Im Sommer wurde Herbert Blomstedt 93 Jahre alt.

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Kein Alkohol, kein Nikotin, kein Fleisch. Herbert Blomstedt lebt gesund, und das schon lange: Im Sommer wurde der freundliche Pastorensohn 93 Jahre alt. Dieser Umstand kommt den Wiener Philharmonikern zugute, entdeckten sie die Qualitäten des Dirigenten doch erst, als dieser schon Mitte 80 war. Seit 2011 musiziert man mit Blomstedt; bis Oktober werden im Musikverein ein Beethoven- und ein Mendelssohn-Programm je viermal gegeben.

Das Konzert am Donnerstagabend im Musikverein mutete wie eine Reise in versunkene Interpretationswelten an. Blomstedt und die Wiener pflegten ein schlichtes, behutsames Erzählen ohne Effekthascherei und Extremismus. Bei Mendelssohns Konzertouvertüre Die Hebriden kräuselte sich bei den ersten Geigen sanft die See, auf der andere Instrumentengruppen melodische Schifffahrt betrieben. Die dynamischen Höhepunkte waren von einer altmodischen, robusten Festigkeit.

Bewusst robust und lustvoll

Auch bei Mendelssohns dritter Symphonie bretterten die Wiener und ihr Lenker Blomstedt wie ein Geländewagen ohne Federung durch die Tutti-Stellen. Bewusst robust und lustvoll. Doch natürlich war in der Schottischen auch Zeit für Poesie und akkurate Tänzchen. Apropos: Beim Kaiser-Walzer von Johann Strauss (Sohn), hätte man sich da und dort mehr Flexibilität gewünscht. Prachtvoll war er trotzdem.

Mendelssohn erkrankte übrigens Anfang der 1830er-Jahre in Paris an der Cholera; in London sollten ihn "viele Leichenwagen auf der Straße – und dennoch Konzerte" erwarten, erfährt man im epidemisch informierten Programmheft.

Applaus für Musik und Seuchenkunde. (sten, 25.9.2020)