Der soeben vorgestellte ID.4 von Volkswagen.
Foto: Volkswagen

STANDARD: Herr Zyciora, wir befinden uns hier im Automobilmuseum ZeitHaus in der Autostadt in Wolfsburg. Welches Ihrer Autos würden Sie in 50 Jahren auch gerne hier sehen?

Foto: Volkswagen/Chris Franjkovic

Zyciora: Was ich sehr gerne hier sehen würde, ist der Nachfolger von diesem Fahrzeug (zeigt auf den VW T1 "Bulli" im Sinalco-Look). Wir arbeiten ja sehr intensiv am ID.Buzz, der diese originäre Idee eines Multifunktionsfahrzeugs für sieben bis acht Personen in der elektrischen Mobilität neu erfindet. Ein hochfunktionales Produkt, aber auch super sympathisch und typisch VW. Wenn das irgendwann hier stehen würde, fände ich das klasse.

STANDARD: Mit der glatten Front der IDs, ohne Kühlergrill, blicken Sie in die Historie zurück, …

Zyciora: … hinter Ihnen steht die Referenz (deutet auf den Käfer) …

Foto: Stockinger

STANDARD: …richtig, um in die Zukunft zu weisen. Interessanterweise macht es Skoda anders. In allen Vorab-Kundenbefragungen zu deren erstem Elektrofahrzeug auf MEB-Basis (Modularer E-Antriebs-Baukasten des VW-Konzerns; Anm.), dem Enyaq, kam heraus: Die wollen, anders als bei der Studie, unbedingt einen Grill haben. Hat Sie das erstaunt?

Der neue Skoda Enyaq mit Kühlergrill.
Foto: Skoda

Zyciora: Nein, hat es nicht. Marken haben ja einen Kontext, eine Historie, ein Narrativ, wenn sie Bedeutung haben. Sie stehen für etwas, sie haben einen Ausdruck, eine Form, und die gilt es immer neu zu erfinden, immer wieder weiterzuentwickeln. Wir haben mit dem Golf ein Urmeter für Mobilität gefunden. Urmeter kann man so beschreiben, dass die Konzept- und die Designqualität so perfekt übereinander liegen, dass etwas gelungen ist, das nicht einfach ist – das zeitbeständig ist. Wenn man das erwischt hat, hält man das natürlich fest und evolutioniert das entlang der technologischen Veränderungen und der Bedürfnisse der Menschen. Nun hat jede Marke einen bestimmten Ausdruckscode, einen anderen Ausdruck, ein anderes Gefühl, einen anderen geschichtlichen Hintergrund. Die bei Skoda sind mit dem Kühlergrill großgeworden. Und natürlich möchte dann auch ein Skoda-Kunde möglicherweise einen Kühler sehen. Wobei sich andererseits die Sehgewohnheiten über lange Strecken verändern und manchmal auch diskutiert werden. Wenn ein Hersteller in den Markt eintritt ohne Kühlergrill (Hinweis auf Tesla; Anm.), dann kann es sein, dass die Sehgewohnheiten der Menschheit in eine andere Richtung bewegt werden. Es ist eine hochspannende Zeit der Transformation, in der wir alle leben. Kühler sind ja in der elektrischen Antriebstechnologie nur noch dazu da, die Batterie mit Wasser zu kühlen.

STANDARD: Wobei es immerhin einigen Kühlbedarf gibt.

Zyciora: Ja, im Charging-Mode, wenn ich das Fahrzeug mit viel Energie auflade, wird die Batterie sehr warm. Oder wenn ich sehr performant unterwegs bin – also wenn ich sehr hart mit den E-Motoren bremse, geht viel Energie in die Batterie. Dann erhitzt die sich. Wenn ich viel aus der Batterie herausziehe, erhitzt sie sich ebenfalls. Dann braucht man die Wasserkühlung. Fährt man aber ganz normal, nicht so performant, ganz ruhig, bleiben die Batterien im Temperaturverhalten gleichmäßig.

STANDARD: Mit anderen Worten: Der ID.3 GTI bekommt einen Grill?

Zyciora: (lacht) Das wird nicht nötig sein.

"Wenn ich kreativ sein will, brauche ich zunächst nichts anderes als einen Stift und Papier"

STANDARD: Zur Markenwelt des VW-Konzerns. Besonders bei den Massenmarken Volkswagen, Skoda und Seat fällt auf, dass die Differenzierung deutlich geringer ausfällt als beispielsweise bei PSA mit Peugeot, Citroën und Opel. Warum ist das so?

