Das Virus selbst tut uns nichts an. Die wochenlange Quarantäne mit Kleinkind, die hat es allerdings in sich.

Foto: Nadja Kupsa

"Sie sind alle drei negativ. Dennoch dürfen Sie bis Montag den aktuellen Standort nicht verlassen. Tut mir leid." Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen. Ich fühle mich wie damals als 15-Jährige, als mir meine Mutter Hausarrest auferlegt hat. Verzweifelt und wütend. Der Mann am anderen Ende der Leitung merkt, wie hart mich die Nachricht trifft. Drei weitere Tage eingesperrt! Er entschuldigt sich noch einmal. Ich schaffe nur noch ein stottriges "Sie können ja nichts dafür".

Zum Zeitpunkt des Telefonats befinde ich mich bereits seit zehn Tagen in Quarantäne –gemeinsam mit Mann und Kind. Der Grund: Unser Dreijähriger wurde positiv auf Sars-CoV-2/Covid-19 getestet. Er hat keine Symptome, im Gegenteil, er strotzt nur so vor Energie. Eigentlich sollten wir die Isolation ja schon vom Lockdown im Frühjahr kennen. Doch diesmal ist es noch anstrengender, den Spagat zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung zu absolvieren. Dazugekommen sind zig Telefonate mit Gesundheitsbehörden, Ämtern und verängstigten Eltern. Zweimal wurden wir alle über einen Rachen-Nasen-Abstrich getestet, dazwischen immer nervenaufreibendes Warten.

Eigenverantwortung

Ich habe lange überlegt, ob ich unsere persönliche Geschichte erzählen soll, ob es überhaupt jemanden interessieren würde. Doch angesichts steigender Fallzahlen in Österreich und der Überforderung der Wiener Gesundheitsbehörden, einen vermeintlich simplen Fall wie den meiner Familie abzuhandeln, habe ich mich doch dazu entschlossen.

Wie es das Virus in unsere Familie geschafft hat, ist schnell erklärt: Die Tochter einer guten Freundin feiert ihren vierten Geburtstag, eingeladen sind zwei befreundete Paare, wir und unser Sohn. Die Kinder spielen miteinander, trinken hier und da vom selben Becher, teilen die Zuckerkette. Keiner denkt an Covid. Doch dann, zwei Tage später, ruft mich die Freundin an: "Meine Tochter hat leichtes Fieber, wirkt matt." Die Hotline 1450 hätte sie bereits angerufen, wann der Test stattfindet, weiß sie nicht. Mein Sohn befindet sich zu diesem Zeitpunkt in der Kinderkrippe. Was soll ich tun? Die Betreuerin kontaktieren? Das Kind sofort nach Hause holen? Uns selbst auch isolieren? Alle verständigen?

Es ist seltsam, dass man selbst nach zig Pressekonferenzen dann doch nicht weiß, wie zu handeln ist. Im Netz lese ich, dass Personen, die einen Erstkontakt zu einer positiv getesteten Person darstellen, für mindestens zehn Tage in häusliche Quarantäne müssen, egal wie der eigene Test ausfällt. Bei mir läuten alle Alarmglocken. Zehn Tage mit Kleinkind in der Wohnung kaserniert zu sein, ohne Ausgang: Das schaffe ich nicht! Ich rufe meinen Mann an, bitte ihn, vom Büro nach Hause zu kommen. Mein Plan: das leerstehende Haus der Schwiegereltern im Burgenland als Zufluchtsort.

