Lars Eidinger als SS-Offizier in "Persischstunden", einem schwarzen Schelmenstück im Konzentrationslager.

Foto: Alamodefilm

Der Schüler tritt irgendwann an seinen Lehrer heran, um ein Gedicht zu rezitieren, das erste, das er auf Farsi verfasst hat. Die Szene aus Vadim Perelmans Persischstunden ist an beklemmendem Aberwitz kaum zu überbieten. Denn der Schüler ist ein SS-Offizier in einem Konzentrationslager, sein Lehrer ein dort Internierter und die Sprache gänzlich Fake. Gilles (Nahuel Peréz Biscayart), ein belgischer Jude, der sich als Perser ausgibt, hat sie erfunden, damit seine wahre Identität nicht auffliegt.

Die Szene macht auch die Brillanz von Lars Eidinger deutlich, der den SS-Offizier, der hier sein eifrig eingeübtes Kauderwelsch zum Besten gibt, bemitleidenswert, lächerlich und furchteinflößend zugleich erscheinen lässt. Es ist eine Rolle, die der deutsche Mime mit Präzision auskostet – er weiß seine Wirkung zu dosieren. Das Gespräch mit dem vielbeschäftigten Lars Eidinger – demnächst dreht er an der Seite von Isabelle Huppert – wurde via Zoom geführt.

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STANDARD: Wie nähert man sich einer Figur an, die mitten im Morden in einem Konzentrationslager ausgerechnet Farsi lernen will?

Eidinger: Ich versuche, vermeintliche Bösewichte stets ambivalent darzustellen. Der Trick dabei ist, sich zu fragen, welche Anteile dieser Figuren man selbst in sich trägt. Wo erkenne ich mich wieder? Man muss sich das eingestehen können. Denn man neigt ja eher dazu, solche Charaktere von sich wegzuhalten.

STANDARD: Wäre es überhaupt möglich, eine Figur zu spielen, zu der man keine Verbindung findet?

Eidinger: Es gibt Figuren, bei denen das noch schwerer fiele. Auch bei einem Nazi-Offizier wünschte ich mir, ich hätte damit nichts zu tun. Doch mein Vater ist im Krieg geboren, mein Großvater hat im Krieg gekämpft – es hat unmittelbar mit mir zu tun, und ich empfinde es fast als ein Privileg, mich in der Fiktion dieser Thematik zu stellen.

STANDARD: Dietrich Kuhlbrodt hat in seinem Buch "Nazis immer besser" einmal festgestellt, dass es im deutschen Kino hinsichtlich der Darstellung des Nationalsozialismus eine Tendenz zur Restauration gebe. Hatten Sie je Scheu, einen Nazi zu spielen?

Eidinger: Mittlerweile habe ich viele solcher Rollen abgesagt. Es strengt mich wahnsinnig an, diesem Trauma immer wieder aufs Neue zu begegnen. Früher habe ich nie verstanden, wenn Schauspieler gesagt haben, sie spielen generell keine Nazis mehr. Ich dachte immer, das sind doch die reizvollsten Figuren. Natürlich bin ich mir der Verantwortung bewusst, weil ich weiß, dass Filme den Zuschauer dazu verführen zu glauben, dass sich etwas tatsächlich so zugetragen hat. Sie kommen aus dem Kino, wo sie den Untergang sahen, und glauben, dass sie jetzt wissen, was sich im Führerbunker abgespielt hat.

STANDARD: Das heißt, es interessiert Sie mehr, die Illusion zu brechen?

Eidinger: Wir haben damals als Schüler Schindlers Liste gesehen, da hat mich die Erkenntnis beeindruckt, dass es sich um Menschen wie du und mich gehandelt hat. Mir ist dieses Credo von Brecht sehr wichtig: "Zeigt, dass ihr zeigt" – es geht darum, den Zuschauer ernst zu nehmen und zu sagen, "glotzt nicht so romantisch". Der Zuschauer darf wissen, dass er in einem Film sitzt, und wissen, dass da gespielt wird. Das war ja etwas, was im Nationalsozialismus verlorengegangen ist.

STANDARD: Der Sündenfall des Mediums, der ihm die Selbstreflexivität kostete?

Eidinger: Ja, in dem Sinne, dass Goebbels Propagandamaschine die Inszenierung real erscheinen ließ. Bis heute orientiert sich die Art, wie wir Filme gucken und machen, mehr an der nationalsozialistischen Propaganda als an der Lehre von Brecht. Das Erste, was einem am Filmset gesagt wird, ist: "nicht in die Kamera gucken". Ich denke da immer, warum eigentlich?