Zyciora: Das hat ein bisschen einen geschichtlichen Kontext. In der Ära der Präzision und der Wertigkeit, aus der wir kommen, haben eben alle Konzernfahrzeuge ein extrem hohes Maß an Qualitätsanmutung und Schärfe entwickelt. Das gibt eine gewisse Grundähnlichkeit. Sie werden aber sehen, dass in der nächsten Zeit die Markenidentitäten stärker ausgeprägt werden.

STANDARD: Gilt das generell oder nur im elektrischen Bereich?

Zyciora: Generell.

STANDARD: Wie haben Sie die Corona-Krise verbracht? Wie weit hat sich die gewohnte Arbeit geändert?

Zyciora: Was Corona getan hat, ist erst mal zu verhindern, dass man an den Arbeitsplatz kann. Dann muss man sich bei dem Druck, unter dem wir stehen, natürlich zu helfen wissen. Wir Designer haben in den letzten Jahren in allen Häusern des Konzerns sehr stark mit digitalen Arbeitsmethoden gearbeitet. Und da wir global Designcenter haben und vernetzt sind, ist diese digitale Form von Kommunikation nicht völlig neu gewesen für uns. Wir haben es aber sehr stark intensivieren müssen, haben sehr schnell Mittel und Wege finden müssen, um die Kommunikation auch zu den Vorständen und zu anderen Bereichen des Unternehmens so zu intensivieren und zu verbessern, dass wir ohne Zeit- und Geldverlust effizient weiterarbeiten. Das ist uns aber ganz gut gelungen, würde ich sagen.

STANDARD: Wie stelle ich mir einen Designer im Home-Office vor?

Zyciora: Ein Designer ist ja in erster Linie ein Mensch, der kreativ ist.

STANDARD: Hier aber im Verbund.

Zyciora: Richtig. Wenn ich kreativ sein will, brauche ich zunächst nichts anderes als einen Stift und Papier. Das sind die Basics. Wenn ich jetzt einen Computer habe, wenn man aus einer schon sehr vernetzten Teamkultur kommt, das Team sich gut kennt, es wie eine Familie ist, dann geht das auch im direkten Austausch miteinander – Designer sind ja Menschen, die in Bildern denken, in Dingen. Man hat was im Kopf, und da man das ja nicht aus dem Kopf extrahieren kann, tut man das, indem man das verbildlicht. Ich zeichne es auf. Der präzisierte Ausdruck davon ist: Ich mache ein Computer-Rendering. Oder illustriere noch mehr. Oder baue eine Datensatz. Das können natürlich viele Designer schon selber oder sie kommunizieren mit Kollegen, die das können, und so funktioniert Gestaltung auch "remoted", wie man so schön sagt. Essenziell dafür ist aber, dass man sich gut kennt und weiß, wie Prozesse laufen, Dann funktioniert das.

STANDARD: Die Teams sind wie groß in Corona-Zeiten?

Zyciora: Sie sind genau gleich groß geblieben. Volkswagen Design selbst, als ein Beispiel, hat eine Teamgröße von rund 430 Mitarbeitern aus 30 Nationen. Die aber mit den internationalen Partnern – China, USA, Mexiko – sehr eng zusammenarbeiten. Und diese Form von Zusammenarbeit haben wir sehr intensiviert. Das ist auch anstrengend, muss ich sagen. Weil, wenn man zehn Stunden lang in Skype-Scrolls ist, dann glühen einem irgendwann die Ohren von den Headsets, der Mund wird fusselig, weil man einfach mehr Erklärbedarf hat.

STANDARD: Was kostet eigentlich das Designen eines neuen Autos vom weißen Blatt Papier bis zur Serienreife?

Zyciora: Das ist sehr klar umrissen, darf ich Ihnen aber nicht sagen, weil das ein Betriebsgeheimnis ist. Was ich Ihnen aber sagen kann, ist, dass durch Digitalisierung und Effizienzsteigerungen in den letzten Jahren 30 Prozent Einsparungen gelungen sind – die reinvestiert wurden in Projekte.

