Flüchtlinge besuchen 2016 einen Wertekurs in Österreich. Viele von ihnen, besonders aus Syrien und dem Irak, verfügen über Schul- und Hochschulabschlüsse.

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Wien – Jene syrischen und irakischen Flüchtlinge, die im Sommer und Herbst 2015 nach Österreich gekommen sind, haben einen "relativ hohen Bildungsgrad" und überproportional oft eine Hochschule besucht, zeigt eine jüngst bei der 6. Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) präsentierte Erhebung. Laut Studienautorin Judith Kohlenberger dürften diese Befunde auch auf Flüchtlinge in den Jahren ab 2016 zutreffen.

Knapp 90.000 Menschen haben 2015 in Österreich einen Asylantrag gestellt, die meisten kamen aus Afghanistan (29 Prozent), Syrien (28) und dem Irak (15). Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in ihren Herkunftsländern wiesen die vielfach jüngeren, aus der gut gebildeten Mittelschicht stammenden Antragsteller deutlich höhere Bildungsabschlüsse auf – wenn auch mit deutlichen Unterschieden nach Herkunftsland. Das zeigt die Ende 2015 durchgeführte Studie "Displaced Persons in Austria Survey" (DiPAS) mit über 500 Befragten.

Erhebungen und AMS-Kompetenzchecks mit ähnlichen Ergebnissen

Damit werde die "weitverbreitete öffentliche Annahme" widerlegt, wonach Asylsuchende und Flüchtlinge ungebildet oder gar Analphabeten seien, betont Kohlenberger, die am Institut für Sozialpolitik der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) forscht. Allerdings steht dem hohen Akademikeranteil unter syrischen Flüchtlingen ein erschwerter Bildungszugang in Afghanistan gegenüber.

Bei der DiPAS-Studie handelt es sich laut Kohlenberger zwar um keine repräsentative Erhebung für Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan; eine solche gebe es für Österreich bisher nämlich nicht. Allerdings hätten seither weitere Studien wie Gesamterhebungen in einzelnen Bundesländern oder die Kompetenzchecks des Arbeitsmarktservice (AMS) ganz ähnliche Ergebnisse zur Verteilung der Geflüchteten auf die vier großen Bildungsniveaus – vom Fehlen formaler Bildung bis hin zum Hochschulabschluss – gezeigt. Eine in Deutschland laufende Longitudinalstudie komme ebenfalls zu ähnlichen Ergebnissen wie die DiPAS-Studie, betonte sie gegenüber der APA.

46 Prozent der Afghanen ohne formale Bildung

Die konkreten Ergebnisse für Österreich: 15 Prozent der Geflüchteten aus den drei Hauptherkunftsländern haben keinerlei Schulbildung oder nur wenige Jahre in der Volksschule verbracht, unter geflüchteten Afghanen waren es 46 Prozent. Knapp die Hälfte der Zugewanderten hat entweder die Sekundarstufe II (Lehre, berufsbildende mittlere oder höhere Schule/BMHS, AHS) oder eine postsekundäre Ausbildung (Hochschulstudium oder mindestens 4. Klasse BHS) abgeschlossen. Allerdings gibt es auch hier markante Unterschiede nach den Herkunftsländern: 27 Prozent der Syrer und 31 Prozent der Iraker haben einen postsekundären und damit in den meisten Fällen einen Bachelor- oder Masterabschluss, unter den befragten Afghanen sind es hingegen nur zehn Prozent.

Über alle drei Länder hinweg haben 26 Prozent einen postsekundären Abschluss. Dazu kommt laut Kohlenberger ein "nicht unerheblicher Anteil" männlicher Syrer, die laut eigenen Angaben den Studienabschluss bewusst hinausgezögert haben, um der syrischen Wehrpflicht zu entgehen. Der Akademikeranteil würde in dieser Gruppe demnach noch etwas höher liegen. Auch bei den damals noch im Ausland lebenden Angehörigen der syrischen und irakischen Flüchtlinge hat rund jeder Dritte einen postsekundären Abschluss.

Anteil der Hochgebildeten ähnlich hoch wie in Österreich

Der Anteil an Hochgebildeten ist damit der Studie zufolge unter den befragten Geflüchteten ähnlich hoch wie in der gleichaltrigen österreichischen Bevölkerung, allerdings haben gleichzeitig deutlich mehr Flüchtlinge maximal Grundschulbildung (30 versus zwei Prozent in Österreich). Laut der Studie haben die Kompetenzchecks des AMS zudem gezeigt, dass die von den Zuwanderern angegebenen Qualifikationsniveaus auch weitgehend mit der von ihnen angegebenen Schul- oder Berufsausbildung übereinstimmen. Kohlenberger verweist in diesem Zusammenhang etwa auf den relativ gut entwickelten staatlich finanzierten Hochschulsektor in Syrien.

Die Wissenschafterin plädiert dafür, das Vorwissen und die laut ihrer Studie hohe Bildungsmotivation der Zugewanderten zu nutzen: deren Dokumente sollten zeitnah nostrifiziert und ihnen vermehrt Zugang zu internationalen, englischsprachigen Studiengängen gewährt werden. Beim Erlernen der deutschen Sprache sollte berücksichtigt werden, dass dieses etwa wegen der Fachsprache auch länger dauern könne. (APA, 23.9.2020)