Großalarm im Körper – doch wie genau läuft das ab?

Foto: Logan Cyrus / AFP

Wenn sich Hautzellen zu einer Wund aufmachen sollen, um diese zu schließen, wird ihnen von zwei zeitversetzten Wellen der Weg gewiesen. Aus dem Zeitunterschied zwischen den beiden Wellen können die Zellen die Richtung zur Wunde erkennen, berichtet ein Team österreichischer und japanischer Forscher im Fachmagazin "Nature Physics".

Das Team um Edouard Hannezo vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg erstellte ein mathematisches Modell, um zu klären, was in einer Schicht von Zellen vonstattengeht, wenn es in ihrer Umgebung zu einer Verletzung kommt. Solche Zellen können ein Drücken und Ziehen von Nachbarzellen wahrnehmen und reagieren auf Veränderungen durch Änderung der Aktivitäten ihrer Proteine.

Der Mechanismus

"Das Zusammenspiel von Zellbewegung, Wahrnehmung der Umgebung und Eiweißstoff-Aktivierung in den Zellen führt zu gekoppelten mechanischen und chemischen Wellen, in denen die Information über ihre Richtung kodiert ist", so die Forscher. Die mechanische Welle drückt die Zellen in manchen Bereichen dichter aneinander und in anderen Bereichen sind sie weniger nahe beisammen. Durch diese Welle werden Zellen von ihren Nachbarn geschoben und gezogen und bewegen sich hin und her, ohne sich insgesamt fortzubewegen.

"Eine Zelle hat bei der Dichtewelle keine Möglichkeit, die Richtung zu erkennen, aus der die Welle kommt, und daher auch keine Information über den Ort einer Wunde", so die Forscher. Zeitversetzt werden die Zellen aber von einer zweiten, chemischen Welle erfasst, in der ihre Eiweißstoffe aktiviert werden. Diese treffe die Zelle etwas nach der Dichtewelle aufgrund der Verzögerung, welche die Proteine zur Aktivierung brauchen.

Die Proteinaktivität steuert die Geschwindigkeit, mit der sich die Zellen bewegen: schnell, wenn sie in Richtung der Wunde gezogen werden, und langsam, wenn sie weggeschoben werden. Dadurch bewegen sie sich insgesamt auf die Wunde zu. Die beiden Wellen verstärken einander: Die chemische Welle in Form von Protein-Aktivierung wird durch Zellbewegung und mechanische Rückkoppelung auf Touren gebracht. Die chemischen Prozesse in den Zellen verändern wiederum die Zellform und treiben die Bewegung an.

Experimenteller Nachweis

Das Ganze passiert nicht nur im Modell im Computer, sondern auch bei echten Zellen, so die Forscher. Sie statteten Zellen mit einem Eiweißstoff aus, der bei der Aktivierung aufleuchtet und konnten so die Wellen der Proteinaktivierung sichtbar machen, die sich in der Zellschicht ausbreiteten. Die im Computermodell vorhergesagten Wellenmuster waren auch im Experiment zu beobachten. "Besonders auffallend war, dass die Verzögerung zwischen den beiden Wellen nahe am theoretisch vorhergesagten Optimum lag, das den Zellen erlaubt, aus den Wellen ein Maximum an Informationen zu gewinnen", erklären die Forscher. (APA, red, 29. 9. 2020)