Michael Ludwig ist Wiens Bürgermeister und wird es aller Voraussicht auch bleiben. Auch, weil der rote Spitzenkandidat keinen Herausforderer hat, der ihm gefährlich werden könnte. Zu früh will sich der SPÖ-Spitzenkandidat vor der Wien-Wahl am 11. Oktober aber nicht freuen. Schließlich sei ob der aktuellen Gesundheitskrise unsicher, wer überhaupt zur Wahl geht.

Michael Ludwig ist SPÖ-Spitzenkandidat in Wien...
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Ihre grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein sagt: "Der nächste Bürgermeister heißt Michael Ludwig." Warum machen Sie überhaupt Wahlkampf?

Ludwig: Die Wahl wird von den Wienerinnen und Wienern entschieden und nicht von den Meinungsforschern. Daher ist noch gar nichts fix. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass nichts sicher ist. In Wiener Neustadt haben sich fünf Parteien inklusive Grünen und FPÖ gefunden, um einen roten Bürgermeister mit mehr als 40 Prozent zu verhindern.

STANDARD: Eine Dirndl-Koalition aus ÖVP, Grünen und Neos wird jedoch schon rein rechnerisch schwierig.

Ludwig: Ich hoffe es. Es wird so viele Wahlkartenwähler wie noch nie geben. Ein Unsicherheitsfaktor ist daher, wer überhaupt zur Wahl geht.

STANDARD: Hebein hat eine Dirndl-Koalition bereits ausgeschlossen. Glauben Sie ihr nicht?

Ludwig: Werner Kogler hat eine Koalition mit den Türkisen ausgeschlossen und ist jetzt grüner Vizekanzler. Ich bin gut-, aber nicht leichtgläubig.

STANDARD: Sie werden nach der Wahl einen Partner suchen müssen. Wen bevorzugen Sie?

Ludwig: Das wird man sehen. Die Entscheidung, wer Bürgermeister wird, wird endgültig bei einer geheimen Abstimmung der 100 Mitglieder des Gemeinderats beschlossen.

STANDARD:Sie haben in den vergangenen Wochen mit den Grünen über viele Verkehrsthemen gestritten, etwa über die verkehrsberuhigte Innenstadt. Können Sie inhaltlich noch miteinander?

Ludwig: Ich hab nicht mit ihnen gestritten. Ich bin dafür, dass man die Dinge, die man ankündigt, auch umsetzt. Wenn man Überschriften propagiert, von denen man weiß, dass es so nicht eintritt, wie die autofreie Innenstadt, dann ist es mir wichtig, das in eine realistischere Perspektive zu bringen. Ich habe viele Gespräche mit Menschen aus dem Bezirk geführt. Alle wollen eine Verkehrsberuhigung. Die Frage ist: wie? Das kann ich noch nicht erkennen. Die Vizebürgermeisterin hat einen etwas ungewöhnlichen Weg gewählt. Sie hat in einer Pressekonferenz – da sind wir ja wieder beim Dirndl mit der ÖVP und den Neos – ein Projekt präsentiert, das nicht einmal innerhalb des Magistrats geprüft wurde.

STANDARD: Wen sehen Sie als Ihren schärfsten direkten Gegner im Wahlkampf?

Ludwig: Ich habe keinen Gegner in der Politik, nur Mitbewerber. Ich glaube, dass die Wiener kein parteipolitisches Hickhack wollen, sondern Lösungen. Darum habe ich in der schwierigen Phase auch die Bundesregierung nicht kritisiert, obwohl es etliche Möglichkeiten gegeben hätte. Dass diese Sichtweise, die Wien dem Bund entgegengebracht hat, nicht immer mit derselben positiven Emotion zurückgekommen ist, bedaure ich sehr.

STANDARD: Glaubt man Meinungsforschern, kommen Krisen wie die aktuelle Pandemie Regierenden zugute.

Ludwig: Aber gerade jetzt versuchen die Mitglieder der Bundesregierung doch, alle Kritik nach Wien zu richten.

... Im Bund stehe die Rolle der Spitzenkandidatin "prinzipiell" der Bundesvorsitzenden zu.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Teile der Bundesregierung kritisieren, dass in Wien die Corona-Krise aus dem Ruder laufe. Sie nennen das Wien-Bashing. Wo bleibt die Selbstkritik? Haben Sie immer alles richtig gemacht?

Ludwig: Man kann immer alles besser machen. Das Coronavirus hat uns vor eine völlig neue Situation gestellt. Nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch, was die Auswirkungen auf Wirtschaft, Arbeitsmarkt und das Bildungssystem betrifft. Das gilt nicht nur für die Wien, da würde man auch das eine oder andere bei der Bundesregierung finden. Im Vergleich mit anderen Millionenstädten sind wir bis dato gut durch die Krise gekommen. Weil wir auch sehr zeitgerecht Maßnahmen gesetzt haben – ebenfalls im Unterschied zu anderen Bundesländern. Wir haben als erste Zugangsbeschränkungen in Spitälern und Pensionistenwohnheimen eingeführt. Aber ja, man kann durchaus einiges besser machen.

STANDARD: Was wäre das?

Ludwig: Etwa die Zeiten vom Test bis zum Bescheid, wir wissen, dass wir da noch schneller werden müssen.

