Die Klangskulptur "Concert for Anarchy" von Rebecca Horn rumpelt im Kunsthistorischen Museum zu Ehren Ludwig van Beethovens.

Bildrecht Wien

Schon allein William Turners Aquarelle lohnen den Besuch der assoziativen Schau, darunter "Fire at the Grand Storehouse of the Tower of London" von 1841.

Foto: Tate

Der Flügel hängt kopfüber von der Decke. Plötzlich öffnet sich das Instrument mit einem lauten Rumms, und seine Klaviatur stürzt aus der Verankerung. Die Tasten hängen nun wie Innereien heraus. Nach einiger Zeit zieht das Klavier seine schwarz-weißen Organe wieder ein – jedoch nur, um sie neuerlich auszuspeien.

Als Concert for Anarchy betitelte Rebecca Horn ihre Klangskulptur, die nun für Krach in der Ausstellung Beethoven bewegt im Kunsthistorischen Museum (KHM) sorgt. Missklänge begleiteten auch die Vorbereitung dieser Jubiläumsschau, die anlässlich von Beethovens 250. Geburtstag am 17. Dezember stattfindet. Kam doch die Idee – oder besser die Weisung – zur Schau 2019 vom designierten KHM-Direktor Eike Schmidt, der das Haus letzten Herbst hätte übernehmen sollen. Einwände, dass nur ein Jahr Vorlauf für das Projekt zu knapp wäre und dass die Sammlungen des Kunsthistorischen Museums nicht in Beethovens Epoche reichten, scherten den Chef der Uffizien wenig.

Als Schmidt dann einen Monat vor seinem Antritt überraschend absagte, weil sein Job in Florenz doch verlängert wurde, waren die Leihverträge bereits unterzeichnet. Zum Glück, muss man heute sagen, denn die große Schau zu Tizian musste Wieder-Direktorin Sabine Haag auf 2021 verschieben, und bei einer Absage von Beethoven bewegt stünde das KHM diesen Herbst ganz ohne Sonderausstellung da.

Aber ist Beethoven der richtige Teaser für das Altmeisterhaus, das durch Corona mit 75 Prozent Besucherrückgang kämpft? Ja und nein. Die Schau lockt Musikliebhaber mit raren Autografen wie der Waldsteinsonate und Fans zeitgenössischer Kunst mit einer neuen Performance des gehypten Künstlers Tino Seghal.

Stimmung und Erlebnis

Die bildungsbürgerliche Latte liegt indes hoch; bewusst taucht das Gesicht des deutschen Meisters in der Schau nirgends auf. Wer von dem Komponisten wenig weiß, sollte wohl zuvor zum Crashkurs in die aktuelle Schau Beethoven. Menschenwelt und Götterfunken der Österreichischen Nationalbibliothek.

Die vier Kuratoren setzen auf Stimmung und wollen Erlebnisse bieten. Dabei greift ihnen die Ausstellungsgestaltung des Amsterdamer Designerbüros Tom Postma sehr unter die Arme. Im ersten Saal ziehen umlaufende weiße Stoffbahnen die Blicke nach oben, wohin auch Auguste Rodins Jünglingsskulptur von 1877 deutet. An die Gewebe moderner Notationen er innern die Grafiken der Künstle rin Jorinde Voigt zu Beethovens 32 Sonaten.

Im nächsten Saal ist das Licht gedämpft, dort werden die Leiden des Klassikers evoziert. Im Zentrum steht der gerettete Parkettboden aus Beethovens Sterbezimmer, der einer minimalistischen Installation gleicht – eine gewagte Inszenierung, die aber zusammen mit Fotografien aus des Komponisten letzter Wohnung gut funktioniert.

Hitlergruß, Heroismus und Naturliebe

Beethovens Qualen sollen Francisco de Goyas albtraumhafte Grafikserie Los Caprichos entsprechen; schließlich wurde auch der spanische Maler taub. Ein dunkles Kapitel wird mit einem übermalten Foto von Anselm Kiefer angetippt, das einen Mann beim Hitlergruß zeigt. Der Führer liebte Beethoven, die Nazipropaganda beutete seine Musik aus.

In der Frühromantik paarten sich Heroismus und Naturliebe auf eine Weise, die auch Beethoven prägte. Schon allein die sieben Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich und William Turners Aquarelle lohnen den Besuch der assoziativen Schau. Beeindruckend auch das Video, in dem Guido van der Werve vor einem Eisbrecher über das Polarmeer geht.

Im letzten Satz eine Hommage: Tino Sehgals Performance This Joy lässt Beethoven hochleben, indem der Künstler sechs seiner bekanntesten Stücke mit Körperpartien verknüpft. Seine Performerinnen und Performer summen, singen, zucken und wippen. Sie verleihen der klassischen Symphonie einen neuen Drive. (Nicole Scheyerer, 26.9.2020)