Herbert Prohaska hat vieles im Blick.

Foto: imago images/ActionPictures

An Herbert Prohaska kommt man eigentlich nicht vorbei. Der ehemalige Teamchef des Nationalteams, Jahrhundertfußballer und ORF-Kommentator wuchs im Gemeindebau in Simmering auf und erinnert sich gerne an seine Jugend.

STANDARD: Es gibt Menschen, die verbinden Wien mit Würstelstand, Kaffeehaus und Herbert Prohaska. Wie klingt das für Sie?

Prohaska: Das glaube ich nicht. Es ist eine verschwindende Menge, die Wien mit mir verbindet.

STANDARD: Doch, wirklich.

Prohaska: Jetzt wo Sie es sagen: Es gab vor vielen Jahren eine Umfrage, bei der gefragt wurde: "Wer oder was ist Schneckerl?" Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie sie zusammengestellt wurde, aber jeder wusste es. Das war schon lustig.

STANDARD: Als Mann im Fußballgeschäft, sei es Profi, Trainer oder Analytiker, haben Sie die Welt gesehen.

Prohaska: In Wien bin ich aufgewachsen, Wien ist eine der schönsten Städte der Welt. Wenn man heimkommt, weiß man, was man an Österreich und Wien hat. Ich habe in Rom und Mailand gewohnt und dabei Rom immer den Vorzug gegeben, weil die Kultur dort an jeder Ecke ist. Mailand hat ein schönes Zentrum, aber im Grunde ist es eine Industriestadt. Es ist eher öd.

STANDARD: Sie sind im Gemeindebau in der Hasenleitengasse in Simmering aufgewachsen. Das ist ein weiter Weg nach Rom oder Mailand.

Prohaska: Die Hasenleitengasse gehörte damals sicher zu den ärmsten Gegenden in Wien. Man ist so aufgewachsen, dass es völlig normal war, dass niemand etwas hat. Wir haben in zwei Zimmern gewohnt, zu viert mit dem Großvater. Ein Raum wurde beheizt. Bis zum zwölften Lebensjahr habe ich zwischen meinen Eltern geschlafen. Aus Platzgründen. Aber es war trotzdem eine schöne Jugend. Man ist rausgegangen und hat Fußball gespielt. Niemand hatte etwas, dadurch ist auch kein Neid aufgekommen. Lebensmittel waren da, das war das Wichtigste, Luxus gab es nicht. So war Wien damals. Die Stadt hat sich enorm weiterentwickelt.

STANDARD: Erfolgreichen Sportlern wirft man auch heute noch gerne entgegen: "Du kannst gut reden, weil du verdienst ja super."

Prohaska: Ich sage dann immer: "Ja das stimmt, ich habe aber auch gelernt, mit nichts zu leben." Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der meine Eltern gesagt haben, dass Fußballer allein nicht geht. Also habe ich in Simmering bei der Firma Hofer Automechaniker gelernt. Mit 17 Jahren bin ich zur Austria gekommen, bis 18 habe ich aber meine Lehre fertig gemacht, weil ich es meinen Eltern versprochen habe. Am Tag nach meiner bestandenen Prüfung habe ich dann gekündigt und war nur mehr Fußballer. Ich habe das Geld aber nie beim Fenster rausgehaut.

STANDARD: Unter uns: Man leistet sich aber schon etwas, oder?

Prohaska: Ja, zum Beispiel einmal eine teure Uhr oder ein Auto. Angefangen habe ich mit einem 1200er-VW, der damals 4000 Schilling gekostet hat. Anschließend bin ich dann eben Mercedes gefahren. Der größte Luxus war aber, dass ich beim Urlaub nie geschaut habe, was er kostet.

STANDARD: Wahlkampf ist immer auch Zeit des Besitzanspruches. Die Parteien reklamieren die Stadt für sich. Wem gehört Wien?

Prohaska: Die Stadt gehört allen, die hier leben. Ich könnte jetzt sagen, die Stadt gehört den Wienern und Wienerinnen, aber das ist ja ein absoluter Blödsinn. Es gibt viele Ausländer und Migranten, die hier leben, und auch ihnen gehört die Stadt. Und solange sie keine Verbrecher sind, sind sie alle willkommen. Weil es wohl auch für sie unheimlich schön ist, in so einer Stadt zu leben.

