"Let's get started", sagt Birgit Hebein, kurz bevor das Aufnahmegerät eingeschaltet wird. Nach ihrer Replik auf US-Präsident Donald Trump, der über Österreichs "Forest Citys" geschwärmt hat, scheint sie Gefallen am Englischsprechen gefunden zu haben. Ihren Sohn hat sie damit nicht beeindruckt. "Nicht wegen des Inhalts, aber er hatte was an meiner Aussprache auszusetzen", schmunzelt sie. "Die Kinder lernen heute Englisch von klein auf, da kann ich mit meinem bissl Englisch, das ich in der Kärntner Hauptschule gelernt habe, nicht mithalten."

"Besser spät als nie." So lautet Birgit Hebeins Antwort auf die Frage, warum die Stadt Wien erst jetzt in Inseraten nach Personal fürs Contact-Tracing suche. Im Nachhinein wisse man es immer besser.
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STANDARD: Ihr Ziel bei der Wien-Wahl ist Platz zwei, das haben die Grünen bisher noch nie geschafft. Warum soll es diesmal gelingen?

Hebein: Der Anlass für diese Ansage war die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. Wir werben um das Vertrauen für eine menschliche Politik in der Stadt. Der ÖVP hingegen sind in Zeiten des Wahlkampfs Meinungsumfragen wichtiger als Menschlichkeit.

STANDARD: Die Taktik der ÖVP scheint aufzugehen. Aus jetziger Sicht kann ihr Grün am 11.Oktober nicht das Wasser reichen.

Hebein: Die ÖVP will lieber 100 Stimmen aus dem FPÖ-Teich fischen, als 100 Menschenleben zu retten. Ich frage mich, wo wir hingeraten sind.

STANDARD:Im Parlament haben die Grünen am Mittwoch einem Antrag nicht zugestimmt, Kinder aus Moria aufzunehmen. Ist die Koalitionsdisziplin größer als der Drang zu helfen?

Hebein: Ich weiß, viele sind enttäuscht, weil sie gehofft hätten, dass es mit grüner Beteiligung in der Bundesregierung anders wird. Im Moment gibt es keine Mehrheiten für die Aufnahme von Kindern aus Moria. Aber im Koalitionsvertrag steht auch keine Verpflichtung zur Unmenschlichkeit. Wir haben versprochen, zu kämpfen, und wir kämpfen.

STANDARD: Die Corona-Krise hat die Ausgangslage vor der Wien-Wahl massiv verändert. Sie setzen dennoch auf Projekte wie die Coolen Straßen, den Gürtelpool oder Pop-up-Radwege. Warum bleibt das Ihr Hauptfokus in Zeiten großer Existenzängste?

Hebein: Wir haben zwei Krisen, die Corona-Krise und die Klimakrise. Wir werden die eine nicht bewältigen, wenn wir die andere ignorieren. Rasch Abkühlungsmaßnahmen zu setzen, ist dringend notwendig: Bäume pflanzen, Bänke aufstellen, sich den Raum wieder zurückerobern. Dazu gehören die Coolen Straßen genauso wie der Gürtelpool. Wenn wir nichts tun, wird sich unsere Stadt bis 2050 um 7,6 Grad aufheizen. Der öffentliche Raum ist ungerecht verteilt. Nur ein Viertel der Wege wird mit dem Auto zurückgelegt , trotzdem haben Autos zwei Drittel des Straßenraums zur Verfügung.

STANDARD: Der Gürtelpool ist ein Reizwort geworden, er hat 160.000 Euro gekostet. Machen die Grünen Politik aus dem Elfenbeinturm?

Hebein: Der Gürtelpool ist ein rot-grünes Projekt in einer Gegend entlang des Gürtels, wo das ganze Jahr über Menschen wohnen. Vor allem jene, die sich keinen Urlaub oder ein Haus am Land leisten können. 15.000-mal wurde der Pool genutzt, 25.000 Menschen waren vor Ort, weil es ein reichhaltiges Kulturangebot gegeben hat. Mir sind Kinder aus der Gegend schon im Bademantel entgegengekommen. Der Pool war ein großer Erfolg, das prognostizierte Verkehrschaos ist ausgeblieben.

