Paris/Wien – Es mag zwar keine epochale Erkenntnis sein, aber die Corona-Pandemie lässt keinen Stein auf dem anderen. Dominic Thiem weilt seit Mittwoch im Hotspot Paris, am Sonntag beginnen in Roland Garros die French Open. Ein Grand-Slam-Turnier, der Sandplatzklassiker im Tennis. Am Freitag war er auf einer überdimensionalen Leinwand zugeschaltet, die war im Campus der Erste Bank in Wien, also jener Großstadt, die auf der Corona-Ampel orange leuchtet, aufgehängt.

Dominic Thiem trainiert auf der Anlage von Roland Garros. Coach Nicolas Massu schaut ihm auf die Beine.
Foto: imago images/Paul Zimmer

Es galt das Stadthallenturnier zu promoten, das am 24. Oktober startet, Thiem ist Titelverteidiger. Diesen Erfolg würde der 27-Jährige nie und nimmer eintauschen wollen, "ein emotionaler Höhepunkt". Nur der Sieg bei den US Open vor knapp zwei Wochen sei bedeutender, glanzvoller. Eine gegenteilige Behauptung wäre absurd gewesen.

Jetzt sitzt er also in der nächsten Blase ("Bubble"), harrt der Dinge. Aus New York wurde Paris, Gefängnis bliebt Gefängnis. Wobei es eine Hafterleichterung gibt. "Wenn man hier mit dem Auto vom Hotel durch die Stadt auf die Anlage geführt wird, sieht man wenigstens Menschen auf der Straße. Es schaut fast normal aus. In New York wohnten wir auf Long Island, da war niemand." Jammerei und Selbstmitleid seien ihm fremd. "Es ist absolut annehmbar. Wir sind es mittlerweile gewohnt. Es wird keiner gezwungen zu spielen. Das Hotel in Paris ist schön, man kann sich auf der Anlage bewegen."

Nur zwei Begleitpersonen

Die Umstellung von Hartplatz auf Sand sollte kein Problem sein. "Die Plätze sind hervorragend. Für mich ist es wie heimkommen, ich liebe das Rutschen auf dem Sand, so bin ich aufgewachsen." Thiem durfte nur zwei Begleitpersonen mitnehmen, Trainer Nicolas Massu und Alex Stober, den Physiotherapeuten. In New York waren es noch drei, Corona ist eine Reduzierung aufs Wesentliche.

Es ist kalt in Paris, Ende September kommt das vor. Normalerweise wird im Juni gespielt. "2016 hatte es einmal auch nur elf Grad." Die Plätze sind langsamer, die neuen Bälle sowieso. "Davon könnte Novak Djokovic profitieren." Seit dem 13. September 2020, seit dem Fünfsatzerfolg gegen Alexander Zverev in Flushing Meadows, verspürt Thiem eine "innere Lockerheit. Ich bin Grand-Slam-Sieger, das nimmt mir keiner."

Es gibt nur noch eine Steigerungsstufe.
Grafik: APA

In der Hälfte von Nadal

Über sein Auftakt-Los Marin Cilic ist er nicht erfreut. Auf den zwölffachen Champion Rafael Nadal, gegen den er zwei Paris-Finale verlor, könnte er im Halbfinale treffen. "Er ist in meiner Hälfte." Klarstellung: "Ich bin in seiner Hälfte. Er ist der Topfavorit, dann kommt lange nichts." Die Auslosung hätte in Summe "fast nicht schlechter kommen können".

Als "Blockbuster" bezeichnet er das Erstrundenmatch zwischen Dennis Novak und Zverev, Thiem ist mit beiden befreundet. Seine Daumen drücken für Novak.

Kur vor elf Uhr wurde Thiem von der Wiener Leinwand genommen. Die Erste Bank Open waren Thema. Das Feld ist hochkarätig, Thiem ist Nummer eins, Daniil Medwedew, Stefanos Tsitsipas und Matteo Berrettini folgen. Stand der Dinge sind 1500 Zuseher zugelassen. Herwig Straka, Turnierdirektor und Thiem-Manager, will "ein Zeichen setzen", das Ding durchziehen. Notfalls ohne Zuseher.

Eine Wiener Blase mit Charme

Der Hauptsponsor verlängerte um zwei Jahre, die Gemeinde Wien bleibt an Bord. Der Kartenvorverkauf beginnt am 5. Oktober, es gibt Day- und Night-Sessions. Rahmenprogramm ist abgeschafft, Linienrichter werden eingespart. Die Spieler sind abgeschirmt, die Wiener Blase soll aber nicht frei von Charme sein. In Restaurants werden abgetrennte Räume angemietet. Nicht auszuschließen, dass Nadal und/oder Djokovic erscheinen. Straka: "Die Spieler sind hungrig."

Finanziell ist es bitter, wenigstens wurde von der ATP das Preisgeld um 40 Prozent reduziert, 1,4 Millionen statt 2,4. Der Verlust aus Ticket- und VIP-Einnahmen dürfte rund drei Millionen Euro betragen. Thiem sagte noch, "dass ich mich über jeden einzelnen Zuschauer sehr freue". Händeschütteln ist strengstens verboten. In Wien und in Paris. (Christian Hackl, 25.9.2020)