In der ehemaligen Sowjetrepublik Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August Proteste und Streiks gegen den autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko.

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Minsk –Die EU hat die Amtseinführung des umstrittenen Staatschefs Alexander Lukaschenko in Weißrussland (Belarus) verurteilt. Der Schritt stehe im direkten Widerspruch zum Willen großer Teile der weißrussischen Bevölkerung, wie er in zahlreichen beispiellosen friedlichen Protesten seit den Wahlen zum Ausdruck komme, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Donnerstag mit.

Der "sogenannten Amtseinführung" fehle es wegen der Fälschung der Wahlergebnisse an jeglicher demokratischer Legitimation und sie sorge nur für eine weitere Vertiefung der politischen Krise in Weißrussland. "Die Haltung der Europäischen Union ist klar: Die weißrussischen Bürger haben das Recht, durch diejenigen Personen vertreten zu werden, die durch neue inklusive transparente und glaubwürdige Wahlen bestimmt werden", so Borrell. Man stehe an der Seite des weißrussischen Volkes, das trotz brutaler Unterdrückung durch die Behörden weiterhin friedlich für Demokratie und seine Grundrechte demonstriere.

Verteidigung im Geheimen

Lukaschenko war am Mittwoch im Geheimen als Präsident vereidigt worden. Danach ist die Polizei in der Hauptstadt Minsk erneut gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen. Dabei wurden am Mittwochabend mindestens zwei Menschen laut Augenzeugen durch Gummiknüppel der Polizei verletzt. 259 Menschen wurden festgenommen. Das teilte das Menschenrechtszentrum Wesna (Spring96) am Donnerstag in Minsk mit. Nicht nur in der Hauptstadt Minsk, sondern auch in Grodno, Gomel, Borissow und anderen Städten seien Protestler in Gewahrsam gekommen.

Die Sicherheitskräfte setzten Wasserwerfer und Tränengas ein, um die Proteste aufzulösen. In Minsk demonstrierten tausende Menschen. Slogans wie "Wir haben Dich nicht gewählt!" oder "Du hast Dein Amt nicht angetreten, Du bist nur völlig senil geworden!" war auf Schildern über den Staatschef zu lesen. Einige Demonstranten trugen falsche Kronen auf dem Kopf – als Anspielung auf Lukaschenkos Vereidigung.

Ungewöhnlich ist, dass die Angelobung vorab nicht publik gemacht wurde. Normalerweise wird die Zeremonie als bedeutender Staatsakt Tage vorher angekündigt. 2020 werde in die Geschichte als ein "sehr emotionales Jahr" eingehen, sagte Lukaschenko. Die Versuche, das Land zu vernichten, seien gescheitert. "Wir sind im Kreis der wenigen, wir sind vielleicht sogar die Einzigen, wo die 'farbige Revolution' keinen Erfolg hatte", sagte er mit Blick auf prowestliche Regimewechsel in anderen Staaten der früheren Sowjetunion. Es habe einen "teuflischen Druck" auf das Land von außen gegeben.

Keine Anerkennung von Deutschland und Litauen

Die deutsche Bundesregierung erkennt Lukaschenko allerdings nicht als Staatsoberhaupt an. Für die Zeremonie in Minsk gebe es "keine Legitimierung", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch. Er bekräftigte, dass die Wahl am 9. August weder frei noch demokratisch gewesen sei. Zudem müsse die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten unverzüglich beendet, politische Gefangene freigelassen und ein nationaler Dialog mit der Opposition aufgenommen werden.

Litauens Außenminister Linas Linkevičius bezeichnete die Amtseinführung Lukaschenkos als Farce. "Gefälschte Wahlen. Gefälschte Amtseinführung", schrieb Linkevičius am Mittwoch auf Twitter. "Seine Illegitimität ist eine Tatsache mit allen daraus resultierenden Folgen." Litauen unterstützt die Forderungen der belarussischen Demokratiebewegung.

Machtverliebt

Lukaschenko hat in den vergangenen Wochen mehrfach betont, dass er auch nach 26 Jahren im Amt alles tun werde, um an der Macht zu bleiben. Der Verfassung nach muss die Amtseinführung spätestens zwei Monaten nach der Wahl erfolgen – also bis 9. Oktober. Offiziell läuft seine fünfte Amtszeit im November aus. Inzwischen gab es mehrere Tote, hunderte Verletzte und mehr als 10.000 Festnahmen. Die Demokratiebewegung sieht die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja als Siegerin der Präsidentenwahl.

Die Opposition wirft der Regierung massiven Wahlbetrug vor, nachdem Lukaschenko angeblich mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Seither gibt es heftige Proteste, die Sicherheitskräfte gehen gewaltsam gegen Demonstranten vor.

Österreicher wird Teil von OSZE-Untersuchungsmission

Ein Österreicher wird an der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur Untersuchung von Wahlbetrug in Belarus teilnehmen. Die Medienplattform "Security and Human Rights Monitor" meldete unter Berufung auf Diplomaten in Wien am Mittwoch, Universitätsprofessor Wolfgang Benedek sei von einer Liste von Menschenrechts- und Rechtsexperten aus der OSZE-Region ausgewählt worden. Benedek lehrt Internationales Recht an der Uni Graz.

Die Expertenmission soll möglichen Wahlbetrug und Menschenrechtsverletzungen in Belarus untersuchen. Die Initiative dazu ging von 17 Staaten aus, darunter auch Frankreich und die USA. Österreich war nicht darunter, unterstützt das Vorhaben aber, wie es aus dem Außenministerium gegenüber der APA hieß.

Russische Unterstützung

Russland unterstützt den als "letzten Diktator Europas" bezeichneten Lukaschenko politisch und finanziell. Die EU hat die Wahl dagegen nicht anerkannt und will Sanktionen gegen etwa 40 Regimevertreter verhängen. Am Dienstag hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Lukaschenko das Recht auf das Präsidentenamt erneut abgesprochen. Es handle sich um eine "Pseudo-Amtseinführung", schrieb Borrell in einem Blogeintrag.

Der deutsche Regierungssprecher Seibert bedauerte zudem im Namen der Regierung, dass die EU-Außenminister keine Einigung auf weitergehenden Sanktionen gegen Belarus erzielt haben. Als einziges EU-Land blockierte zuletzt Zypern einen Beschluss zu Sanktionen auch gegen Lukaschenko direkt. Zypern will nur zustimmen, wenn die EU wegen des Gasstreits im östlichen Mittelmeer auch Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Mit dem Thema Belarus werden sich jetzt die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfel am Donnerstag und Freitag nächster Woche in Brüssel befassen. (red, APA, 23.9.2020)