Gitta Martl wird am 18. April 1946 in Linz geboren. Sie wächst als Tochter des deutsch-österreichischen Ehepaars Rosa und Arthur Schneeberger auf. Beide Eltern haben die nationalsozialistische Verfolgung überlebt, die Mutter das KZ Ravensbrück, der Vater das KZ Sachsenhausen, danach die Todesmärsche.

Nach der Befreiung gehen sie nach Linz, suchen nach überlebenden Verwandten und bleiben da. Die Verwandten finden sie nicht. Beide arbeiten als Marktfahrer. Sie kaufen Stoffe auf Kredit ein und bieten an: von Tür zu Tür, von Hof zu Hof.

Die Familie lässt das Zusammengesparte auch von den Händlern aufbewahren. Es sind jüdische Leute, ebenfalls Überlebende, denen sie vertrauen. Solange Österreich durch die Alliierten besetzt ist, kommt die Familie einigermaßen durch. Das ändert sich später.

Gitta Martl wird, sobald sie in die Schule kommt, eine leidenschaftliche Leserin. Als Heranwachsende meistert sie Goethe und Schiller, liest die griechischen Sagen, "die Klassiker sowieso", sagt sie. Das wichtigste Werk aber wird für sie die Bibel. "Noch immer ist das so", sagt Gitta Martl.

Als Neunjährige kommt sie in Berührung mit den Zeugen Jehovas. Ihre Familie wehrt ab. Gitta Martl wird sich später darüber hinwegsetzen und sich den Zeugen Jehovas anschließen. Nach Abschluss ihrer achtjährigen Schulausbildung will die Sechzehnjährige Malerin und Grafikerin in der Kunstschule werden. Sie wird aufgenommen, aber muss bald schon wieder abbrechen und zu Hause einspringen.

Zerbrochene Träume

Die Eltern trennen sich, und als die Mutter wegzieht, bleibt Gitta bei ihrem Vater, besorgt den Haushalt und kocht für die Geschwister. In dieser Zeit macht sie auch ihren Führerschein. Der Vater kann keinen Gewerbeschein erhalten, das Hausieren wird illegal. Der Führerschein ist eingezogen worden und zeitweilig auch der Ausweis.

Fast 20 Jahre lang ist es dann Gitta, die mit dem Vater durch Österreich tourt. "Ich kenne das Land wie meine Westentasche", sagt sie. Die Bauern tauschen für die Ware häufig Lebensmittel ein: "Fleisch gab es wenig, aber, wenn einer zwanzig, dreißig Hühner hat, das hat ihm nicht wehgetan, dann ein Huhn zu geben." Immer wieder wird der Familie die Ware von Polizisten weggenommen. Einmal gerät der Vater unter falscher Anschuldigung ins Gefängnis, ein befreundeter jüdischer Anwalt wird ihn herausholen. "Wer weiß, ob er sonst jemals herausgekommen wäre", sagt Gitta.

Gitta Martl gründete 1998 mit ihrer Tochter und ihrem Bruder den Verein Ketani für Sinti und Roma in Linz und erinnert in Büchern an das Schicksal ihrer Familie und verfolgter Minderheiten. Das Bild zeigt sie 2010 anlässlich der Verleihung des Demokratiepreises der Margaretha-Lupac-Stiftung für Parlamentarismus und Demokratie.
Foto: Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles/Jacqueline Godany

Mit siebzehn Jahren ist sie verheiratet und wird Mutter eines Kindes, zwei weitere sollten folgen. Sie schlägt sich mit dem Verkauf von Annoncen durch und versorgt ihre Kinder und einen kranken Mann. Als ihr der Chef mitteilt, er könne sie nur noch freiberuflich beschäftigen, weiß sie, dass sie etwas anderes machen muss.

Schwere familiäre Schicksalsschläge folgen. Die Eheleute gehen auseinander. Gitta Martl sagt, dass sie in der Religion ihre Rettung fand. Sie beginnt eine Umschulung zur Köchin, es wird eine Leidenschaft fürs Leben. In Gmunden, in einem Gasthof mit gehobener Küche, wird sie ausgebildet.

"Eine harte Zeit", erinnert sie sich. Auf dem Ausbildungsplan stehen unter anderem Französisch, Englisch, Materialkunde. Sie besteht die Prüfungen und wird Rôtisseurin in einem Haubenlokal. Hier ist sie zuständig für alles, was mit gebratenem Fleisch zu tun hat: rund 30 Essen am Tag und alles à la carte. Das war im "Allegro", dem Lokal, das mit Günter Hager die erste Gault Millau-Haube in Linz bekam, später folgte die zweite.

