Reihen des ATP-Synthase Enzyms, wie sie sich auf den Furchen der Mitochondrienmembranen bilden würden. ATP, ADP und Lipide sind in leuchtenden Farben dargestellt.

Illustr.: Gergely Pinke / IST Austria

Klosterneuburg – Die Atmungskette in den Kraftwerken der Zellen verschafft Menschen und anderen Lebewesen den Energieträger Adenosintriphosphat, kurz ATP. Wie die Rohenergie aufgestaut und schließlich mit der kleinsten Turbine der Welt ATP hergestellt wird, war bisher unklar. Klosterneuburger Forscher enthüllten nun die Struktur des ersten und letzten Atmungsketten-Gliedes und lösten dieses Rätsel. Die Studien dazu erschienen in den Fachzeitschriften "Science" und "Nature Structural and Molecular Biology".

Leonid Sazanov vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg interessiert sich für "die molekularen Maschinen, die wichtig für das Leben sind, und etwas ungewöhnliche Mechanismen haben", erklärte er. Solche gibt es zum Beispiel in der "Atmungskette". Sie besteht aus einer Reihe von Maschinen in der Membran der Zellkraftwerke (Mitochondrien), die Anlage (Complex) I, II, III, IV und V genannt werden. "Die Strukturen der Anlagen II, III und IV kennt man seit einigen Jahren und man weiß auch, wie sie funktionieren, deshalb haben wir uns mit den anderen beiden befasst", so der Forscher.

"Staumauer" hält Protonen zurück

Am wenigsten wusste man über Anlage I. Mit Kollegen hat er zunächst bei Bakterien, dann bei Säugetieren die Struktur dieser molekularen Maschine aufgeklärt. Sie ist dafür zuständig, dass positiv geladene Teilchen, also Protonen, in den Innenraum der Mitochondrien gebracht und von der Membran zurückgehalten werden, so wie Wasser von der Mauer eines Staukraftwerks.

"Ihr Mechanismus war aber vor unserer aktuellen Studie ein Mysterium", sagte Sazanov. Dieses hat er nun mit seinem Team aufgelöst: Zunächst muss sich eine Spirale (Helix) drehen, dadurch wird eine chemische Reaktion ermöglicht, die wiederum eine elektrostatische Welle auslöst, mithilfe derer Protonen transportiert werden.

Kleinste Turbine der Welt

Am Ende der Atmungskette werden die aufgestauten Protonen zur kleinsten Turbine der Welt namens "Anlage V" vulgo F1F0-ATP-Synthase geleitet und treiben sie an. Ein ringförmiges Turbinenrad wird auf der einen Seite der Membran, die als Staumauer fungiert, mit einem Proton besetzt, dreht sich, und spuckt es auf der anderen Seite wieder aus, fand Sazanov mit Kollegen heraus. Dieser Ring ist mit einem Schaft verbunden und seine Rotation erzeugt den chemischen Energiespeicher ATP, der die Energie für unzählige, lebenswichtige Prozesse liefert.

Diese neu entdeckte Struktur wirft Licht auf eine Kontroverse in der Biologie: wie und wo sich die sogenannte Permeabilitäts-Übergangspore öffnet. Diese Pore steht in Verbindung mit Zelltod und öffnet sich beispielweise während Schlaganfällen oder Herzinfarkten. Bisher war bekannt, dass sich die Pore als Antwort auf hohe Kalziumkonzentrationen in Mitochondrien bildet. Aber die genaue Lage der Pore blieb unbekannt. Jetzt, mit der vollständig gelösten Struktur von F1Fo, können Sazanov und seine Gruppe beschreiben, wie sich die Pore in der F1Fo-ATP Synthase bildet: Wenn Kalzium an die F1-Domäne bindet, ändert sich die Konformation der Domäne.

Irreversible Pore

Der Komplex muss sich dieser Veränderung anpassen und zieht dabei am "Hakenapparat". Dieser Apparat wiederum zieht den Lipid-Stöpsel aus der Unterseite von Fo, was die Porenöffnung einleitet. "Wenn die Pore über einen längeren Zeitraum offen ist, wird der c-Ring destabilisiert und die Porenbildung wird irreversibel", erklärt Sazanov. "Dieses Model stimmt mit allen verfügbaren Daten von Mutanten überein. Um völlig sicher zu sein, dass sich die Permeabilitäts-Übergangspore auf diese Weise bildet, müsste man die Struktur der ATP-Synthase während der kalziuminduzierten Übergänge lösen, was wir jetzt tun." (red, APA, 25.9.2020)