Nachdem meine Freundin und ihr Kind auch nach zwei Tagen noch immer nicht von den Gesundheitsbehörden kontaktiert worden sind, sucht sie ein privates Labor auf. Das Ergebnis hat sie wenige Stunden später: Ihre Tochter ist tatsächlich positiv. Sie nicht. Wir sind froh über unsere Landflucht. Meine Freundin erwischt es da weitaus schlimmer: Sie muss für mindestens 14 Tage zu Hause bleiben, als Alleinerzieherin, ohne Garten, ohne Frischluft, ohne Auslauf. Dazu der bürokratische Aufwand, den sie nebenbei zu erledigen hat: Sie schreibt Kontaktlisten, ruft alle einzeln durch. Sie handelt aus Eigenverantwortung – denn auch in den folgenden Tagen kommt das Contact-Tracing nicht auf sie zu. Stattdessen meldet sich jeder ihrer Kontakte selbst unter 1450, lässt sich testen und geht in Quarantäne. Freiwillig. Auch wir.

Astronauten und Sterne

Als ich im Burgenland bei der Corona-Hotline 1450 anrufe, habe ich schon nach dem ersten Klingeln eine nette, kompetente Ansprechperson am Apparat. Am selben Abend werden wir alle drei mit dem Auto zur Drive-in-Teststation in Eisenstadt geschickt. Ich bin nervös. Ein Rachen-Nasen-Abstrich bei meinem Dreijährigen, wie soll das funktionieren? Üben hilft, Vorbereitung ist alles. Ich nehme zwei Wattestäbchen und erzähle ihm die Geschichte von einem Astronauten, der im Weltall einen blauen Glitzerstern verloren hat. Als wir im Auto am Weg zum Drive-in sitzen, ist er sogar voller Vorfreude. Zuerst wird der Abstrich bei Papa und Mama gemacht, der Kleine schaut neugierig zu. Er sitzt bei mir auf der Rückbank am Schoß. Als das Wattestäbchen durch das Autofenster in Richtung seiner Nase fährt, überlegt er es sich dann doch anders. Mist, all das Üben umsonst. Gut, dass der Astronaut einfühlsam und flexibel ist, er bittet ihn stattdessen, den Mund zu öffnen und mit einem gemeinsamen, lauten "Aaaahhhhh" und Zunge raus klappt es dann doch mit dem Abstrich – ganz ohne Tränen.

Zu Hause beginnt das Warten. Das Testergebnis liegt in etwa zwei bis drei Tagen vor, sagt das Rot-Kreuz-Team. Im Endeffekt sind es nur eineinhalb Tage, bis der erste Anruf kommt. Mein Mann und ich sind negativ. Das Testergebnis des Kindes können sie zunächst nicht finden. Es stellt sich heraus: Der Vorname war falsch geschrieben – und unser Sohn ist positiv. Was das für uns bedeutet? Zunächst nicht mehr, als dass wir den Aufenthaltsort nicht verlassen sollen. Abends folgt per Mail ein offizieller Absonderungsbescheid der Eisenstädter Bezirkshauptmannschaft inklusive Folgeanruf, den ich sehr zu schätzen weiß: "Sie sind negativ und ihr Kind positiv. Das heißt aber nicht, dass Sie das Kind jetzt extra isolieren müssen. Vor allem bei so kleinen Kindern ist das nicht gut", sagt die Frau am Telefon. Ich bedanke mich sehr für ihre Worte, denn obwohl mir all das klar ist, gibt es bestimmt Eltern, die das anders verstehen könnten.

Ich erkundige mich, ob ich den Wiener Kindergarten und die Eltern verständigen soll. Das wird verneint. Es müsse alles über eine offizielle Stelle laufen, heißt es, ich solle lieber niemanden kontaktieren. Mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes. Nämlich dass am Wochenende womöglich einige Kinder auf dem Weg zu Oma und Opa sind. Ich breche die Regel und rufe die Kindergartenleiterin an. Es ist für mich nicht leicht, mitzuteilen, dass unser Sohn positiv ist und damit alle Kinder plus Betreuer in Quarantäne müssen. Sie bedankt sich für die rasche Info. Als Nächstes schreibe ich in die Eltern-Whatsapp-Gruppe des Kindergartens. Es folgt eine Nachrichtenflut besorgter Mamas und Papas: "Heißt das, dass wir jetzt nicht mehr raus dürfen?", "Müssen wir 1450 anrufen oder abwarten?", "Können wir uns nicht schnell beim Drive-in testen lassen?", "Wird nun der ganze Kindergarten geschlossen?". Ich nehme mir Zeit, um all die Fragen zu beantworten. Zu groß ist das schlechte Gewissen, dass wegen uns ein ganzer Kindergarten geschlossen werden muss. Die Whatsapp-Nachricht einer Mutter besänftigt mein Gewissen. Sie schickt ein Zitat des deutschen Virologe Christian Drosten: "Niemand ist an irgendetwas schuld angesichts einer Pandemie."