"Hauptsitz vom Konzerndesign wird wohl Potsdam werden"

STANDARD: Themenwechsel. Sie sind seit Frühjahr 2020 Konzern-Designchef und somit Oberverantwortlicher für das Erscheinungsbild der gesamten Markenwelt. Eine Funktion, in der Sie Porsche-Designchef Michael Mauer abgelöst haben. Ist das mehr oder weniger ein Ehrentitel, den man sich an die Brust heftet, oder beinhaltet das tatsächliche Wirkmöglichkeiten?

Zyciora: Ich wäre nicht interessiert an irgendeinem Titel. Was mich interessiert, ist, Wirkung zu entfalten und zu gestalten, ich bin ein Designer. Ich bin jemand, der sehr teamorientiert ist und sehr kollaborativ, ich habe aber auch eine Meinung. Man muss sich das klar machen bei den Marken: Jeder Markendesignchef möchte natürlich seine Marke so klar und präzise ausformulieren wie nur möglich. Ich als Konzerndesignchef unterstütze das, helfe dabei, grenze auch Markenterritorien und Designsprachen voneinander ab und helfe dabei, die auszuformulieren für die Zukunft. Schon eine extrem spannende und herausfordernde Tätigkeit.

STANDARD: Was spielt der Standort Potsdam, gerne auch als Konzern-Kreativtempel bezeichnet, darin für eine Rolle?

VW Konzern Zukunftszentrum Potsdam
Foto: Volkswagen

Zyciora: Hauptsitz vom Konzerndesign wird wohl Potsdam werden. Was aus meiner Sicht auch sehr sinnvoll ist, weil wir dort eine Facility haben, die es uns erlaubt, Design in jeglicher Form zum Ausdruck zu bringen.

STANDARD: Ein grandioser historischer Ort obendrein. Aber kommen wir zum neuen Golf. Dem haben Sie ja diese charakteristische Spock- oder Weigel-Augenbraue verliehen. Braucht der Golf jetzt eine stilistische Sollbruchstelle? Scheint, der 8er ist erste Golf, der sich nicht unmittelbar von selbst erklärt.

Der neue Golf 8 mit der Spock- oder Weigel-Augenbraue.
Foto: Volkswagen

Zyciora: Das Design des Golf 8 ist, wie seine Vorgänger, auf ganz klaren, einfachen Prinzipien aufgebaut. Perfekte Grundproportionen, nur wenige Linien, die in Verbindung miteinander stehen. Wenn Sie den Golf 8 anschauen, von der Seite, aber auch von der Front, werden Sie sehen, dass diese Augenbraue eine optische Verbindung hat zur Hauptcharakterlinie. Die läuft einmal um das Auto rum.

STANDARD: Diese Linie sticht einem aber nicht sofort ins Auge.

Zyciora: Die nimmt man über Zeit wahr. Wenn man sich mit Design auskennt, sieht man die sofort. Ein normaler Kunde, den muss man da hinführen. Die Stimmigkeit, die Rundheit des Entwurfs entblättert sich erst mit der Zeit. Das macht es ja zeitbeständig. Wenn ein Produkt über Zeit dauern soll, muss man eine sehr hohe Disziplin haben in dem, was man tut. Es geht also in der Hauptarbeit zunächst darum, die Proportionen und Verhältnisse so zu perfektionieren, dass sie einen zeitgemäßen, zukunftsorientierten Ausdruck finden. Wenn wir in der Walhalla (Herz des VW-Designzentrums in Wolfsburg, Anm.) wären, könnte ich Ihnen dezidiert im Vergleich zwischen Golf 7 und 8 zeigen, was wir da gemacht haben, um das Auto in diese fluidere, modernere, aerodynamischere und ausdruckstärkere Zukunft zu führen, die aber eigentlich ganz simpel ist. Es sind nur wenige wohlgesetzte Elemente, Licht spielt dabei eine große Rolle. Dieses Lichtelement, das sich durch die Front zieht, hat natürlich einen globalen Approach. Der Golf ist ein globales Fahrzeug, er wird in drei Kontinenten verkauft, Europa, die USA und China spielen darin eine wesentliche Rolle als Standorte. Dies Konzept hat, wie schon gesagt, eine extrem hohe Alltagstauglichkeit und -stimmigkeit. Es ist eben die Mobilität, die man eigentlich braucht. Alles darüber fängt an mit: "Ich gönne mir mehr", "Ich brauche mehr", "Ich will mehr", und alles darunter ist halt: "Ok, ich fühle mich bescheiden." Oder: "So viel Geld will ich für ein Auto nicht ausgeben, ich will’s kleiner." In einer Gauß’schen Verteilkurve verkörpert der Golf also ziemlich die Mitte.

