Freunderlwirtschaft, Vitamin B, Klientelismus, Protektion oder Patronage: Das Ibiza-Video und der U-Ausschuss führen uns vor Augen, dass auch in modernen Industriestaaten wie Österreich persönliche Beziehungen und Loyalität bei der Besetzung von Top-Jobs ein wichtiger Faktor sind. In ärmeren Ländern würde diese Erkenntnis wenige überraschen. Doch ist das etwas Schlechtes, das der wirtschaftlichen Entwicklung schadet? Erstaunlicherweise gibt es darauf keine klare Antwort. Vielmehr können die positiven Effekte durchaus überwiegen, wie eine neue ökonomische Studie belegt.

Kampf oder Flucht

Beginnen wir mit einem dramatischen Beispiel, das wir später verallgemeinern können: Im 18. und 19. Jahrhundert dominierte die britische Royal Navy die Weltmeere. Eine neue, noch nicht publizierte Studie von Hans-Joachim Voth (Universität Zürich) und Guo Xu (University of California Berkeley) belegt, dass es nicht unbedingt die technische Überlegenheit der Briten war, die das ermöglichte. Spätestens im Britisch-Amerikanischen Krieg (1812–1814) bauten die Amerikaner bereits größere und besser bewaffnete Schiffe. Neben der einzigartigen Logistik der Briten, die es ermöglichte, Schiffe weltweit nachzurüsten, lösten die Briten vor allem ein Problem, das in der Ökonomie ein wichtiger Begriff ist: das Prinzipal-Agenten-Problem.

Nehmen wir an, im 18. Jahrhundert treffen zwei feindlich gesinnte Schiffe zufällig auf hoher See aufeinander. Der Kapitän muss sich entscheiden. Er kann angreifen (wie es sein Auftrag wäre) oder abdrehen und sein Leben und das der Mannschaft nicht riskieren. London würde nie davon erfahren, denn der Gegner wird ebenso froh sein, sicher davongekommen zu sein. Die Mannschaft wäre ebenfalls dankbar. Was würden Sie tun? Ein paar gefährliche Jahre noch auf hoher See und dann winkt vielleicht ein ruhigerer Job in einer schönen Hafenstadt. Wenig überraschend drückten sich die Kapitäne vor unnötigen Gefechten, wo das möglich war. London löste das Problem mit Preisgeldern für versenkte und erbeutete Schiffe und mit einem klugen Beförderungssystem für Kapitäne, das – richtig geraten – auf Patronage, also Günstlingswirtschaft, basierte.

Günstlinge auf hoher See

Für uns Österreicher, die von Ibiza und protegierten Günstlingen die Nase voll haben, mag es überraschend klingen, doch die Besetzung von Kapitänsposten mit Günstlingen von Admirälen in London (hier Verwandte etwa des ersten, zweiten, dritten Grades und so weiter bis zum 16. Verwandtschaftsgrad) verbesserte die Leistung der protegierten Kapitäne gegenüber den Kapitänen, die ohne Beziehungen befördert worden waren. Die beiden Studienautoren berechnen die Effekte für die Royal Navy in der Periode zwischen 1690 und 1849. Am schönsten zeigen sich diese in den oben beschriebenen Einzelkämpfen, weil es bei größeren Seeschlachten ohnehin unmöglich war, sich unbemerkt davonzustehlen.

Die Daten zeigen einen positiven Effekt von Patronage: In Einzelgefechten siegen protegierte Kapitäne häufiger und nehmen höhere Risiken auf sich. Selbst bei vierfacher Überlegenheit des gegnerischen Schiffes (gemessen an der Anzahl der Kanonen) gewinnen sie mit einer 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit. Nicht protegierte Kapitäne gewinnen hier nur in einem von vier Fällen. Kann es sein, dass Kapitäne mit Vitamin B einfach besser ausgebildet sind? Immerhin kommen sie aus guten Familien und haben sicher eine gute Erziehung genossen. Die Autoren vergleichen Ausbildung und Herkunft der Kapitäne und finden, dass dem nicht so ist. Außerdem wechselten Admiräle in London häufig, sodass auch protegierte Kapitäne immer wieder ihre guten Beziehungen nach London verloren. Solchermaßen ihrer Protektion beraubt, kämpften und siegten sie wieder wie Kapitäne ohne Protektion. Ein dauerhafter Herkunftsbonus ist also nicht nachweisbar.

