kommerziellen Buchmarkt ortet Mitherausgeber Donat Blum in den Kurztexten "ein sehr großes Bedürfnis, neue Bilder und Narrative zu schaffen, neue Ausdrucksmöglickeiten für trans Identitäten zu finden". Ausgabe vier folgt im Dezember. (Michael Wurmitzer, 23.9.2020)