Misskommunikation

Wie verfahren die Situation in Wien ist, zeigt sich, als in den kommenden Tagen die Kindergartenkinder und Eltern getestet werden sollen: tagelanges Warten, bis endlich jemand für den Test kommt, dann um 21 Uhr plötzlich ein Anruf. Zweijährige, die extra geweckt werden müssen, um einen PCR-Test über sich ergehen zu lassen. Danach wieder tagelanges Warten auf das Ergebnis. Fast alle Eltern erzählen im Chat von unterschiedlichen Auskünften. Ja, in Wien könnte echt einiges besser laufen.

Im Burgenland ist das anders. Hier besuchen uns sogar zweimal Polizisten, um zu überprüfen, ob wir die Quarantäne einhalten. Einige Male rufen sie an. Man fühlt sich ein bisschen wie ein Verbrecher, aber die Beamten sind nett, beteuern, dass es nun einmal sein muss.

Nach einer Woche daheim werden wir alle drei noch einmal zum Test gebeten, denn wir sind erstaunlicherweise noch immer symptomfrei. Eine Dame von der Eisenstädter Bezirkshauptmannschaft motiviert uns: "Wenn Sie nun alle drei negativ sind, dann dürfen sie wahrscheinlich aus der Quarantäne raus. Diesmal möchte unser Sohn nur leider gar nichts mehr mit Astronauten oder Wattestäbchen zu tun haben. Das Testen über das Autofenster wird zur Prozedur, aber es klappt, irgendwie.

Irritierend wird es für uns erst, als wir nach über einer Woche in burgenländischer Quarantäne plötzlich doch noch von der Wiener Gesundheitsbehörde hören. Sie schicken uns zum Test. Wie bitte? Ein Scherz? Keiner weiß, dass wir bereits zweimal getestet worden sind, dass längst ein positiver Fall vorliegt. Länderübergreifende Kommunikation? Fehlanzeige. Und es geht weiter: Kurz vor Ablauf unserer Quarantäne wünscht man sich in Wien dann noch eine Contact-Tracing-Liste. Was ein Contact-Tracing nach zehn Tagen noch bringen soll, weiß auch der Anrufer nicht so genau.

Die Freundin in Wien bekam nach wenigen Tagen dann doch noch hohes Fieber und starke Kopfschmerzen. Doch auch der wiederholte Anruf unter 1450 blieb vergeblich. Es kam niemand. Sie ließ sich ein zweites Mal im privaten Labor testen. Das Ergebnis: positiv. Sie wurde bis heute nicht befragt, mit wem sie oder ihre Tochter in Kontakt waren. Auch sie hat alle selbst kontaktiert, die Tests der Erstkontakte blieben – Gott sei Dank – negativ. Dass nun endlich hunderte Personen fürs Contact-Tracing angestellt werden, lässt mich hoffen, dass die Situation ein wenig verbessert wird.

Am Ende gab es zumindest ein Happy End. Unser Sohn entpuppte sich als Anti-Spreader. Er hat niemanden angesteckt. Weder uns noch eines der Kinder. Noch mal alles gutgegangen. Dennoch blicke ich sehr besorgt auf die kalte Jahreszeit. Die Chance, dass sich eines oder gleich mehrere Kinder im Kindergarten meines Sohnes infizieren, ist sehr hoch. Dann heißt es auch für uns wieder Sternchen suchen und "daheim bleiben bitte". (Nadja Kupsa, 25.9.2020)