Nach einer Corona-bedingen Wahlverschiebung, einem wochenlangen Abstimmungsprozess und einem dem komplexen Wahlsystem geschuldeten Auszählungsmarathon ist Ishmael Toroama am Ziel. Am Freitag wurde der neue Präsident Bougainvilles vereidigt.

Seit Mittwoch stand Toroama als Sieger der Wahl um das höchste Amt in der autonomen Region Papua-Neuguineas fest. Der ehemalige Führer der Revolutionsarmee Bougainvilles (Bougainville Revolutionary Army, BRA) setzte sich gegen 24 andere Kandidaten durch und wird die nun Unabhängigkeitsverhandlungen mit der Zentralregierung Papua-Neuguineas führen.

Papua-Neuguineas Premierminister James Marape gratulierte dem Wahlsieger und kündigte ein baldiges Treffen mit dem neuen Präsidenten an. Er freue sich auf die Beratungen über die Unabhängigkeit Bougainvilles und die Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung und des Friedens, schrieb Marape.

Klarer Auftrag der Bevölkerung

Ende 2019 hatten sich die Einwohner Bougainvilles in einem – nicht bindenden – Referendum mit einer massiven Mehrheit von mehr als 98 Prozent für die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea ausgesprochen. Am 6. Dezember, noch während des Referendums, gab Toroama seine Kandidatur für das Präsidentenamt bekannt und gründete eine eigene Partei, die "Bogenvil People's Alliance Party" (BPAP). Es war sein zweiter Versuch, das höchste Amt Bougainvilles zu erobern: Vor fünf Jahren war Toroama bei der Präsidentenwahl dem Amtsinhaber John Momis jedoch klar unterlegen. Diesmal war der Wahlausgang aufgrund des großen Kandidatenfeldes völlig offen. Momis hatte wegen der bevorstehenden Unabhängigkeitsverhandlungen eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit angestrebt, dies war jedoch von der Verfassung nicht gedeckt.

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Ein Wahlplakat Toroamas in Buka.
Foto: Reuters/Noble

Jahrzehntelanger Konflikt

Das Referendum im November und Dezember 2019 war das Resultat des jahrzehntelangen Kampfes der Inselregion um die Unabhängigkeit von der papuanischen Regierung in Port Moresby. Zentrum des Konflikts war die gerechte Verteilung der Einnahmen aus der riesigen Panguna-Mine. Hier wurde Kupfer und Gold abgebaut, doch seit Beginn des Aufstandes im Jahr 1988 steht die Mine nach Sabotageakten der Revolutionäre still. In Panguna lagern Erzvorräte im Wert von dutzenden Milliarden Dollar.

Vom Rambo zum Präsidenten

Der heute 51-jährige Toroama schließt sich früh dem Aufstand der BRA an und steigt rasch zum Kommandanten auf. Er erwirbt den Ruf eines "Rambos" und soll als erster der Rebellen eine automatische Waffe von den papuanischen Truppen erobert haben. Seine Kämpfer trainiert er auf unkonventionelle Weise: in gestellten Hinterhalten beschießt er sie mit scharfer Munition, Opfer werden in Kauf genommen.

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Only the brave survives: Ishmael Toroama bei einer Zeremonie zur Übergabe der Waffen seiner Einheit am 26. März 2002. Zuvor hatte Papua-Neuguinea Bougainville einen Autonomiestatus zugesichert.
Foto: REUTERS/Bougainville Peace Monitoring Group

Im Jahr 1997 wird er durch eine Granate schwer verletzt, wovon noch heute Narben zeugen. Die Verwundung markiert einen Wendepunkt für Toroama: Im Lazarett erscheint ihm Jesus und fordert ihn auf, ihm zu folgen. Der einstige Rambo würde nun nach dem Ende des Bürgerkriegs gerne Prediger werden. Zunächst wird er jedoch 1999 der militärische Chef der BRA, in dieser Funktion nimmt er an den Friedensverhandlungen mit Port Moresby unter internationaler Führung teil und unterzeichnet schließlich am 30. August 2001 eine Friedensvereinbarung, das Bougainville Peace Agreement – während Teile der Rebellen unter dem BRA-Chef Francis Ona den Frieden nicht akzeptieren wollen. Ona erklärt sich 2004 zum "König von Mekamui", stirbt jedoch schon ein Jahr später.