STANDARD: Sie wohnen jetzt seit 35 Jahren in Klosterneuburg. Wieso sind Sie aus Wien geflüchtet?

Prohaska: Während meiner Italien-Zeit kam mir die Idee ein Haus zu kaufen. Ich habe unzählige Häuser angeschaut und es hat mir keines gepasst. Ich wollte ins Grüne, aber nicht zu weit weg aus Wien. Deshalb habe ich ein Grundstück in Klosterneuburg gekauft.

STANDARD: Bleiben wir in der Vergangenheit. Was ist von den Klischees der technischen Austria und des kämpferischen SK Rapid übriggeblieben?

Prohaska: Das sind, wie gesagt Klischees, sie stammen aus einer Zeit von Matthias Sindelar oder Bimbo Binder. Die Wahrheit ist, dass es auch Zeiten gab, in denen Rapid einen technisch super Fußball gespielt hat und die Austria mehr über den Kampf gekommen ist. Bei der Austria hält das vielleicht noch an und man hat die Philosophie einen technisch versierten Fußball spielen zu wollen. Bei Rapid wollte man vor allem Tore schießen. Und dafür stand der Krankl. Ihm war wurscht, welches Spiel gespielt wird, der wollte Tore schießen. Und hat sie auch geschossen.

STANDARD: Der Wiener Fußball hinkt hinterher.

Prohaska: Die ersten zwei Partien der Austria waren okay. Red Bull Salzburg steht über allen, sie haben finanziell und sportlich alles. In Wien gibt es zwei Großvereine, die das nicht haben und die jetzt auch noch viel Geld verlieren, weil die Leute nicht ins Stadion dürfen. Das tut natürlich weh.

STANDARD: Das Stadtbild ist geprägt von den berühmten Käfigen. Ist die Zeit der Märchen von Kickern, die es von der Straße in den Profifußball schaffen, vorbei?

Prohaska: Ja, heute musst du ja niemanden mehr im Käfig entdecken. Damals war es schwieriger, weil du erst ab zehn Jahren zu einem Verein durftest. Bis dahin hat man eben im Käfig gespielt. Es sind Trainer von den kleinen Vereinen aus dem Bezirk gekommen und haben sich die Buben angeschaut. Heute sind die Kinder ja schon viel früher im Verein.

STANDARD: War es in den Käfigen wild?

Prohaska: Es war eine unheimlich gute Ausbildung, weil du dich selber ausgebildet hast. Man musste gegen Kinder verschiedenen Alters spielen, ich habe als Sechsjähriger gegen 14-, 15-Jährige gekickt. Du wusstest: Der ist schneller, der ist kräftiger, der kann dich umhauen. Wenn du dich durchsetzen willst, musst du besser dribbeln und flinker sein. Der Käfig war eine gute Lebensschule.

STANDARD: Funktioniert Wien als Sportstadt?

Prohaska: Nein. So sehr ich Wien liebe, aber Sportstadt ist es keine. Gut, für den Breitensport passiert viel, aber um uns herum bauen alle wunderschöne Fußballstadien, und wir haben unser Happel-Stadion. Und ein Radstadion, in dem keiner mehr fährt. Ich weiß aber schon, dass ich da leicht rede und diese Projekte enorm viel Geld kosten. Und jetzt in der Corona-Zeit ist es deppert, sich darüber zu beklagen.

STANDARD: Stichwort Corona.

Prohaska: Uns geht es gut. Wir sind natürlich privilegiert, weil wir ein Haus mit Garten haben. Es war klar, dass es jetzt mit den Urlaubsrückkehrern wieder schwieriger wird. Ich glaube, der Mensch ist für sowas nicht geschaffen: Wir sind viel zu naiv. Ich höre Leute sagen: "Ich habe keine Angst, mich anzustecken." Ja wunderbar, aber ich habe Angst, dass du mich ansteckst. Angst ist nie gut, aber in solchen Fällen ist sie auch nicht schlecht. Es muss ja nicht panisch sein, aber ich möchte sagen: "Halt dich dran, dann werden wir’s irgendwann überstehen." Es zeigt sich aber eben auch, dass die Vernunft der Menschen enden wollend ist. (Andreas Hagenauer, 24.9.2020)