Buchautor Alois Schöpf argumentiert in seinem Gastbeitrag, warum Sterbehilfe in Österreich erlaubt sein soll. Ärztin Elisabeth Pittermann hat einen Text dagegen verfasst.

Der Philosoph David Hume wurde 1711 geboren. Sein Essay Of Suicide ("Über den Freitod", Reclam 19471) erschien im Jahre 1777. Darin beantwortet er knapp und überzeugend die Fragen, ob jemand, der sich selbst tötet, gegen die göttliche und moralische Ordnung verstoße und die Gesellschaft schädige. Er verneint dreifach mit Argumenten, an denen sich bis heute, fast 250 Jahre später, nichts geändert hat. Dies ist vor allem deshalb deprimierend, weil in dieser langen Zeit trotz der Erkenntnis des bedeutendsten Vertreters der schottischen Aufklärung und seiner Nachfolger tausende verzweifelte Menschen gezwungen waren, grausam an sich selbst eine Handlung zu vollziehen, da sie ihr Leiden, abseits manifester und heute oftmals therapierbarer psychischer Krankheiten, nicht mehr ertragen wollten oder konnten. Eine Handlung, die, sofern sie in einer freien Gesellschaft das Ergebnis rationaler Überlegungen ist, von Hume als klug und mutig eingeschätzt wird.

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Befürworter der Sterbehilfe finden, dass Betroffene ein Recht haben müssen, selbst zu entscheiden.
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Ganz in diesem Geist einer auf das Selbstbestimmungsrecht der Person abzielenden Aufklärung ist auch das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom Februar dieses Jahres abgefasst. In ihm wird das 2015 in Deutschland eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe als verfassungswidrig erkannt und höchstrichterlich das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" bestätigt. Man kann nur hoffen, dass eine solch liberale Entwicklung in unserem Nachbarland auch hierzulande eine bedrückende Geschichte beendet, die davon gekennzeichnet ist, dass die Erkenntnisse der europäischen Aufklärung an unserem durch die Gegenreformation ethisch zurückgebliebenen Land erfolgreich vorübergingen. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat jedenfalls für diese Tage seine Entscheidung aufgrund einer Individualklage über die §77 und §78 StGB, "Tötung auf Verlangen" und "Beihilfe zum Selbstmord", angekündigt.

Totalitäre Dogmatik

Es versteht sich, dass die katholische Kirche, auf deren totalitäre Dogmatik der politisch einflussreichste Widerstand gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe zurückzuführen ist, sich angesichts solch drohender Entwicklungen schon im Vorfeld mächtig Gehör zu verschaffen versuchte. Da eine religiös fundierte Ablehnung der Liberalisierung der Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid, vergleichbar den kirchlichen Einlassungen zur Sexualmoral, auf Unverständnis in der Öffentlichkeit stoßen würde, wurde und wird in den meisten Stellungnahmen das entscheidende Argument, dass Gott der Eigentümer des Lebens und der Mensch nur sein Verwalter sei (Katechismus 2280), bewusst unterschlagen. An die Stelle des animistischen Glaubens, die Seele werde eingehaucht und beim Tode wieder abgezogen, werden in Verdrehung der Faktenlage vielmehr Schauermärchen lanciert, Statistiken falsch interpretiert, und statt auf Argumente wird auf Marketingsprüche gesetzt.

Was die Schauermärchen betrifft, so darf der drohende Begriff des "Dammbruchs" nicht fehlen, wonach eine Liberalisierung der Sterbehilfe zur Folge hätte, dass Alte und Kranke dazu überredet würden, sich von kommerziellen Unternehmen umbringen zu lassen. Dass solche Unterstellungen in all jenen Ländern, die seit Jahren über liberale Sterbehilfegesetze verfügen, in keiner Weise der Realität entsprechen, ist umso ungeheuerlicher, als hier von Rechtsstaaten wie der Schweiz, den Niederlanden oder Belgien behauptet wird, sie würden Massenmorde dulden. Eine weitere Behauptung kirchenaffiner Sterbehilfegegner lautet, dass durch eine Liberalisierung die Selbstmordraten unweigerlich in die Höhe schnellen würden. Tatsache ist vielmehr, dass "erfolgreichen" Suiziden meist missglückte Suizide mit tragischen Folgen im Verhältnis von zumindest 1:9 gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund legt die schweizerische Sterbehilfevereinigung Dignitas denn auch ihr Hauptaugenmerk auf Suizidversuchsprävention, die allerdings nur gelingen kann, wenn durch liberale Gesetze suizidales Denken enttabuisiert wird und die Möglichkeit eines offenen Gesprächs gegeben ist.

Schäbige Umdeutung

Liberale Sterbehilfegesetze vermindern also "geglückte", vor allem aber auch missglückte Selbsttötungsversuche samt ihrer enormen Folgekosten auch für unfreiwillig Beteiligte, wie etwa Lokführer, die nicht selten zu unfreiwilligen Vollzugsorganen solch grausamer Selbsttötungen werden. Vor diesem Hintergrund ist es eine schäbige Umdeutung von Statistiken, wenn dem autonomen Handeln von Bürgern, die Art und Zeitpunkt ihres Lebensendes selbst zu bestimmen, durch definitorische Tricks steigende Selbstmordraten zugerechnet werden.

Bleibt zuletzt der Spruch "Der Mensch möge nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen Menschen sterben". Hier wird mit Marketing christliche Nächstenliebe suggeriert und die entscheidende Frage ausgeblendet: Wie entscheiden sich die Betroffenen selbst? Soll eine professionelle Palliativmedizin zum Einsatz kommen, die übrigens noch lange nicht allen Österreichern zur Verfügung steht? Oder sollte die Hilfe darin bestehen, im Rahmen eines dokumentierten Entscheidungsprozesses einen sanften Tod zum selbstgewählten Zeitpunkt mit ärztlichem Beistand herbeizuführen? Beides ist Liebe und Dienst am Nächsten! Und wer darf entscheiden, welche Art gewählt wird? Es kann doch nur der oder die sein, den oder die es betrifft! (Alois Schöpf, 24.9.2020)