Kammerspiel mit parabelhafter Note: Nahuel Peréz Biscayart (li.) und Lars Eidinger in "Persischstunden".
Foto: Alamodefilm

STANDARD: Sie sind ja nicht nur als Schauspieler, sondern auch als DJ und Fotograf umtriebig. Sind das wie das Schauspiel auch Disziplinen, mit denen Sie dem Zuschauer auf direktere Art begegnen wollen?

Eidinger: Ich zucke immer ein wenig zusammen, wenn man mich als DJ bezeichnet. Ich mache das wahnsinnig gerne, aber mit der Bezeichnung DJ tue ich mich schwer.

STANDARD: Warum?

Eidinger: Das hat wohl damit zu tun, dass es in Berlin fast schwerer ist, jemanden zu finden, der nicht noch nebenher Platten auflegt. DJ Lars Eidinger, das klingt wie ein negativer Doktortitel. Bei einem Nachbarn meines Elternhauses stand immer an der Tür: Dr. med. Fußpfl. DJ Lars Eidinger klingt ähnlich. Ich verstehe mich als Künstler oder noch besser, wie es bei Fotoshootings heißt: Talent.

STANDARD: Warum fühlt sich das besser an als Schauspieler?

Eidinger: Es ist ein Irrtum, die Menschen immer über ihren Beruf zu definieren. Mich stört es, wenn Leute mich als "den Schauspieler" sehen. Das ist meine Leidenschaft, aber es schränkt mich ein, wenn man mich nur darüber definiert. Ich will mich auch in anderen Bereichen ausdrücken können.

STANDARD: Sie kämpfen gegen die Auffassung, dass man nur in einer Sache als Experte gelten kann – und sonst schnell als Dilettant erscheint?

Eidinger: Bei der Musik trifft das bestimmt zu. Als DJ galt ich eher als Dilettant. Ich mache das allerdings, seit ich zwölf Jahre alt bin. Ich lege länger Platten auf, als ich als Schauspieler Geld verdiene. 1998 habe ich meine eigene Schallplatte bei !K7 veröffentlicht. Es scheint aber so zu sein, dass einem die Leute das nicht zugestehen. Im Oktober erscheint ein Fotoband von mir bei Hatje Cantz. Das war immer ein Lebenstraum von mir. Das hat vielleicht auch einen dilettantischen Ansatz, aber ich denke, in solchen Zugängen steckt oft mehr Genie. Ich wundere mich immer über Leute, die vor einem Cy Twombly stehen und sagen: "Das kann ich auch." Auf die Frage "Ist das Kunst, oder kann das weg?", kann ich nur antworten: "Das ist Kunst, und das ist der Weg."

STANDARD: Auf der Berlinale haben Sie sich bei der Pressekonferenz emotional über Deutschland geäußert. Die Gesellschaft sei vergiftet, was Hass und Missgunst anbelangt. Hat sich an dieser Diagnose etwas geändert?

Eidinger: Wenn mich etwas zu Tränen rührt, dann die Tatsache, dass sich nichts ändern wird. Ich habe mich auf einen Text von Stefan Zweig bezogen, in dem es um die moralische Entgiftung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg geht. Zweig sagte, es müsste ein Medium geben, das in alle Sprachen übersetzt wird und sich der Liebe verschreibt. Ich habe gesagt, dass wir dieses Medium ja heute haben, das Internet, aber es wird für Missgunst und Hass genutzt. Das ändert sich auch nicht, und das ist etwas, was ich tragisch finde. Dass der Mensch etwas zutiefst Destruktives, Selbstzerstörerisches an sich hat.

STANDARD: Für eine Theaterfigur, die geläutert wird, den Jedermann, sind Sie bei den Salzburger Festspielen als möglicher Nachfolger in Gespräch. Hat man Sie schon gefragt?

Eidinger: Nein.

STANDARD: Hätten Sie Interesse?

Eidinger: Ich habe ihn damals mit Nicholas Ofczarek gesehen – das fand ich eindrucksvoll. Vor dem Hintergrund, wer da aller gespielt hat, sei es Gert Voss oder Alexander Moissi – natürlich würden es mich reizen, sich da einreihen zu dürfen. (Dominik Kamalzadeh, 26.9.2020)