In den gesamten USA fanden nach der Urteilsverkündung Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt statt. In Louisville selbst kam es auch zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei.

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Ihm fehlten die Worte, er sei am Boden zerstört, verletzt, traurig und zornig, twittert der Basketballstar LeBron James, als klar ist, dass sich keiner der drei Polizisten, die im März die Wohnung Breonna Taylors gestürmt haben, vor Gericht für den Tod der schwarzen Rettungssanitäterin verantworten muss. "Hat es mich überrascht? Überhaupt nicht, dennoch tut es verdammt weh."

In Louisville, der größten Stadt Kentuckys, kommt es am Mittwochabend, unmittelbar nach dem entlastenden Urteil einer Geschworenenjury, zu heftigen Protesten. Kurz bevor dort um 21 Uhr eine nächtliche Ausgangssperre in Kraft tritt, wird auf Polizisten geschossen, unter Umständen, die noch genauer zu klären sind. Zwei Beamte werden verletzt. Auch in New York, Chicago, Los Angeles, Seattle und in Washington gehen Menschen spontan auf die Straße, weil sie die Entscheidung als skandalös empfinden.

Folgenschwerer Irrtum

Breonna Taylor. In der Debatte um Polizeibrutalität in Amerika rangiert der Name gleich neben dem von George Floyd, dem ein Uniformierter das Knie in den Nacken drückte, bis er keine Luft mehr bekam. Auf der Suche nach Drogen hatten Fahnder in der Nacht zum 13. März ihr Apartment in Louisville gestürmt. Kenneth Walker, der Freund der 26-Jährigen, der bei ihr übernachtete, schoss auf die Eindringlinge und verletzte einen von ihnen am Bein. Die Polizisten gaben daraufhin 32 Schüsse ab. Breonna Taylor, unbewaffnet, von sechs Kugeln getroffen, starb noch vor Ort. Sechs Monate darauf entscheidet eine Grand Jury, ein hinter verschlossenen Türen tagendes Geschworenengericht, zwei Beamte von sämtlichen Vorwürfen freizusprechen und nur einen anzuklagen. Aber nicht wegen der Tötung.

Brett Hankison war im Tumult auf einen Parkplatz gelaufen und hatte von dort aus blind, durch Fensterscheiben mit heruntergelassenen Jalousien, geschossen. Nicht nur auf Taylors Wohnung, sondern auch auf eine benachbarte. Wegen "mutwilliger Gefährdung" der Nachbarn kommt er nun vor Gericht. Alles, was mit Taylor zu tun hat, wurde dagegen als gerechtfertigte Selbstverteidigung eingestuft.

Die drei Polizisten, die beiden anderen sind Myles Cosgrove und Jonathan Mattingly, hätten aus Notwehr gehandelt, erläuterte der Generalstaatsanwalt Kentuckys, als er verkündete, zu welchen Schlüssen die Grand Jury gekommen war.

Da zuerst auf sie geschossen worden sei, könne man ihnen nach den Gesetzen des Bundesstaats nicht zur Last legen, dass sie ihrerseits gefeuert hätten, sagte Daniel Cameron, ein konservativer Politiker mit dunkler Haut, den die Republikaner seit einem bemerkenswerten Auftritt auf Donald Trumps Wahlparteitag als einen ihrer aufstrebenden Stars feiern. Offenbar in dem Versuch, Wogen zu glätten, fügte er hinzu: "Dies ist eine Tragödie, und manchmal ist das Strafrecht nicht adäquat, wenn es darum geht, Antworten auf eine Tragödie zu finden."

Die relativierenden Worte änderten nichts an dem Widerspruch, der sofort auf den Staatsanwalt einprasselte. Benjamin Crump, der Anwalt, der die Angehörigen Taylors vertritt, nannte das Urteil "empörend und beleidigend". Wenn Hankison Menschen in Nachbarwohnungen mutwillig gefährdet habe, dann hätten er und die beiden anderen doch auch das Leben Breonna Taylors mutwillig gefährdet, sagte er. "Eigentlich hätte man es als mutwilligen Mord werten müssen."

Unterschiedliche Versionen

Jeffrey Fagan, Rechtsprofessor an der New Yorker Columbia-Universität, spricht von einer Grand Jury, die jedes strittige Detail zugunsten der Polizei ausgelegt habe. Den Ermittlern zufolge bestätigte nur ein einziger Nachbar in dem Mehrfamilienhaus die Version der Beamten, nach der sie laut und deutlich "Police! Police!" gerufen haben sollen, bevor sie 45 Minuten nach Mitternacht die Wohnungstür aufbrachen. Alle anderen sagten aus, dergleichen nicht gehört zu haben. Der Mann, mit dem Taylor zu der Zeit im Bett lag, erzählt es so: Er habe gehört, wie jemand gegen die Tür hämmerte, und habe mehrfach "Wer ist da? Wer ist da?" gerufen. Da er keine Antwort bekam, ging er von einem versuchten Einbruch aus, rechnete mit Drogendealern der Bande, mit deren Chef Breonna zuvor liiert gewesen war. Zu Tode erschrocken, so Kenneth Walker, habe er zur Waffe gegriffen.

Tatsächlich hat der Polizeieinsatz eine Vorgeschichte, die tief ins kriminelle Milieu reicht. Eine Zeitlang war Taylor mit Jamarcus Glover befreundet, dem Chef einer Gang. Ab und zu fuhr Glover in ihrem Auto zu Adressen, die ihm als Drogenumschlagplätze dienten – und die von Detektiven überwacht wurden. Bald geriet auch Taylors Wohnung ins Visier, der Verdacht führte schließlich zu jener nächtlichen Razzia. Was die Polizisten nicht wussten: Die junge Frau hatte zu dem Zeitpunkt längst einen Neuanfang jenseits des Drogenmilieus gestartet. (Frank Herrmann aus Washington, 24.9.2020)