Am Mittwoch wurde nach den Wahlen am 30. August das neue montenegrinische Parlament konstituiert und der Chef der Partei "Der Frieden ist unsere Nation", Aleksa Bečić, zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Seine Partei hält zehn der 81 Sitze im Parlament. Bečić erhielt 45 Stimmen – auch Abgeordnete der bosniakischen und albanischen Minderheit stimmten für ihn. Nun beginnen die Verhandlungen zwischen den drei Parteien, die eine Koalition bilden wollen.

Da ist auf der einen Seite das Wahlbündnis "Für die Zukunft Montenegros" mit 27 Parlamentariern, ein Sammelbecken von Konservativen, Rechtspopulisten, serbisch-national Gesinnten und prorussischen EU-Skeptikern, das vor allem gegen das Religionsgesetz auftritt, das im Vorjahr beschlossen wurde, und von dem Universitätsprofessor Zdravko Krivokapić geführt wird. Neben dem proeuropäische Bündnis "Der Frieden ist unsere Nation" will auch die grünliberale Bürgerbewegung "Vereinigte Reformaktion", die vier Mandatare stellt, in die Regierung einziehen. Für Montenegro bedeutet dies eine kleine Revolution, weil damit die bisherige Regierungspartei DPS, die seit 1991 an der Macht ist, abgelöst wird. DPS-Chef Milo Đukanović, der auch Staatspräsident ist, war bei der konstituierenden Sitzung nicht anwesend.

Zdravko Krivokapić führt das Wahlbündnis "Für die Zukunft Montenegros".
Foto: AFP/Prelevic

Weitere Demokratisierung

In der Koalition, die sich gerade in Montenegro formiert, kommen sehr unterschiedliche Weltbilder und Interessen zusammen, sodass viele bereits wieder das Ende des neuen Bündnisses prophezeien. Offen ist, wie liberale proeuropäische Bürgerparteien einen gemeinsamen Nenner mit Nationalisten finden können. Denn der extreme Nationalismus auf dem Balkan beruht darauf, alle Bürger nach ethnischen Kriterien und nicht nach ihren Bürgerrechten zu beurteilen. Versuche, einen modernen Bürgerstaat zu errichten, werden von Nationalisten in vielen südosteuropäischen Staaten seit Jahrzehnten bekämpft.

Doch das neue Regierungsprojekt in Montenegro bleibt vor allem deshalb so interessant, weil erstmals seit fast dreißig Jahren die DPS nicht mehr in der Regierung sitzen wird. "Es ist immens wichtig, dass wir die bisher regierende Koalition durch Wahlen auf friedliche Weise geändert haben, das kann für eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft wertvoll sein, in der die Bürger mehr an ihre Stärke glauben", meint etwa die Politikanalystin Daliborka Uljarević zum STANDARD.

Nicht aus der Nato austreten

Geeinigt haben sich die drei Fraktionen bereits darauf, dass Montenegro nicht aus der Nato austreten und die Anerkennung der Staatlichkeit des Kosovo nicht infrage gestellt werden wird. Weiters will man das Justizsystem reformieren, das von parteilichen Interessen unterlaufen ist, Umweltschutzmaßnahmen umsetzen und die Verwaltung entpolitisieren, die zurzeit von Mitgliedern der DPS dominiert wird. Erste Maßnahmen gegen die Korruption sollen schnell gesetzt werden. So sollen das Vermögen von allen Beamten und öffentliche Aufträge überprüft werden. Umstritten ist, dass vor allem Experten in die Regierung entsandt werden sollen, weil dadurch die regierenden Parteien weniger zur Verantwortung gezogen werden können.

Tatsächlich gab es in Montenegro niemals umfassende Reformen im Bereich des Rechtsstaats, faire Verfahren sind für die Bürger nicht gewährleistet, und wer einen Job oder irgendeine Bewilligung brauchte, konnte das bislang am besten erreichen, wenn er der DPS beitrat. Ein Elitenwechsel könnte deshalb zu einem entscheidenden Befreiungsschub der Gesellschaft führen. Für umfassende Rechtsstaatsreformen – etwa die Ernennung von neuen Mitgliedern des Justizrates – braucht es allerdings eine Zweidrittelmehrheit. Und es ist zu erwarten, dass die DPS sich an Kompromissen beteiligen wird.

Innenministerium soll prowestlich sein

Die DPS von Đukanović galt aber für viele in Europa in den vergangenen Jahrzehnten als Garant dafür, dass der Nationalismus in Montenegro nicht zur dominanten Ideologie werden wird und die westliche Ausrichtung des Landes gewährleistet blieb. Viele jener Kräfte, die an einer Demokratisierung der Gesellschaft und der Schaffung eines Rechtsstaates interessiert waren und sind, kritisieren hingegen zurecht, dass die Herrschaft von Djukanović solche Entwicklungen bislang unterlaufen hat.

Die proeuropäischen Parteien in der neuen Regierung wollen nun dafür sorgen, dass das Innenministerium und die Nationale Sicherheitsdirektion mit Kräften besetzt werden, die prowestlich ausgerichtet sind. In der Region und auch in der EU gibt es nämlich die Sorge, dass der Einfluss von Putins Russland oder aber auch von radikalnationalistischen Kräften aus Serbien in Montenegro durch die Regierungsbeteiligung des Wahlbündnisses "Für die Zukunft Montenegros" wachsen könnte.

Gegner der Hymne

Bei den Feiern nach den Wahlen am 30. August wurden etwa serbische Flaggen geschwungen. Serbische Nationalisten im Parlament waren nun auch bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments während des Singens der montenegrinischen Nationalhymne nicht anwesend, weil sie diese ablehnen. Allerdings sind diese politischen Kräfte nicht stark genug, dass sie Hymne oder Flagge ändern könnten.

Zu erwarten ist aber jedenfalls eine Kursänderung gegenüber Russland, die vom Chef von "Für die Zukunft Montenegros", Krivokapić, bereits angekündigt wurde. So könnten die Sanktionen wegen der Annexion der Krim aufgehoben werden. Sicher ist auch, dass die serbisch-orthodoxe Kirche mit dem Eintritt der serbisch-nationalistischen Kräfte in die Regierung an Einfluss gewinnen wird. Die orthodoxe Kirche hatte im Winter eine Kampagne gegen das neue Religionsgesetz angeführt. Zehntausende gingen auf die Straße und protestierten dagegen, dass ihnen angeblich "das Heiligste" genommen werde.

Religionsgesetz soll geändert werden

Das Gesetz sieht vor, dass religiöse Objekte und Grundstücke, die mit staatlichen Geldern errichtet wurden oder bis zur Eingliederung des Königreichs Montenegro in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen im Jahr 1918 dem Staat gehörten, wieder Eigentum des heutigen Staates Montenegro werden sollen. Dieses Gesetz wird auf Betreiben der neuen Regierung geändert werden.

Das Schicksal der neuen Regierung wird aber vor allem mit den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie verbunden sein. Der Sommertourismus ist stark eingebrochen, die Strände waren bis August praktisch leer. Die Arbeitslosigkeit liegt über 18 Prozent. Und auch die Auslandsverschuldung ist hoch. Schwierige Monate, in denen steigende Armut und wachsender finanzieller Druck zu spüren sein werden, gehören zu den größten Herausforderungen. (Adelheid Wölfl, 24.9.2020)