Corona beschäftigt uns nun ungefähr ein halbes Jahr. Die Konsequenzen liegen nicht nur auf medizinischer Ebene, sondern reichen von der Wirtschaft bis hin zu der sozialen Struktur und Sicherheit unserer Gesellschaft. Mediziner, Virologen, Epidemiologen, Simulationsexperten, Juristen und viele mehr konkurrieren im Kampf um die gesellschaftliche Deutungshoheit. Synchron bilden sich Gegner des Diktats von Medizin, Technik und Experten, die einen bunten gesellschaftlichen Mix von politisch rechts bis links darstellen und die oft despektierlich als “Covidioten“ bezeichnet werden. Darüber hinaus versucht die Politik weltweit, national und regional ihr Profil in Zeiten der Krise zu schärfen und kämpft gleichzeitig gegen den eigenen Machtverlust an.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

Das Spiel mit der Angst

Hans Rauscher schreibt in seiner STANDARD-Kolumne treffend: “Ein ganz wichtiges Moment ist das psychologische. Die Leute halten sich nur an Maßnahmen, wenn sie ihnen plausibel gemacht werden. Das funktioniert aber nur, wenn die Kommunikation der Regierenden einheitlich, überzeugend und in sich schlüssig ist.

Hier trifft er den Nagel auf den Kopf. Denn von Aussagen wie, dass bald jeder von uns jemanden kennen wird, der am Coronavirus gestorben ist bis hin zum darauf folgenden Licht am Ende des Tunnels, werden die Menschen verunsichert und diese politstrategischen Kniffe tragen nicht unbedingt zur Vertrauensbildung in die Regierenden bei. Wie kann man aber den negativen Nebenwirkungen der Pandemie entgegensteuern, die vielleicht gravierender ausfallen könnten, als der Anlass für den sozioökonomischen Lockdown?

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Regression zur Mitte

Als Regression zur Mitte wird in der Statistik das Phänomen bezeichnet, dass nach einem extrem ausgefallenen Messwert die nachfolgende Messung wieder näher am Durchschnitt liegt, wenn der Zufall einen Einfluss auf die Messgröße hat. Ein Beispiel für das Phänomen ist, dass sehr große Eltern im Allgemeinen Kinder mit einer im Vergleich zu ihnen geringeren Körpergröße haben, während die Kinder von sehr kleinen Eltern in der Regel zwar größer als die Eltern, aber immer noch kleiner als der Durchschnitt sind. Ähnliche Muster lassen sich in Zusammenhang mit der Forschung zu Genies finden. Kinder von ebenjenen sind zumeist zwar begabt jedoch befindet sich ihr Talent näher am Durchschnitt der Bevölkerung als das ihrer Eltern. Diese Arbeit führte schließlich zur Entwicklung des Konzeptes der Korrelation. Analog zu dem Modell der Regression zur Mitte wird es im Umgang mit der aktuellen Krise ebenso um ein gesundes Mittelmaß gehen. Zwischen 0 und 1 liegt in der realen Welt eine unendliche Vielzahl an Nuancen und Abstufungen. Dieses emo-rationale Management wird die Königsdisziplin der Zukunft und nicht das Rauf- und Runterrechnen von Simulationen und darauf basierende Ampelschaltungen.

Respekt vor dem Leben

Große Therapeuten wie die Psychoanalytiker Rudolf Ekstein und Bruno Bettelheim, waren nicht alleine aufgrund ihres fachlichen Detailwissens profund und anerkannt. Durch die Erfahrung der Gräueltaten des Nationalsozialismus haben sie gelernt was wirklich wichtig ist, nämlich der Respekt vor dem Leben. Mit dieser Erkenntnis behandelten sie später ihre Klienten nicht als Experten von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Aufgrund der Dankbarkeit überlebt zu haben, konnten sie an scheinbar unlösbare Fälle mit einem souveränen Abstand herangehen. Heute regiert leider oft das kleinkarierte Lehrbuch-auswendig-Lernen während Lebenspraxis und Demut fehlen. In Zukunft wird es um ein System nach menschlichem Maß außerhalb der medizinischen, ökonomischen oder politischen Bewertungsmechanismen gehen. Der Mensch ist fehlbar, Systeme haben Fehler und dieser Tatsache sollten wir uns bewusst sein. Das schafft auch Bewusstsein für uns selbst und andere. (Daniel Witzeling, 30.9.2020)

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