STANDARD: Das zeigt auch, wie die Ansprüche in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen sind.

Zyciora: Die Ansprüche sind ja extrem vielfältig. Auch aktive, passive Sicherheit, die Gesetzgebung, die so ein Produkt erfüllen muss, zwingt zu einem gewissen Wachstum. Das haben wir aber in Grenzen halten können. Ziel ist zum Beispiel auch Effizienzsteigerung in der Aerodynamik gewesen. Das zu erreichen, forderte an vielen Stellen Änderungen, die zu einer weicheren, fluideren Formgebung geführt haben. Wenn Sie den Golf auf der Straße in Fahrt sehen, werden Sie sehen, dass der anfängt, fließender zu sein und nicht mehr im Verhältnis kastig dasteht. Das ist ein genereller Trend, der von den IDs noch stärker aufgenommen wird, weil die Herausforderungen, die aus der Aerodynamik an das Design kommen, noch mal krasser, nochmal herausfordernder sind.

STANDARD: Welche neuen gestalterischen Möglichkeiten eröffnet Ihnen der MEB?

Der neue VW ID.3...und Jogi Löw.
Foto: imago

Zyciora: Erst mal erlaubt er eine Reproportionierung. Wir haben hier einen Baukasten – eine Matrix würde ich es fast nennen –, in dem die Verbrennungskraftmaschine keine Rolle mehr spielt. Über mehr als 100 Jahre war der Motor in seiner Blockgröße, seiner Dimension, ich will nicht sagen: der Diktator der Form. Aber Kühler und Motor-Getriebe, deren Größe, haben die Form der Fahrzeuge, wie man hier im Museum auch prima erkennt, diktiert. Dieses Element ist nun aus der Gleichung genommen. Den freiwerdenden Raum kann ich "utilyzen". Das haben wir beim ID.3 so gelöst, dass wir gesagt haben: Wir wollen den Innenraum maximieren, dem Kunden also einen Mehrwert geben. Ich krieg’ mehr Bewegungsfreiheit, mehr Raum um mich herum, …

STANDARD: …außer mit den Beinen, wegen des Unterflurkonzepts …

Zyciora: …ja, aber Sie sitzen insgesamt höher. Also erst mal Grundflächenzugewinn an zwei entscheidenden Stellen. Schalttafel: Von mir weggeschoben. 150 Millimeter. Wie geht das? Dadurch, dass wir die Klimaanlage in den Motorraum reingeschoben haben, auch wesentliche Computer-Aggregate. Elemente, die sonst in den Innenraum gedrängt wurden durch die Verbrennungskraftmaschine, sind aus der Fahrgastzelle raus in den Motorraum gewandert. Es gibt auch keinen Getriebetunnel mehr.

STANDARD: Der wurde immer breiter.

"Wir wollen den Innenraum maximieren, dem Kunden also einen Mehrwert geben."
Foto: Volkswagen

Zyciora: Aufgrund immer größerer Getriebe. Jedenfalls erlaubte das, die Schalttafel wegzuschieben, das ist als Kundenvorteil schon einmal da. Dann haben wir die Konsole wesentlich schlanker gemacht und nur als Aufbewahrungsinstrument gestaltet, zwischen den Vordersitzen. Am Anfang wollten wir dort gar nichts machen. Ziel war eigentlich: Komm, das machen wir jetzt weg. Dann ist aber in Gesprächen auch mit Kunden herausgekommen: Moderne Menschen – Kaffee, Handy. Und die Damen haben oft eine Handtasche dabei. Was haben wir gemacht? Aufbewahrungsort für die Tasche, Aufbewahrungsort für das Getränk, Aufbewahrungsort für das Smartphone. Hinten gibt es keine Erhöhung mehr, wo ich meine Füße beim Sitzen drüberheben muss. Zweiter Haupteffekt: Bei gleicher Außenlänge haben wir die Räder an die Ecken schieben können. Der Motor ist viel kleiner, sitzt zwischen den Hinterrädern und beim ID.4 zwischen den Vorderrädern, spielt aber bei der Gestaltung keine Rolle mehr. Diese Radstandsverlängerung hat uns erlaubt, den Innenraum zu vergrößern, die Hintersitzanlage von den Vordersitzen wegzuschieben. Führt zu mehr Beinfreiheit. Der Kopfraum ist limitierter – das hat aber auch aerodynamische Gründe. Die Idealform eines Autos ist ein Tropfen. Vorne rund und hinten am besten auf einen Punkt zu null auslaufend.