STANDARD: Das Problem ist schon länger bekannt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bietet seit langem seine Hilfe an. Hätte man dadurch die Wartezeiten nicht verkürzen können?

Ludwig: Die Angebote von Minister Nehammer sind nicht nur zynisch, sondern auch sehr durchschaubar. Wen hätte er angeboten? Er hat alle Hände voll damit zu tun, seinen Stand an Polizisten aufrechtzuerhalten. Es muss das Bundesheer ausrücken, um die Bewachung der Botschaften zu übernehmen, weil die Polizei personell dazu derzeit offenbar nicht in der Lage ist. Seit geraumer Zeit fordere ich mehr Polizeibeamte in Wien. Der Minister hätte viel zu tun, bevor er Wien Angebote macht, die er nicht einhalten kann.

STANDARD: Es ist keine Überraschung, dass es im Herbst mehr Fälle gibt. Hätten Sie nicht früher handeln müssen?

Ludwig: Wir waren nicht untätig, haben über den Sommer 120 neue Arztstellen geschaffen, 120 Personen im Pflegebereich zusätzlich eingestellt und rund 200 Personen im administrativen Bereich. Als die Zahlen schneller gestiegen sind, als von allen Experten angenommen wurde, haben wir mit dem Personalpaket rasch 1000 zusätzliche Stellen geschaffen.

STANDARD: Werden Sie die Einhaltung der Quarantäne künftig strenger kontrollieren?

Ludwig: Wir kontrollieren streng. In Einzelfällen auch in Kooperation mit der Polizei. In den meisten Fällen hält man sich daran.

STANDARD: Welches sind die strengsten Maßnahmen, die Sie in Wien bei weiter steigenden Zahlen setzen würden? Ein Lockdown?

Ludwig: Es ist in der jetzigen Situation nicht notwendig, dass es einen Wettlauf gibt, wer die schärfsten Bedingungen auf den Tisch bringt. Es geht darum, seriös und ruhig der Bevölkerung zu vermitteln, welchen Weg wir beschreiten.

STANDARD: Eltern waren im Lockdown ob der Schulschließungen gefordert. Die Stadt plant, die Schulen offen zu halten, garantieren Sie das?

Ludwig: Was kann man in der jetzigen Situation garantieren? Es ist unser Ziel. In Wien ist mit dem kostenfreien Kindergarten und der Gratis-Ganztagsschule die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesichert. Die meisten Frauen können Vollzeit arbeiten. Neben den beruflichen Auswirkungen von Homeoffice und Homeschooling sehe ich mit Sorge einen konservativ-reaktionären Backlash. Nach dem Motto: "Jetzt können die Frauen wieder daheim bleiben, dort arbeiten und sich um die Kinder kümmern und den Haushalt führen." Ich habe darum auch auf Rahmenbedingungen fürs Homeoffice gedrängt. Dass Ministerin Aschbacher jetzt Regelungen für März ankündigt, scheint mir schon ein bisschen lange hin.

STANDARD: Haben Sie vorgesorgt für den Fall, dass Standorte geschlossen werden müssen? Gibt es Ersatzflächen, um Klassen zu verlegen?

Ludwig: Wir haben an manchen Schulen, wie den sechs Bildungscampus-Standorten, die Möglichkeit, an anderen nicht. Für alle Schulstandorte in Wien kann man das nicht lösen, aber ich gehe nicht davon aus, dass sich das Virus so gravierend verbreitet.

Ludwig: "Neben den beruflichen Auswirkungen von Homeoffice und Homeschooling sehe ich mit Sorge einen konservativ-reaktionären Backlash."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Im Oktober startet die Gratis-Impfaktion, viele Termine sind ausgebucht. Der Impfstoff ist in vielen Apotheken vergriffen. Wird jeder, der will, geimpft werden können?

Ludwig: Die Grippeimpfung ist heuer besonders wichtig. Wir haben sehr viel Impfstoff angekauft, damit wir die Impfquote verdreifachen können.

STANDARD: Die Bundes-SPÖ ist in Umfragen weiter auf Talfahrt. Woran liegt das? Vor allem an der Parteichefin?

Ludwig: In Wien sind wir in der Regierung, haben die Möglichkeit, zu zeigen, was wir können. Die Bundespartei ist in der Opposition, was für eine staatstragende Partei wie die SPÖ eine völlig neue Situation ist. Daher hat es Pamela Rendi-Wagner sicher nicht leicht. Aber sie hat ein sehr eigenständiges Profil entwickelt. Und ich habe schon in der Vergangenheit hinreichend bewiesen, dass ich sie sehr unterstütze.

STANDARD: Ist sie die Spitzenkandidatin für die nächste Nationalratswahl?

Ludwig: Prinzipiell ja. Als Parteivorsitzende hat man das Recht, als Spitzenkandidatin anzutreten. Jetzt zu spekulieren, wer in vier Jahren kandidieren wird, fordert man nur von der SPÖ. Wird Kogler Spitzenkandidat der Grünen sein? Ich würde mich nicht einmal zu sagen trauen, dass Sebastian Kurz ÖVP-Kandidat wird.

STANDARD: Ihre Vision von Wien in 20 Jahren?

Ludwig: Dass Wien auch in Zukunft eine leistbare, moderne und weltoffene Metropole bleibt und die Hauptstadt des sozialen Zusammenhalts. (Oona Kroisleitner, Petra Stuiber, 26.9.2020)