"Wer sich nicht digital aufstellt, der hat ein Problem", sagte ZDF-Intendant Thomas Bellut bei den Medientagen.

Foto: Medientage/Johannes Brunnbauer

Wien – Über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens haben die Chefs von ORF, ZDF und SRG bei den Medientagen am Mittwoch diskutiert. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr Möglichkeiten als in Österreich, um seine Inhalte zu verbreiten. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz begründete, warum es auch in Österreich gesetzliche Änderungen brauche.

"Wer sich nicht digital aufstellt, der hat ein Problem", zeigte sich ZDF-Intendant Thomas Bellut überzeugt. Mittlerweile betreffe das auch die mittleren Jahrgänge, nicht nur die Jüngeren. In Deutschland darf das öffentlich-rechtliche Fernsehen Inhalte "online only" und "online first" ausspielen. In Österreich wird das durch das ORF-Gesetz bisher verhindert. Die Möglichkeit, Inhalte zuerst über die ZDF-Mediathek zugänglich zu machen, "treibt die Nutzerzahlen gewaltig nach oben", sagte Bellut. "Wenn diese Möglichkeit nicht da wäre, hätte ich ein Problem."

"Eine Zeitenwende"

Auch in Österreich brauche es diese gesetzlichen Möglichkeiten, forderte Wrabetz einmal mehr. Aber auch beim klassischen Fernsehen und Radio müsse sich der ORF weiterentwickeln und neue Formate finden. "Wir haben heuer in Österreich eine Zeitenwende", sagte er. Die am heutigen Mittwoch veröffentlichte Bewegtbildstudie zeige, dass der lineare Fernsehkonsum bei den unter 30-Jährigen bereits unter 50 Prozent liege. In Zukunft müsse es daher drei Verbreitungswege für öffentlich-rechtliche Inhalte geben: den klassischen, über die geplante Plattform und über die Nutzung von Social-Media-Kanälen.

"Wo es ins Geld gehen wird, ist, wenn man sagt, man möchte im fiktionalen Bereich Formate anbieten, die gar nicht aufs klassische, lineare Fernsehen ausgerichtet sind, sondern den Plattformlogiken folgen", sagte Wrabetz. "Das wird nicht alles aus dem Bestand heraus finanzierbar sein." Derzeit arbeite der ORF an einem Format, das aus Elementen bestehe, die man als Clips einsetzen könne, in Summe aber auch einen abendfüllenden Film ergäben.

Man sehe an Deutschland, dass "einiges in Bewegung" ist. "Ich glaube, dass das auch in Österreich möglich sein wird", zeigte sich Wrabetz zuversichtlich. Von "oben herab" europäische Plattformen zu verordnen, davon hält er nichts. "Die europäische Politik soll die Zusammenarbeit unterstützen, aber es ist nicht Aufgabe der EU, hier ganz konkrete Firmenkonstrukte zu schaffen." Konkurrenten seien die großen internationalen Konzerne, deren Schutzbedürfnis könne nicht im Vordergrund stehen. "Die Ängste, die man auf europäischer Ebene hatte, dass man gesagt hat, die Öffentlich-rechtlichen dürfen nicht so stark sein, sonst können keine andere Pflänzchen daneben wachsen, das ist nur noch ein Anachronismus."

Mehrsprachige Plattform mit Untertitelung

In der Schweiz nutzten schon jetzt 34 Prozent der Bevölkerung kein lineares TV mehr, schilderte Gilles Marchand, Generaldirektor des Schweizer Rundfunksenders SRG, die Situation im westlichen Nachbarland Österreichs. Im November werde die SRG daher eine nationale, mehrsprachige Plattform mit Untertitelung lancieren. Schon bisher gebe es mehrere digitale Plattformen in allen vier Sprachen, auf denen alles abgerufen werden könne, was die SRG produziert. "In der Schweiz ist es möglich, alle Distributionswege zu nutzen. Die einzige Grenze, die wir haben, ist, wir können nicht kommerzialisieren", also keine digitale Werbung schalten, sagte Marchand.

Während Wrabetz auf einen eigenständigen ORF-Player hinarbeitet, der sich mit anderen Plattformen etwa über ein gemeinsames Login vernetzt, beharrt ProSiebenSat.1-Puls4-Geschäftsführers Markus Breitenecker auf einem gemeinsam "Austria-Player", wie er auch in einem aktuellen Interview mit dem "Horizont" betonte: "Im Endeffekt wird das Ergebnis sein: eine Streamingkooperation der heimischen Medienanbieter, ein 'Austria-Player' aller Bewegtbildangebote. Ich freue mich, dass diese Vision wieder im Gespräch ist und die Politik jetzt stärker in diese Richtung denkt." Alleingänge einzelner Marktteilnehmer seien sicher nicht sinnvoll, so der Puls 4-Chef.

Breitenecker sollte auch bei den Medientagen im Anschluss an die Diskussion der drei Generaldirektoren ein "Plädoyer" halten. Der Puls 4-Chef betrat aber nur kurz die Bühne. Er wolle nicht darauf eingehen, warum er in vielen Punkten anderer Meinung sei als Alexander Wrabetz, sondern er wolle anderen eine Plattform geben, sagte er. Breitenecker machte Platz für die Puls 4-Mitarbeiter Verena Schneider, Gorgy Walid, Alexandra Wachter und Arabella Kiesbauer, die von ihren Erfahrungen mit Hasspostings, Flucht, Gewalt und Rassismus berichteten. "Wir müssen Opfern eine Stimme geben", sagte Wachter. "Die Worte, die wir verwenden, prägen das Bild dieser Gesellschaft." Auch Kiesbauer appellierte: "Das sind alles Themen, die wir Sie bitten, aufzugreifen und nach außen zu tragen." (APA, 23.9.2020)