"Man muss sich klarmachen, dass zwar die Verbrennungskraftmaschine als extrem teures Bauteil aus der Gleichung rausgenommen, aber die Batterie reingekommen ist."

STANDARD: Porsche 928 verkehrt herum.

Zyciora: Wenn ich das jetzt beschneiden muss, vorne am Bug, weil so ein Riesentropfen geht nicht, sonst erfülle ich die Gesetzgebung nicht, und hinten kann ich das Fahrzeug nicht in drei Meter Tropfenform auslaufen lassen, ist schlecht auch beim rückwärts einparken, also schneiden wir das auch ab. Und wenn man sich mit diesen Augen den ID.3 anguckt, kann man auch die Schnittlinien, wo das Messer den Tropfen abgeschnitten hat, erkennen. Dass wir vorne geschlossen sind und runder und weicher und die Windschutzscheibe nach vorne gegangen ist, das ist alles Annäherung an die Idealform. Deshalb hat das Auto auch einen extrem guten Cw-Wert, und das kommt als Kundenvorteil in Form der Reichweite an.

STANDARD: Was beim Kunden weniger gut ankommt, ist das viele Hartplastik in den IDs, die billigen Werkstoffe. Das stört den luftigen Primäreindruck des Innenraums nachhaltig, noch dazu vor dem Hintergrund, dass die Elektro-VWs nicht gerade billig sind. Ist der Kostendruck so hoch?

Zyciora: Naja. Man muss sich klarmachen, dass zwar die Verbrennungskraftmaschine als extrem teures Bauteil aus der Gleichung rausgenommen, aber die Batterie reingekommen ist. Die doppelt so viel kostet. Will man nun – und das ist unser Ziel gewesen – ein Elektrofahrzeug machen, das erreichbar ist für viele. Und wir sind ja jetzt bei ID.3, da gibt’s noch zwei Stellen drunter. Dann ist klar, dass man sparen muss, effizient sein muss. Wir haben noch eine andere wichtige Facette, die von den Kunden auch verlangt wird, nämlich das Thema Rezyklieren, Werkstoffkreisläufe. Wenn ich eine Kunststofftürverkleidung mit einer Folie überziehe, fühlt sie sich zwar weich an, ich kann sie aber nicht mehr sortenrein rezyklieren. Das soll jetzt keine Begründung sein für die Einfachheit der Kunststoffe, das ist mehr dem Kostendruck, den wir bei diesen Elektrofahrzeugen haben, geschuldet, ganz klar. Aber es spielt halt bei der Gestaltung schon auch eine große Rolle. Wir werden in Zukunft, das ist ein großer Teil unserer CO2-Strategie, rezyklierte Werkstoffe in großem Maße in die Fahrzeuge einbringen, wir arbeiten aber auch an der Qualitätsanmutung. Klares Statement dazu: Wir haben glaube ich ein sehr attraktives Produkt geschaffen, das für die Kunden auch erreichbar ist. Wir haben aber noch To-do’s in der Qualitätsanmutung, die sind adressiert, und daran werden wir arbeiten.

STANDARD: Was Bedienkonzepte anbelangt. Der Touchscreen-Unfug greift immer mehr um sich. Lässt sich das durch intelligente Sprachsteuerung überhaupt noch kompensieren? Und überhaupt das Kapitel Software bei VW.

"Wir lernen aus dem, was die Kunden mit den Fahrzeugen machen. Aus diesem Bedienverhalten lernen wir und können es laufend verbessern."
Foto: AFP

Zyciora: Wir sind auf dem Weg. Das, was man einem Start-up ohne weiteres verzeiht, am Anfang in der Software noch nicht so stabil zu sein, das verzeiht man einem Volkswagen natürlich nicht so ohne weiteres. Da erwartet man Perfektion, auf die wir uns hin-iterieren. Wir werden halt das Fahrzeug in Kundenhand immer besser machen. Das ist etwas, das in der Architektur der MIB (Modulares Infotainment-System; Anm.) schlummert – dass das digitale Backbone so mächtig ist, dass wir die Fahrzeuge updaten können. Wir lernen aus dem, was die Kunden mit den Fahrzeugen machen. Aus diesem Bedienverhalten lernen wir und können es laufend verbessern.

