FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sprach anlässlich des Corona-Gesetzes von einem türkis-grünen "Rollkommando" und erntete für diese NS-Anspielung einen Ordnungsruf von Nationalratspräsidentin Doris Bures.

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Wien – In der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause steht für den Nationalrat am Mittwoch der Beschluss des nächsten Corona-Pakets an – doch zuvor wollen die Neos dem Kanzler auf der Regierungsbank in einer anderen Angelegenheit die Leviten lesen: In der von ihnen begehrten Europastunde rechnet deren Chefin Beate Meinl-Reisinger mit Sebastian Kurz’ Ignoranz rund um das abgebrannte Flüchtlingslager von Moria auf Lesbos ab.

Obwohl ihre Partei schon seit Ausbruch der Corona-Krise auf die Zustände vor Ort hinweise, habe er "monatelang weggeschaut", redet sich Meinl-Reisinger in Rage – und mit seiner Weigerung, Flüchtlinge von dort aufzunehmen, setze er diese nun quasi "als menschliches Schutzschild" ein, damit nicht noch mehr nach Europa kommen.

Gespräche mit NS-Überlebenden

Kurz, der Meinl-Reisingers Rede zunächst mit stoischer Miene über sich ergehen lässt, hält daraufhin ein Plädoyer für mehr Sachlichkeit in der Debatte – hierfür rechnet er nicht nur den Neos, sondern auch der SPÖ vor, wie viele Kinder Österreich allein heuer schon aus anderen Teilen der Welt aufgenommen habe – 3.700. Obwohl man in Lesbos vor Ort helfe, hält der Kanzler zudem fest, störe ihn, wie sehr Politiker der ÖVP dafür beschimpft werden.

Doch auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zeigt sich von Kurz' Aufrufen zur Sachlichkeit unbeeindruckt: "Hätten alle Regierungschefs 1939 so gedacht wie Sie", hätte er in Tel Aviv keine Gespräche mit Überlebenden der NS-Zeit führen können, hält sie dem Kanzler vor.

Opposition à la FPÖ

Zu Mittag stehen dann die nächsten Reizthemen an: Für die Corona-Ampel muss eine gesetzliche Basis geschaffen werden, ebenso für den Fall, dass auf das Land ein neuer Lockdown zukommt, hierfür braucht es das legistische Fundament für Ausgangssperren und Betretungsverbote. Ob dieses Regelwerk gelungen ist, dazu tun sich auch innerhalb der Opposition heftig ausgetragene Meinungsverschiedenheiten auf. Denn zum Ärger von FPÖ und Neos geben sich die Sozialdemokraten mit dem neuen Gesetz einverstanden und reklamieren es als Verhandlungserfolg für sich.

Die SPÖ habe von der türkis-grünen Regierung mehr parlamentarische Einbindung und einen Schutz des privaten Wohnbereichs herausschlagen können, argumentiert Rendi-Wagner. Den Neos wirft die rote Parteichefin dagegen einen Hang zur Fundamentalopposition à la FPÖ vor.

Tatsächlich lässt der pinke Gesundheitssprecher Gerald Loacker an der Reform kein gutes Haar: "Das ist ein Gesetz fürs Zusperren, Absperren und Wegsperren." Angesichts medizinischer Fortschritte bei der Corona-Behandlung hält Loacker die Ermächtigung für einen neuerlichen Lockdown des Gesundheitsministers für weit überschießend.

Einen gewohnt rabiaten Auftritt legt FPÖ-Klubchef Herbert Kickl an dem Tag hin. Die Regierung habe eine "Spur der Verwüstung durch das Land gezogen" und die Bevölkerung mit den Gesundheitsmaßnahmen in "Geiselhaft" genommen. Für ihren Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung findet die FPÖ allerdings keine Mitstreiter. Stattdessen gibt es Spott von Gesundheitsminister Anschober für das medizinische Wissen von "Primar Kickl" und dessen Verharmlosung der Pandemie. (Nina Weißensteiner, Theo Anders, 23.9.2020)