"Es war eine schwere Arbeit, aber ich liebte sie. Ich stellte das Menü für die ganze Woche zusammen. Wir kochten saisonorientiert: im Winter Ente, Rotkohl, Klöße, und Braten, diese Dinge." Allerdings ist ihr das Heben der Töpfe und Pfannen auf die Gesundheit geschlagen.

"Köche werden nicht alt", sagt Gitta Martl. Sie muss diese Arbeit aufgeben, versucht es noch einmal in einem Kaffeehaus, hier als Alleinköchin für eine einfache Küche, ein Menü. Das Kaffeehaus muss schließen. Wieder eine Umschulung und dann: Außendienstmitarbeiterin bei einer Versicherung. Sie verkauft Rechtsschutzpolizzen – mit Erfolg, sie verdient gut. Dann gibt es eine betriebliche Umorganisation, irgendetwas funktioniert nicht. Gitta Martl kündigt und verkauft ihre Anteile.

Ihre Leidenschaft bleibt das Kochen. Wenn sie sich an ihre Anfänge in der Küche zu Hause erinnert, dann weiß sie noch immer, dass sie für die halbwüchsigen Brüder stundenlang Omeletten herstellte. Wenn die Familie im Wagen fuhr, dann waren die Eintöpfe das Wichtigste. Da blieb keine Zeit für lange Vorbereitungen.

Nicht stehenbleiben

In siebzehn Teile kann man das Suppenhuhn zerlegen, damit jeder ein Stück abbekommt. "Man musste das Huhn abbrennen, flambieren und zuvor mit sehr heißem Wasser übergießen, mehrfach, dann war das Federnrupfen nicht schwierig. Solch ein Huhn konnte man in allen möglichen Variationen zubereiten, mit kleingeschnittenem Weißkohl zum Beispiel, bei der Suppe kann man Reitgerste dazugeben, mit oder ohne Knoblauch."

Als Süßspeise empfiehlt sie: Bachamuasa. "Ein dicker Omelettteig wird in die Pfanne gegeben, zerrissen, immer wieder zerrissen, mit Rosinen oder ohne, dann Zucker dazu oder Apfelmus. Immer sind wir mit der Küche des Landes gegangen, in dem wir leben." Es ist ein einfaches Essen, und es musste viele Leute satt machen. Und es sollte nicht aufwendig sein. Man musste weiter zum nächsten Ort und konnte oft nicht lange stehenbleiben. "Wenn wir irgendwo standen, kamen manchmal Polizisten, und die haben einmal den Eintopf auf der Feuerstelle umgetreten, oder wir mussten beweisen, von welchem Bauern wir das Huhn bekommen hatten. Da standen Gefängnisstrafen darauf, wenn wir das nicht hätten zeigen können."

Über die Küche und Rezepte der Gitta Martl: Chana Dischereit/Daniel Strauß, "Romno Chabpen. Ein Blick in die Küche der Sinti und Roma Europas", € 14,00 / 48 Seiten, Verlag Edition Faust, Franfurt am Main 2020
Foto: Der Standard

Martl kehrt später noch einmal in ihren Beruf als Köchin zurück: diesmal für Jugendliche in Rehabilitation. Sie lernt sie auch an, damit sie sich später selbst versorgen können. Das war nur eine Vertretungsstelle gewesen. Sie setzt erneut auf Weiterbildung, belegt einen Computerkurs und gründet 1998 zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Bruder den Verein Ketani für Sinti und Roma in Linz, dem sie achtzehn Jahre lang verbunden bleiben wird.

Aufschreiben

Erst ab 1995 wurde in Österreich eine Gestezahlung in Höhe von 70.000 Schilling (5.087,10 Euro) an Überlebende nationalsozialistischer Gewalt gewährt. Der Verein führte die Beratung von zahlreichen Sinti- und Roma-Familien durch, wirkte auf den Gesetzgeber ein und half den Betroffenen.

Das Verfahren war derart langwierig, dass die Überlebenden häufig noch währenddessen verstarben. Als Aktivistin begann Gitta Martl zu schreiben. Mit Bleib stark (2019) legte sie neben Uns hat es nicht geben sollen (hrsg. von Ludwig Laher, 2004) erneut ein Zeugnis ihrer Familie vor, auch ein Zeugnis über den Umgang der Behörden mit der verfolgten Minderheit: "Wo sind Ihre Papiere, der Staatsbürgerschaftsnachweis, der Meldezettel und der Heimatberechtigungsschein, Taufschein, wo die Papiere der Eltern, wo, wo, wo?"

Für ihr Engagement für die Angelegenheiten der Sinti und Roma erhielt Gitta Martl zahlreiche Auszeichnungen, den Roma-Literaturpreis des Österreichischen PEN-Clubs 2019 – und jetzt bekommt sie die Kulturmedaille der Stadt Linz. (Esther Dischereit, ALBUM, 27.9.2020)