STANDARD: Von Ihrem eigenen Nutzerverhalten können Sie doch aber ableiten, dass Touchscreen während der Fahrt extrem schlecht bedienbar ist. Bei der Ablenkung braucht es schon sämtliche Fahrassistenzsysteme, um einen halbwegs sicher auf der Straße und im Verkehr zu halten. Ein Desaster.

Zyciora: Ich würde das nicht als Bedienungsdesaster bezeichnen. Wir haben uns in vielen Kliniken und Testfahrten bewusst damit auseinandergesetzt, auch mit Kunden sehr intensiv gesprochen. Wir stehen halt auch hier in einem Paradigmen- und Zeitwechsel. Milliarden von Menschen wachsen auf mit Touch-Bedienung, erwarten das auch. Bei einem Model 3 von Tesla beschwert sich niemand, im Gegenteil, und dort ist das Display noch viel größer. Wir haben uns klar bekannt dazu, dass wir diesen Sprung in die Digitalität machen. Wir sind noch im Aufbau der Fähigkeiten und lernen. Es ist ja auch für Volkswagen ein Quantensprung, den Mut zu haben, das Liebgewonnene, Gewohnte loszulassen. Wir disruptieren uns da, neumodisch gesagt, selber, um das Unternehmen in die Zukunft zu bringen. Weil wir von Kunden ganz klar zu hören kriegen – nicht von Journalisten –, dass die digitalen Fähigkeiten des Fahrzeugs bitteschön absolut enorm sein sollen.

STANDARD: Das hören Sie hauptsächlich von der Jugend oder auch von älteren Menschen?

Zyciora: Ich habe gesagt: von Kunden, und zwar global. Quer durch. Wir messen schließlich, was Kunden im Auto am meisten tun. Wir schicken Menschen mit den Autos los, fahrt halt mal. Und was tun Menschen am meisten? Temperatur einstellen, Lautstärke regeln und dann sich mit dem Fahren beschäftigen.

STANDARD: Das verhält sich in Europa, China und den USA gleich?

Zyciora: Das ist in Europa ähnlich wie in den USA – China ist anders. In China ist der Wunsch nach Bildschirmgrößen und Digitalität der Fahrzeuge viel, viel größer, weil die Menschen schon da angekommen sind, wo man in den anderen Märkten hinsteuert. Das wird als Surplace gesehen. Das Auto ist ein Lebensraum um mich herum, in dem richte ich mich ein und dann lebe und arbeite ich da. Diesen Trends dürfen wir uns letztlich auch nicht verschließen, unsere Aufgabe ist aber, das so bediensicher, sauber, puristisch, so klar wie nur möglich zu machen.

"Wir sind ja in einer Welt, in der man Dinge auch mal ausprobiert."

STANDARD: Wo sehen Sie mehr Potenzial? In der Sprach- oder in der Touchbedienung?

Zyciora: Es gibt eine bestimmte Fähigkeit des Menschen. Wenn ich was will, gucke ich hin und dann zeige ich drauf. Dafür brauche ich keine Sprache. Das ist ja das Prinzip, mit dem Apple zur wertvollsten Marke der Welt geworden ist: Ich zeig’ drauf. So bewegen sich Menschen durch komplizierteste technische Operationen, das nennt man Benutzerillusion. Was ich vorne sehe, ist hinten ungleich komplexer. Designer übersetzen das in einfachste, klare, verstehbare Menüfolgen. Das muss man natürlich immer optimieren. Man hat erst einmal die Theorie, dann muss man das verproben, vertesten.

STANDARD: In dem von Ihnen skizzierten Prozess gibt es auch etliche Irrwege wie etwa die Gestensteuerung.