Die Predigerkarriere schlägt Toroama dann doch nicht ein. Nach dem Friedensschluss handelte er mit Schrott aus der Panguna-Mine und mit Kakao, der auf dem Land seiner Familie angebaut wird.

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Toroama war auch im Kakaoanbau tätig.
Foto: Reuters/Noble

Knackpunkt Finanzierung

Die Zukunft Bougainvilles ist eng mit der Zukunft der Panguna-Mine verknüpft, doch das Gebiet um den Tagebau ist bis heute umstritten. Die Unabhängigkeit Bougainvilles hängt nicht zuletzt an der Finanzierung der Eigenstaatlichkeit. Wirtschaftlich ist die Region unterentwickelt und von Geldern aus Port Moresby und aus Australien abhängig. Dabei wäre Potenzial vorhanden: Die fruchtbaren Böden bieten die Möglichkeit der Landwirtschaft, der offene Pazifik die Fischerei. Südseetraumstrände wären ein Asset für den Tourismus, doch die Anreise ist selbst vom relativ nahen Australien mit einem hohen Aufwand verbunden.

Die Reaktivierung der Panguna-Mine würde das nötige Kleingeld problemlos in die Kassen spülen, aber mit einem erheblichen Risiko verbunden, dass alte Konflikte wieder aufbrechen könnten. Die von dem Bergbau verursachten Narben in der Gesellschaft und in der Umwelt sind nur oberflächlich verheilt und könnten wieder aufbrechen. Der blutige Konflikt und seine Folgen haben in der Region mit lediglich 250.000 Einwohnern bis zu 20.000 Menschenleben gefordert.

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Ishmael Toroama, Rambo, Friedensverhandler, Schrotthändler, Kakaobauer und nun Präsident.
Foto: Reuters/Noble

Ungelöste Fragen

Die Entscheidung, Panguna wieder aufzusperren, muss also behutsam abgewogen werden. Die Beseitigung der Altlasten durch den verantwortlichen Betreiber Bougainville Copper Limited der britisch-australischen Rio-Tinto-Gruppe ist ebenso ungeklärt wie die Rechtsansprüche der verschiedenen Konfliktparteien – Landbesitzer, Konzerne, Papua-Neuguinea und Bougainvilles Autonomieregierung vertreten zum Teil völlig konträre Interessen.

Die wichtigste Vertretung der Landbesitzer in Panguna, die "Special Mining Lease Osikaiyang Landowners" (SMLOLA), favorisierte zuletzt den australischen Konzern RTG Mining. Der Vorsitzende der SMLOLA, Philip Miriori, ist auch der Präsident der Mekamui-Einheitsregierung und hat damit die Kontrolle in Panguna. Diese Funktion hat Miriori geerbt: Er war Schwager und Privatsekretär des Rebellenchefs Ona.

RTG scharrt in den Startlöchern

Präsident Momis hatte RTG Mining Korruptionsversuche vorgeworfen und RTG-Chef Michael Carrick nebst mehreren weiteren Managern mit Einreiseverboten belegt. RTG hofft nun offensichtlich auf einen Kurswechsel. Der Bergbaukonzern gratulierte Toroama jedenfalls umgehend zu seiner Wahl. Toroama habe eine große Reputation im Friedens- und Unabhängigkeitsprozess Bougainvilles und habe den Fokus darauf, die Korruption in der autonomen Regierung Bougainvilles auszumerzen, schrieb RTG Mining in einer Mitteilung. (Michael Vosatka, 25.9.2020)