Auf den Schiffen der Royal Navy tummelten sich einige Verwandte ranghoher Admiräle.
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Anreize und Vertrauen

Was steckt dahinter? Die beiden Studienautoren müssen hier mutmaßen. Zum einen hatten die protegierten Kapitäne alle Anreize zu gewinnen, solange ihr Protektor in London in Amt und Würden saß und sie rasch weiterbefördern konnte. Zum anderen bekamen sie bessere Mannschaften, neuere Schiffe und mehr Entscheidungsfreiheiten relativ zu nicht protegierten Kapitänen. Zuletzt kannten die Admiräle in London die Fähigkeiten ihre Verwandten wahrscheinlich besser als die von unbekannten Kandidaten und konnten die nicht so fähigen Verwandten frühzeitig "aussortieren".

Tatsächlich sind es zweierlei Informationsprobleme, die hier zum Tragen kommen. Der Auftraggeber (hier die Admiralität in London) kann im Vorhinein die Tapferkeit und das Können eines zukünftigen Kapitäns schwer einschätzen. Hier helfen Information von Verwandten, deren Aussage man hoffentlich trauen kann. Wir kennen das aus dem Alltag, wenn wir etwa Verwandte oder Freunde fragen, wer einen guten Zahnarzt kennt. Das Prinzipal-Agenten-Problem entsteht nach der Bestellung zum Kapitän. Es ist ebenfalls ein Informationsproblem. Einmal auf hoher See, kann die Admiralität in London (hier der Prinzipal) die Leistung ihrer Kapitäne kaum noch überwachen. Das schafft Anreize für den Agenten (hier der Kapitän), seinen Arbeitsauftrag etwas großzügiger auszulegen und nicht anzugreifen, auch wenn man gewinnen könnte. Die Aussicht auf eine baldige Beförderung, solange der Herr Onkel noch Admiral in London ist, könnte tatsächlich ein Anreiz gewesen sein, Kopf und Kragen für das Empire zu riskieren.

Vom Schiff in die Politik?

Können wir solche Lösungen des Prinzipal-Agenten-Problems einfach ins 21. Jahrhundert übertragen? Vielleicht sind auch die Handlungen unserer Politikerinnen und Politiker schwer zu überwachen und wir tun gut daran, Günstlinge zu befördern? Die Antwort wird wohl Nein lauten. Zunächst waren selbst in der Hochblüte der britischen Seefahrt nur 20 Prozent aller Kapitäne solche, die durch Protektion befördert wurden. Wie hoch könnte der Anteil bei den Besetzungen von Ämtern durch Protektion in Österreich heute sein?

Zum anderen beendete die britische Navy die Besetzung durch Protektion, sobald eine bessere und direktere Überwachung der Schiffe technisch möglich war. Dasselbe gilt für die Vergabe von Feldherrenposten, wichtigen Ämtern und so weiter. Der Ökonom Douglas Allen beschreibt dies ausführlich in seinem Buch "The Institutional Revolution".¹ Postenbesetzungen durch Patronage wurden abgeschafft, sobald die technischen Möglichkeiten einer direkten Kontrolle des Agenten durch den Prinzipal vorhanden waren. Im einem reichen Land wie Österreich, das im digitalen Zeitalter angekommen ist, kommt es laut Allen eher darauf an, die notwendigen Spielregeln und gesetzlichen Strukturen zu schaffen, um die vorhandene Technologie auch tatsächlich zur Kontrolle von Beamten und Entscheidungsträgern einzusetzen. (Valentin Seidler, 29.9.2020)

Valentin Seidler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Makroökonomie der WU Wien. Nach der Promotion im Jahr 2011 folgten Forschungsaufenthalte in Princeton, Warwick und Groningen. Von 2002 bis 2011 arbeitete Seidler für das Rote Kreuz in Osteuropa, Afrika, Asien und in Brüssel.
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