Zyciora: Wir sind ja in einer Welt, in der man Dinge auch mal ausprobiert. Wir haben große Hoffnung gehabt in die Gestensteuerung. "Geh mal weg" (macht eine entsprechende Geste; Anm.) ist halt auch was, das Menschen im genetischen Code haben. Hat aber nicht funktioniert. Weil die Gesten nicht gut genug erkannt oder verstanden wurden. Sprache? Wir unterhalten uns gerade, können hochkomplexe Dinge über Worte miteinander kommunizieren. Das kann ich mit dem Computer auch machen. Die IDs können das schon. Da ist eine KI dahinter, eine extreme Datenmenge. Das lernt, besser zu werden über Zeit. Wir werden in diesen Bereich weiter investieren. Die Sprachassistenten werden Dialekte unterscheiden können, Sprachen unterscheiden können. Sie haben sicher bemerkt, dass wir ein sehr großes Augmented Reality-HUD-System in den IDs verortet haben. Dann kommt man irgendwann an den Punkt, wo ich Touch verlasse und mit Sprache und mit dem, was ich sehe, zurechtkomme. Wo Touch dann nur eine weitere Möglichkeit ist, etwas zu bedienen. In diesen neuen Bedienwelten also machen wir Schritte, und da geht halt auch einer einmal rechts aus dem Feld raus und links aus dem Feld raus.

STANDARD: Ein anderes Megathema ist das autonome Fahren. Da hat sich die Anfangseuphorie deutlich gelegt, man hat den Eindruck es ist Ernüchterung eingekehrt. So schnell wie gedacht wird das nicht gehen. Stichwort Datenmenge: Beim vollautonomen Fahren würden die Rechner mehr Energie benötigen als das Auto für den Fahrbetrieb. Welche Auswirkungen hat das auf die Langzeitplanung beim Design?

Zyciora: Die Bemühungen sind nach wie vor sehr intensiv. Die Bemühungen, den Menschen von der Fahraufgabe zu befreien …

STANDARD: … oder zu bevormunden …

Zyciora: … ohne zu bevormunden! Wenn ich die Wahl hätte, auf einer langen Autobahn, wenn ich müde werde, anstatt öfters eine Pause zu machen, das Auto die Fahraufgabe übernähme, kann ich ja relaxen: Jetzt mach’ ich mal einen kleinen Nap, danach kann ich wieder fahren. Das wäre dann eine Qualität, die viele Menschen schätzen würden und die die Mobilität in eine neue Dimension bringen kann. Nun haben wir aber gesehen, dass der Redundanzaufwand zur Absicherung extrem groß ist. Wenn ich nur einer Kamera vertraue, dann fliegt da vielleicht eine Mücke drauf, dann sieht die etwas, das gar nicht da ist, legt eine Vollbremsung hin, gefährdet die Insassen.

STANDARD: Oder Schneetreiben, Nebel…

Zyciora: In Kalifornien, immer Sonne, immer trocken, funktioniert das vielleicht eher als in Schweden im Schneematsch oder bei vollem Regen. All dies hat dazu geführt, dass man redundante Systeme einführt. Lidar-Sensoren, Radar, Kamerasystem. Die überlagere ich, habe also drei Wahrnehmungsebenen, mit denen ich die Umgebung ständig scanne, ständig berechne. Ich brauche eine 5G-Verbindung ins Internet, um Informationen ständig upzustreamen, downzustreamen, Sozusagen: An alle hinter mir: Da ist gerade ein Mülleimer auf die Straße gefallen, aufpassen. Upstream. Und dann downstream. Die Datenverarbeitungsrate, die Rechnerleistung, die da dahinterstehen muss, ist gigantisch. Das wird letztlich dazu führen, dass dieser Traum in einem Polo oder einem Golf noch ein bisschen auf sich wird warten lassen.

"Wenn man mit einem Elektroauto offen fährt, ist das Naturgenuss pur, weil ich hab’ ja kein Fahrgeräusch."

STANDARD: Zum Golf ohne Lenkrad ist es also noch ein Weilchen hin?

Zyciora: Das wird wohl noch ein bisschen dauern. Aber: Ich glaube schon, dass wir das in den nächsten Jahren im Markt sehen werden.

STANDARD: Da reden wir aber von Level 3.

Zyciora: Das ist ja immer so. Erst mal versucht man, möglichst weit zu springen. Da ist die Vision, da wollen wir hin. Dann merkt man, pfuh, das ist aber ganz schön weit. Da braucht ’s doch mehr Zeit, mehr Infrastruktur. Dann fängt man an, das in Scheiben, in Stufen aufzuteilen und dann geht man drauf zu. Aber wir werden da hinkommen, da bin ich mir ziemlich sicher.

STANDARD: Der SUV-Boom walzt alles nieder. Hat die Limousine, der Kombi, das Coupé, das Cabriolet noch eine Zukunft?

