Von Chaos ist die Rede. Warum wurden nicht rechtzeitig Vorbereitungen getroffen, damit der Planet Schule auch bei starkem Infektionsgeschehen möglichst "normal" weiterexistieren kann?

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Wieso sind manche Schulen nicht nur im hygienischen Ausnahmezustand und andere nicht? Und wer hat an der Situation welchen Anteil?

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Was ist schon normal? Lässt sich das messen? Oder ist damit schlicht das gemeint, was wir seit Jahr und Tag gewohnt sind? Dass Heinz Faßmann mit seiner Erwartungshaltung, der Schulbetrieb werde auch in Pandemiezeiten "normal" in den Herbst starten, einen Beitrag zur Theorie des Normalen leisten wollte, ist eher unwahrscheinlich. Dass der Bildungsminister (ÖVP) sein unglücklich gewähltes Eigenschaftswort seit Schulbeginn des Öfteren schon bereut hat, könnte hingegen gut möglich sein. Vielleicht war es auch nur als Motivation gedacht, als Orientierung in die Richtung, in die wir uns alle gerne bewegen wollen. Gekommen ist es jedenfalls anders. Ganz anders.

Unterricht im Freien? Singen mit Maske? Abstand trotz Vollbesetzung? Dass das alles nicht ganz normal sein kann, war klar. Bald darauf fehlten die ersten Kinder und Jugendlichen, die ersten Lehrkräfte. Bereits wenige Tage nach Schulstart kannte mehr oder weniger jeder jemanden, der als K1-Person – wie es so technisch-bürokratisch für Menschen aus der näheren Umgebung einer infizierten Person heißt – in Quarantäne saß. Andere bleiben mit leichtem Schnupfen lieber gleich freiwillig daheim, bevor in der Schule ob einer vermutlich harmlosen Verkühlung Panik ausbricht. Wenn wirklich ein Kind mit dem Virus infiziert ist, müssen mitunter ganze Klassen wieder auf Distance-Learning umstellen. Auch Lehrkräfte fallen reihenweise aus. Mancherorts fragt man sich, wie man den Fachunterricht unter diesen Bedingungen aufrechterhalten soll.

Planet Schule

Von Chaos ist die Rede. Wer trägt Schuld? Warum wurden nicht rechtzeitig Vorbereitungen getroffen, damit der Planet Schule auch bei starkem Infektionsgeschehen möglichst "normal" weiterexistieren kann?

Die Opposition wirft Faßmann mangelhaftes Krisenmanagement vor. Das ist zu kurz gegriffen: Denn oberste Prämisse all seiner Handlungen ist immerhin, die Schulen offen zu halten. Dass er damit innerhalb der ÖVP-Regierungsriege mehr oder weniger allein dasteht, macht die Sache nicht leichter. Also versucht es Faßmann mit der Fischtaktik – Hauptsache durchschlüpfen. Nach außen (in Richtung Eltern) wie nach innen (in Richtung Lehrkräfte) birgt das den Nachteil, dass ihm basierend auf offensichtlichen Unstimmigkeiten im Konzept im schlimmsten Fall Ahnungslosigkeit unterstellt wird. Wie gehen strenge Hygieneregeln mit der fast schon generalisierenden Entwarnung zusammen, dass sich die Übertragung in Schulen in Grenzen halte? Wer soll sich da auskennen? Die eigene Corona-Ampel für den Bildungsbereich muss auch niemand verstehen. Noch dazu ist nicht einmal diese einheitlich geschaltet: Anders als an den fast trotzig gelben Schulen leuchtet etwa das Lamperl an der Pädagogischen Hochschule Wien bereits orange.

Kreative Ideen fehlen. Warum wurden für die höheren Schulen, wo ja genau jene Schülerinnen und Schüler sitzen, deren Beitrag zum Infektionsgeschehen sich kaum von dem der Erwachsenen unterscheidet, keine zusätzlichen Räume angemietet? Kleinere Gruppen, bessere Nachverfolgbarkeit im Ernstfall.

Stattdessen gibt’s Papier ohne Ende. Erst vergangene Woche wurde, basierend auf den Empfehlungen des Gesundheitsressorts, beim Umgang mit Verdachtsfällen wieder gelockert.

Was auch wahr ist: Die Bereitschaft mancher Schulleitungen, das alles auch entsprechend umzusetzen, ist nicht überall gleich groß. Sei es aus Überforderung, sei es, weil man auf das Ministerium ohnehin schon einen Grant hat, sei es, weil man die Reaktion aufgebrachter Eltern fürchtet: Nicht jeder bewahrt hier kühlen Kopf. Dass Klassen auch dann nach Hause geschickt wurden, wenn es keine entsprechende Anweisung der regionalen Gesundheitsbehörde gab, ist eben auch ein Teil dieser Wahrheit.

Andere Direktorinnen und Direktoren wiederum leben nach der Devise: Ich kann meine Arbeit machen und mich fürchten, oder ich kann Verdachtsfälle erst dann zu solchen machen, wenn man wirklich nicht mehr darüber hinwegsehen kann. Denn dass sie in der Akutsituation mehr oder weniger allein bleiben, hat sich unter den Schulen schnell herumgesprochen. Überlastete Telefonleitungen, tage- und oft wochenlanges Warten auf die Tests und deren Befundung – eine Monsteraufgabe, selbst für die Manager unter den Pädagoginnen und Pädagogen. Hinzu kommt: Das Vorgehen der Gesundheitsbehörden ist trotz Vorgaben, die für alle gleich sind, nicht immer einheitlich. Mehr als Einzelwahrnehmungen gibt es dazu bisher nicht. Zur Einordnung: In Deutschland haben die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR gemeinsam recherchiert, wie unterschiedlich einzelne Bundesländer bei der Ermittlung von Kontaktpersonen vorgehen.

Jeder macht Fehler

Vielversprechend sind die mobilen Einsatzteams und die vom Bildungsressort gepushte "Gurgelmethode". Ein erster Eindruck: Die Schulen haben rasch einen Ansprechpartner zur Hand, der Test verläuft unkompliziert – und im Bestfall gibt es schnell Klarheit über die Infektionslage vor Ort. Warum die Maßnahme erst jetzt kommt? Warum nur in einem Bundesland (Wien), und auch da vorerst zeitlich befristet? Sicherheit und Geld sind Teil der Erklärung: Bis das relativ rasch von Wiener Wissenschaftern entwickelte Verfahren zugelassen wurde, hat es gedauert. Will man es flächendeckend ausrollen, braucht das Personal. Nicht nur für den Test selbst, sondern auch in den Laboren – und da schließt sich der Kreis der Verantwortung dann wieder. Kurzbilanz zum Schluss: Keine Institution der Welt arbeitet in einer Ausnahmesituation wie der Corona-Krise fehlerfrei. Kein Minister, keine Behörde, keine Praktikerinnen vor Ort. Zumindest das ist normal. (Karin Riss, 26.9.2020)