STANDARD: Schon bei vergleichsweise kleinen Projekten ist der Aufschrei groß. Immer noch wird um jeden Parkplatz gestritten. Wie wollen Sie jemals die Klimaziele, etwa die Reduktion des CO2-Ausstoßes um 50 Prozent bis 2030, erreichen?

Hebein: Wir müssen. Wir Grünen sind seit zehn Jahren der Taktgeber, dass es in diese Richtung geht. Am Anfang hat es auch geheißen, das 365-Euro-Jahresticket geht nicht. Es wurde ein Erfolg. Die SPÖ zögert in vielen Bereichen. Manchmal ist mein Eindruck, der SPÖ sind Parkplätze noch immer wichtiger als der Klimaschutz. Wir merken es bei der autofreien City. Da liegt ein vernünftiger Vorschlag auf dem Tisch.

STANDARD: Sie haben die Verkehrsberuhigung vor der Wahl versprochen, sich aber nicht durchgesetzt. Wann kommt die autofreie Innenstadt?

Hebein: Der Vorschlag liegt seit Wochen beim Bürgermeister. Er verzögert die Entscheidung offensichtlich nur wegen des Wahlkampfs.

Hebein: "Wir müssen ohne Hickhack durch die Corona-Krise kommen."
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STANDARD: In Verkehrsfragen sind Sie oft auf das Okay der Bezirke angewiesen. Sie unterstützen die Initiative "Platz für Wien", die ein Durchgriffsrecht fordert. Wie soll das aussehen?

Hebein: Wenn ich einen Radweg gestalten möchte, brauche ich das Einverständnis der Bezirke. Wir müssen Strukturen schaffen, die alle Bezirke verpflichten, die Stadtziele mit umzusetzen. Wir diskutieren gerade die Möglichkeit eines Mobilitätsgesetzes nach Berliner Vorbild. Auch die Bezirke müssen die Klimaziele der Stadt mittragen. Wir schaffen die Klimakrise nur gemeinsam.

STANDARD: Bei all diesen Querelen fragt man sich: Will die SPÖ überhaupt noch mit Ihnen?

Hebein: Für Koalitionsexperimente jeglicher Art stehe ich nicht zur Verfügung. Das habe ich klargestellt, der Bürgermeister noch nicht. Er lässt sich offen, ob es in Richtung Rot-Grün oder Rot-Türkis geht. Wir wollen in Wien mit einer progressiven Politik vorangehen und müssen ohne Hickhack durch die Corona-Krise kommen, auch das spricht für eine Koalition mit uns Grünen.

STANDARD: Apropos Corona: Soll Wien die Sperrstunde vorverlegen?

Hebein: Das müssen wir beobachten und die von SPÖ, Grünen und ÖVP beschlossenen Maßnahmen umsetzen und mit einer Stimme sprechen, damit sich die Menschen wieder auskennen. Das Wien-Bashing ist abzulehnen. Auch diese Besserwisserei von Politikern, die zu Virologen werden.

STANDARD: Also nein?

Hebein: Ich finde Corona viel zu ernst und würde es vernünftig finden, wenn wir den Wahlkampf heraushalten würden.

STANDARD: Erst vor ein paar Tagen sind die Inserate online gegangen, dass die Stadt Wien Contact-Tracer sucht. Warum hat man den Sommer nicht genutzt?

Hebein: Wir müssen in Wien besser werden. Besser spät als nie.

STANDARD: Bürgermeister Ludwig sagt, es habe alle überrascht, dass die Zahlen so rasch steigen.

Hebein: Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Jetzt ist wichtig, raschest genügend Personal zu finden. Im Nachhinein weiß man es immer besser.

STANDARD: Was sind Ihre Konsequenzen, sollten die Grünen Platz zwei nicht erreichen?

Hebein: Das überlege ich mir dann. Jetzt will ich die Wählerinnen und Wähler erreichen und ihr Vertrauen gewinnen. (Rosa Winkler-Hermaden, 25.9.2020)