Zyciora: Ich glaube schon, dass das offene Fahren eine Zukunft hat und auch eine elektrische. Ich sage Ihnen auch, warum. Wenn man mit einem Elektroauto offen fährt, ist das Naturgenuss pur, weil ich hab’ ja kein Fahrgeräusch.

STANDARD: Doch. Fahrgeräusche, Windgeräusche. Aber zurück zu den Fahrzeugkategorien.

Zyciora: Ich sehe, dass sich neue Türen öffnen und die Form von Fahrzeugen sich über Elektromobilität verändern wird. Weil die Verbrennungskraftmaschine rausgeht, entstehen neue Freiräume. Die gilt es jetzt zu explorieren, auch mutig zu explorieren. Da werden wir ganz unterschiedliche Formen und Konzepte auftauchen sehen. Wir werden sehen, dass auch offene Fahrzeuge eine Zukunft haben. Das ist aber etwas, das vielleicht noch ein bisschen Zeit braucht. Erst mal geht es ja darum, Reichweite und Effizienz und die Demokratisierung voranzubringen. Wenn dann die Infrastruktur steht und quasi alles elektrisch fährt, dann kommt man vielleicht wieder auf den Punkt, wo ich sage, jetzt will ich auch wieder Genuss und Offenheit und Natur. Wenn Mobilität elektrisch ist oder wasserstoffbetrieben – beim Schwerlastverkehr –, dann wird man auch wieder den Wunsch haben, Natur pur genießen zu wollen.

STANDARD: VW ist bekannt für hohe funktionale Ansprüche. Darüber kommen die Emotionen zu kurz. Kritiker werfen der Marke stilistische Fadesse vor. Beispielsweise gibt es nur ein einziges Cabriolet im Portfolio, und selbst das ist SUV-basiert: T-Roc Cabrio. Ist das schlichtweg nicht der rechte Zeitpunkt für Spaßautos und kommt der jemals wieder?

Foto: Stockinger

Zyciora: Ich setze mich natürlich dafür ein. Weil ich fest daran glaube, dass die Beziehung zur Mobilität eine Beziehung zur Freiheit ist und eine Beziehung, die extrem emotional ist. Ich mag nicht die Zukunft glauben, dass wir alle in autonom fahrenden Telefonzellen durch die Gegend bewegt werden, sondern ich möchte das auch nutzen, um ein Erlebnis zu generieren, einen Mehrwert zu erzeugen für Menschen, in jeder Form. Die Elektromobilität ist für mich der Schlüssel zu einer neuen Welt, das sehen viele Kollegen im Designbereich genauso. Wir Designer haben ja diese Zukunft vorzuschlagen, zu erarbeiten, zu gestalten. Der Kunde muss das andererseits natürlich wollen und goutieren und aufnehmen – wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass die Cabrio-Segmente geschmolzen sind wie die Butter in der Sonne.

STANDARD: Außer im Hochpreissegment.

Zyciora: Auch die klassische Limousine hat sich mehr und mehr zurückgezogen, was auch einen ganz schlichten Grund hat. Ein SUV bietet den Menschen einen Mehrwert – in Form von Sitzhöhe und mehr Raum.

STANDARD: Mache ich aus dem SUV ein SUV-Coupé, sind die Vorteile schon wieder dahin.

Der Volkswagen Buggy.
Foto: Volkswagen

Zyciora: Diese Mischformen bringen eine emotionale Komponente hinein, beschneiden dabei natürlich die Funktion wieder. Dass die jetzt stärker auftauchen, zeigt aber auch, dass eine rein sachliche Formgebung zwar viele, viele Kunden anspricht, aber schon das Bedürfnis da ist, auch einen anderen Ausdruck haben zu wollen. Ich glaube, dass wir viele neue Konzepte sehen werden, Wir haben auch mit dem Buggy gezeigt, wie viel Spaß ein elektrisches Auto machen kann. Ich bin mit dem Auto selber mal am Strand gefahren und hier durch die Gegend – ein unglaubliches Erlebnis.

STANDARD: Wie ernst ist das gemeint?

Zyciora: Sehr ernst. Aber offen gesagt, kommt in der Corona-Krise alles noch einmal auf den Tisch. Die Frage der belegbaren Nischen ist auch eine der Ressourcen. (Andreas Stockinger, 26.9.2020)