Wien – Schrecksekunden am Donnerstagabend im achten Bezirk: Mehr als ein halbes Dutzend Streifenwagen fuhr angeblich beim berühmt-berüchtigten Bierwirt vor – laut einem Augenzeugen sollen sie etwas zeitversetzt, aber allesamt mit Blaulicht eingetroffen sein. Bei der Wiener Polizei bestätigt man den Einsatz beim Craft-Beer-Shop, der auf Twitter rasch die Runde machte. "Ein Beschuldigter wurde wegen Nötigung, Sachbeschädigung und waffenrechtlicher Übertretung vorläufig festgenommen, weil er laut Aussage einen Passanten bedroht und genötigt haben soll", erklärte Kontrollinspektor Paul Eidenberger von der Pressestelle dem STANDARD. Zu alledem setzte es für den Beschuldigten auch noch eine Anzeige "wegen Anstandsverletzung gegen die Polizeikollegen". Ob bei dem polizeilichen Aufgebot neben dem Beschuldigten, dessen Identität nicht preisgegeben werden darf, auch ein gewisser "Willi" eine Rolle gespielt hat? Sorry, leider gilt auch hier: "Wir dürfen keine personenbezogenen Auskünfte erteilen", so Eidenberger.

Seit dem letzten Prozesstag am Freitag, dem 11. September, gibt es keine näheren Informationen und Unterlagen zum "Herrn Willi".
Foto: Regine Hendrich

Eine Woche nach der von Richter Hartwig Handsur gesetzten Frist gibt es noch immer kein Lebenszeichen von "Willi": "Bis dato sind keine Informationen und Unterlagen hinsichtlich der Identität und der Adresse des Herrn Willi eingelangt", erklärte man am Donnerstag wiederum bei der Pressestelle des Wiener Landesgerichts für Strafsachen auf Anfrage. Ob dieser Umstand den neu aufzurollenden Prozess Bierwirt gegen Maurer verlangsamt oder beschleunigt, kann und will man auch im Grauen Haus nicht verraten. Ebenso gibt es freilich noch keinerlei Auskunft darüber, welche Konsequenzen Willis berüchtigter Brief für den weiteren Verlauf der Causa hat, wo doch der Mann bis heute unauffindbar ist.

Fest steht allerdings, dass das Verfahren die Gerichte mittlerweile seit mehr als zwei Jahren beschäftigt: Weil Sigrid Maurer Ende Mai 2018, damals ohne Mandat, heute Klubchefin der Grünen, vom Account des Bierwirts obszöne Privatnachrichten via Facebook erhalten und prompt dessen Identität über soziale Netzwerke geoutet hatte, klagte der Lokalbetreiber sie wegen übler Nachrede. Denn der Kläger will die Botschaften nicht abgesetzt haben – Gäste hätten Zugang zu seinem Computer im Lokal gehabt. Im ersten Prozess setzte es einen Schuldspruch für Maurer, doch das Wiener Oberlandesgericht befand dieses Urteil im Frühjahr 2019 für null und nichtig. Seit einem Jahr läuft nun das – auch wegen der Corona-Krise unterbrochene – neue Verfahren.

Keine Adresse, keine Ladung

Beim letzten Prozesstag am Freitag, dem 11. September, legte der Bierwirt quasi in letzter Minute ein Bekennerschreiben seines Freundes und Kunden "Willi" vor, in dem dieser gesteht, die obszönen Privatnachrichten abgesetzt zu haben – die einst mit höchst eigenwilliger Interpunktion verfasst waren. Dem Vernehmen nach ist die aktuellste Botschaft von "Willi" dagegen in Volksschulschrift gehalten, fehlerfrei und höflich formuliert. Der Bierwirt will den A4-Zettel von ihm schon im Juli in seiner Geschäftspost gefunden haben, konnte vor Gericht aber weder den konkreten Namen noch die präzise Adresse von "Willi" benennen. Nur so viel erklärte er: "Willi", um die 50, wohne in der Stromstraße im 20. Wiener Bezirk. Sieben Tage, also bis Freitag, 18. September, gab Richter Handsur daraufhin dem Lokalbesitzer Zeit, gegenüber dem Straflandesgericht nähere Angaben zum Verbleib von "Willi" zu machen, damit eine Ladung erfolgen könne – sichtlich ohne Erfolg.

"Willi" ist nicht der erste Unbekannte, den der Bierwirt in der Causa angeführt hat. Im ersten Prozess im September 2018 gab er gegenüber Richter Stefan Apostol an: Nach der Aufregung mit Maurer habe ihm eine Frau gesagt, dass sich "ein älterer Herr mit schütterem Haar" an seiner Theke, also in PC-Nähe, herumgetrieben habe – auch dieser Mann konnte bis heute nicht dingfest gemacht werden. Trotz seines Schuldspruchs für Maurer machte der Richter damals deutlich, dass er dem klagenden Geschäftsmann so gut wie nichts glaube, allerdings sei es aus seiner Sicht nicht gelungen nachzuweisen, dass dieser Maurer die sexuell anzüglichen Texte tatsächlich geschickt habe.

Auch Nebenstrang ungewiss

Nach dem Wirbel rund um sein Ersturteil erklärte Apostol, er werde der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis bringen, dass er überzeugt sei, dass der Lokalbetreiber im Zeugenstand unter Wahrheitspflicht gelogen habe. Dazu leitete der Richter die damaligen Verhandlungsprotokolle mit dem Urteil an die Anklagebehörde weiter – was dem Bierhändler ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage eintragen könnte, wie dazu damals erläutert wurde. Zum aktuellen Ermittlungsstand in diesem Nebenstrang heißt es auf Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Wien, dass das Verfahren "noch immer anhängig" ist.

Zu den vielen Fragezeichen rund um "Willi" sagt die geklagte Grünen-Politikerin Maurer: "Meine Überraschung, dass Willi nicht auftaucht, hält sich in Grenzen." Ironischer Nachsatz: "Vielleicht existiert Willi etwa gar nicht?" (Nina Weißensteiner, Jan Michael Marchart, 24.9.2020)